Montag, 21. Januar 2013

So arbeitet die Camorra...

"Das große Abschlachten" in Neapel ist gerade vorbei, da kommt ein italienischer Autor mit einer schockierend einfachen Analyse der italienischen Mafia: Die Camorra, so Roberto Saviano, agiert nicht anders als normale Unternehmen - sie vergießt nur mehr Blut.
Was Neapel kürzlich widerfuhr, ist nicht im Sinne der Camorra: weltweiter Medienrummel um das organisierte Verbrechen in der Vesuv-Metropole. Es muss Schluss sein mit den Klischees, Camorristi seien Tagelöhner im Sonntagsanzug mit der Lupara unterm Arm, oder dem Gewehr mit abgesägtem Lauf. Die Carmorra ist heute ein hochmodernes Unternehmen. Es lebt weniger von der Erpressung, als von den Investitionen der Profite aus dem Drogenhandel. Auch der boomende Markt von Luxusfälschungen im legalen Wirtschaftskreislauf wirft stattliche Gewinne ab.

Das ganz große Geschäft allerdings macht die Camorra mit Geldwäsche durch Firmenbeteiligungen und Unternehmensgründungen, mit Investitionen in der Gastronomie und im Tourismus, in der Baubranche und die Übernahme öffentlicher Aufträge wie lukrative Geschäfte mit der Müllentsorgung auf illegalen Deponien. Stolz tragen die Bosse ihren Reichtum zur Schau und wehe dem, der herablassend lächeln oder seine Abneigung zeigen würde.



Camorristi mit kiloschwerem Goldschmuck am Strand


Nachwuchssorgen muss sich die Camorra nicht machen. In Neapel sind 63 Prozent der Jugendlichen arbeitslos. Sie eifern den großen Bossen nach, wollen reich und "berühmt" und gefürchtet werden, wie dieser Herr auf dem Foto!




Da ist ein „Job“ bei der Camorra. Für viele Jugendliche allemal besser als gar kein Job. So sieht das auch der 18jährige Angelo. Er ist „Scippatore“, einer, der vom Moped herab Passanten goldene Halsketten, teure Uhren, Ohrringe oder Kameras wegreißt. Er hat schon Drogen transportiert; ob er irgendwann Schutzgelder eintreiben oder einen Auftragsmord begehen wird? Angelo hebt die Schultern. „Ich habe mich angepasst, ich hatte keine andere Chance. Aber immerhin verdiene ich gutes Geld, auch wenn dabei jemand über die Klinge springt“

Doch seit Neuestem will die Camorra partout eines vermeiden: Öffentlichkeit. Die Camorra hat sich in jüngster Zeit immer mehr dem Stil des legalen Unternehmertums angepasst, um nicht aufzufallen. So betreibt die Camorra-Familie La Torre aus Mondragone mehrere Restaurants im schottischen Aberdeen, die in einem Reiseführer angepriesen werden. La Torre selbst reiste nach Paris, um auf einer großen Gastronomie-Messe seinen Familienbetrieb einem Fachpublikum vorzustellen.

Die Grenzen zwischen Legalität und Illegalität verwischten immer mehr. Wenn man ehrlich ist und genau hinter die Kulissen schaut, kann man die Camorra keineswegs als Entwicklungsbremse bezeichnen. Das Gegenteil ist der Fall. Für die Unternehmen der armen Region Kampanien sorgen die Clans für einen unbestreitbaren Mehrwert. An den Boss kann sich ein Unternehmer wenden, wenn etwa Banken keine Kredite gewähren. Im Gegenzug wird das Unternehmen die Firmen des Clans mit Aufträgen beglücken, sein Geld reinwaschen, seine Mitglieder einstellen. Dafür hält der Boss seine schützende Hand über den Betrieb, kassiert eine Profitbeteiligung, die sich wie eine Versicherung für den Unternehmer auszahlt. Das schwemmt jede Menge Geld in die Kasse, das gewinnbringend in Drogen angelegt wird - eine potenzierte "win-win-Lösung"

In Zeiten von Konjunkturschwankungen und Globalisierung kann ein in Not geratener Betrieb immer mit Finanzspritzen des Clans rechnen, deren sprudelnde Einnahmequellen aus Drogenhandel, Prostitution und Waffendeals auch während einer Rezession nicht versiegen.


Morde auf offener Straße

Nicht selten setzt die Camorra den Marktschwankungen ihre geballte Gewalt entgegen. La Torre, der Inhaber von Restaurants und Pizzerien in Schottland, reagierte prompt auf eine Preissenkung der italienischen Pizzabäcker in seinem Ort. Seine Leute setzten den Zulieferer der Konkurrenz unter Druck, den Mehlpreis zu erhöhen, indem sie seine Lieferwagen mehrmals überfielen. Die Camorra profitiert nicht nur, sie korrigiert auch den Markt.



Marktkorrektur à la Camorra

Auch der Lebensstil der jungen Killer der Camorra hat sich gewandelt und dem modernen Konsumverhalten angepasst. Ugo De Lucia, der laut Anklage drei Morde in vier Tagen begangen haben soll, war gerade in Pro Evolution Soccer an der Playstation vertieft, als er sein Spiel unterbrechen musste, den Joypad kurzerhand mit der Magnum vertauschte und seinen Job als Killer erledigte, um danach sofort wieder an den Comuputer zurückzukehren, als wäre er nur mal eben Zigaretten holen gegangen. So kaltblütig die Killer vorgehen, so gezielt sind ihre Opfer fast ausschließlich unter den Rivalen zu finden. Tendenz: Den Blutzoll so gering wie möglich halten. Richter und Ermittler geraten nicht mehr ins Visier.


Der Staat versagt

Nach dem großen Bandenkrieg vor zwei Jahren zwischen dem Clan der Allianz von Secondigliano und dem gegnerischen Clan der Misso, war es in der Tat still geworden um Neapel. Die Pax mafiosa stellte scheinbar einen Frieden unter den Banden her, und die 20 Morde allein im ersten Halbjahr 2010 erregten weiter kein Aufsehen. Doch im Juni geriet das prekäre Gleichgewicht ins Wanken: Vincenzo Di Lauro, Sohn des berüchtigten Bosses Paolo Di Lauro, wurde wegen eines Formfehlers aus dem Gefängnis entlassen. Der 31-jährige steht nach Einschätzung der Ermittler von der DIA (Direzione Investigativa Antimafia) für eine neue Generation, die ohne Rücksicht auf Blutvergießen die Gebiete neu aufteilet. Es geht dabei um die Plätze für den Drogenumschlag, das Stammgschäft der Clans, bei dem ein Boss bis zu 60.000 Euro Gewinn pro Tag machen kann.



Verhaftung von Giuseppina Apprea - berüchtigte Mafia-Patin im Kokaingeschäft


Die jüngste Mordwelle mit zwölf Delikten in zehn Tagen, "das große Abschlachten" (Originalton der Bürgermeisterin Rosa Russo Iervolino), ging auf eine Revolte innerhalb des Misso-Kartells zurück, die Familien Sarno und Mazarella lehnten sich gegen den obersten Boss Giuseppe Misso auf. So wurde etwa dessen Schwiegersohn Vincenzo Prestigiacomo von seinen Killern mit vier Kopfschüssen aus einem Meter Entfernung auf offener Straße niedergestreckt, nachdem er gerade eine Bar im Zentrum an der Porta San Gennaro verlassen hatte.

Bei dem Hinterhalt wurde eine Passantin verletzt. Die neue Welle der Gewalt legt einmal mehr offen: Der Staat hat versagt. Antonio Bassolino regiert seit zwölf Jahren, erst als Bürgermeister Neapels, jetzt als Präsident der Region Kampanien. Zu Beginn seiner Amtszeit rief er die "Renaissance Neapels" aus, betrieb Kunstförderung und Stadtverschönerung und schaute ansonsten weg, wie seine Kritiker sagen. In den letzten Jahren wurden 19 Gemeinderäte Kampaniens wegen Camorra-Infiltration aufgelöst, mehr als in ganz Italien. Der renommierte Journalist Gian Antonio Stella spricht heute von einer Epidemie.


Aus dem Knast, in der Schlacht

Nach dem Wiederaufflammen der Gewalt entsandte die Regierung in Rom 1000 Polizeibeamte und ließ eine Videoüberwachung an den Drogenplätzen installieren. Man braucht kein Philosoph sein, die Kameras werden genau so lange surren, bis die Camorra sie wieder ausschaltet.





In der Diskussion um die Auswüchse der Gewalt prangerte die Staatsanwaltschaft die Auswirkungen der Amnestie vom Sommer an: Die Gefängnisentlassungen gerieten häufig zum Todesurteil für die Camorristi. Auch der 31-jährige designierte Erbe des Misso-Clans, Prestigiacomo, war dank einer Strafmilderung vorzeitig entlassen worden. Die Opfer des Doppelmords in Torre del Greco. Die Signori Adriano Cirillo, 27, und Pasquale Pecoraro, 31, hatten ebenso von einer Amnestie Gebrauch gemacht. Insgesamt sollen nach Zeitungsberichten bei sechs von 22 Morden Haftentlassene als Täter oder Opfer im Spiel gewesen sein.

Die Rechtssicherheit müsse wieder hergestellt werden, forderte die Soziologin Gariella Gribaudi. Nur wenn verurteilte Carmorristi auch definitiv einsäßen, würden sie nicht länger von der Jugend als Idole vergöttert. Aber genau das ist der Fall!

Bürgermeisterin Iervolino aus Neapel registrierte zudem eine wachsende Gewaltbereitschaft in ihrer Stadt. Zur selben Zeit, als die Clans sich ihren "Kampf" lieferten, wurde ein Krimineller bei einem Überfall auf ein Tabakwarengeschäft von dem Geschäftsinhaber erschossen. Im gleichen Zeitraum erstach ein 16-Jähriger aus Eifersucht zwei 18-Jährige. Nach einem Familienstreit erschoss ein 21-Jähriger seinen Vater mit einem Gewehr. Alle drei Täter wurden sofort von der Camorra als Killer angeworben und eingesetzt.

Die Mitglieder der Camorra sind keine Idioten! Sie verfolgen sehr aufmerksam die Schlagzeilen und tarieren ihre Strategie je nach Medienecho und Reaktion des Staates aus. Dass zuletzt über ganz unterschiedliche Probleme in der Berichterstattung über Neapel zu lesen war, erleichter den Camorristi das überleben, denn Presse, Politik und Wirtschaftsvertreter lenken von dem "System" Camorra ab.



Das Unternehmen Camorra

Die Camorra ist kein lokales, sondern ein italienisches Problem. Müllimporte etwa werden aus dem Norden und Zentrum des Landes nach Kampanien gebracht und von der Camorra auf illegalen Halden entsorgt. Der Wiederaufbau erdbebenzerstörter Gebiete in Umbrien wird mit Camorra-Geldern finanziert und nicht etwa vom Staat. Die Wege der Geldwäsche führen nach Mailand, Bologna, Venetien, Schottland, Teneriffa und Santo Domingo. Die Camorra wird in der Bevölkerung natürlich als rein kriminelle Vereinigung wahrgenommen, dennoch sind sie in der Wahrnehmung Unternehmer, die hilfreich agieren. Das zeigt, wie komplex das Gebilde Camorra ist und wie schwer es den Einsatzkräften gemacht wird, die Bosse zu fassen.

 Fazit: Die Camorra unterscheidet sich abgesehen vom Blutzoll nicht von anderen Unternehmen.

 

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