Funde von
unsachgemäß verscharrten Industrie-Abfällen beunruhigten vor Jahren Italien und
die Welt. Was ist daraus geworden? Eine Geschichte über billigen Müll,
skrupellose Gangster - und die Folgen für Italien.
Italiens
oberster Mafia-Jäger Franco Roberti stellt den Aschenbecher in seinem Büro auf
eine offene Schreibtischschublade und raucht eine Zigarette nach der anderen.
Mit seiner Feststellung, Giftmüll-Skandale gebe es nicht nur in der Region
Neapel, sondern auch in der scheinbar von Kriminalität unberührten Toskana,
wirbelte der Chef der Nationalen Antimafia-Staatsanwaltschaft gehörig Staub
auf.
Vor allem in den 1990er Jahren blühte das Geschäft
neapolitanischer Mafia-Clans mit dem Giftmüll. Industrieunternehmen aus
Norditalien vertrauten den Gangstern gegen eine geringere Gebühr als
marktüblich gern ihre Sonderabfälle zur Entsorgung an. Die Clans aus der Gegend
zwischen Neapel und Caserta verklappten die giftigen Substanzen dann in den
blühenden Obsthainen Kampaniens - wo sie bunt glitzernde Pfützen inmitten von
Pfirsichplantagen hinterließen. Beide Seiten verdienten gut an diesem Geschäft.
Die sachgemäße Entsorgung wäre die Unternehmen teurer zu stehen gekommen,
während die Clans nur für den Transport aufkamen, nicht aber für fachgerechte
Behandlung.
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Chefermittler Roberti |
Unter dem Eindruck der Giftmüllskandale verabschiedete Italiens
Parlament mittlerweile ein Gesetz gegen Umweltvergehen. Wer den Straftatbestand
der Umweltverschmutzung erfüllt, dem drohen bis zu 20 Jahre Haft, falls die
Folgen der Tat Menschenleben fordern. Für irreversible Schäden an einem
Öko-System ("Verursachung einer Umweltkatastrophe") drohen bis zu 15
Jahre Gefängnis.
Das erst im Mai diesen Jahres in Kraft getretene Gesetz schafft
nach dem Vorbild von Kronzeugenregelungen Anreize zur Zusammenarbeit mit
Ermittlern. Wer ihnen illegale Giftmülldeponien zeigt und Namen von Komplizen
nennt, kann mit Strafnachlässen rechnen. Die giftigen Stoffe sind oft unter
Großbaustellen, wie etwa der Schnellstraße nach Siena, vergraben.
Doch das
Geschäft ist im Wandel: "Nachdem Giftmüll aus dem Norden 20 Jahre lang im
Süden entsorgt wurde, transportiert die Camorra Abfälle mittlerweile in andere
Regionen, vor allem in die Toskana, aber auch in Länder wie Rumänien und
China", sagt Franco Roberti. Der Füller-sammelnde Staatsanwalt macht seine
Notizen gern mit einem seltenen Füllfederhalter des italienischen
Traditionsherstellers Delta, der in der Nähe der umstrittenen
Müllverbrennungsanlage von Acerra bei Neapel beheimatet ist. Acerra ist seit
dem Bestseller "Gomorrha" von Roberto Saviano über die Geschäfte der
Camorra mit Müll, Drogen, Erpressungen und anderen lukrativen
Wirtschaftszweigen international berüchtigt.
Aus der bei Urlaubern besonders beliebten Toskana stammt dagegen
Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi. Der ehemalige Bürgermeister von
Florenz verkörpert wie kaum ein anderer italienischer Politiker das Image des
Saubermanns, der erst in seiner eigenen Stadt und nun im ganzen Land den Sumpf
der Korruption trockenlegen will.
Keine einfache Aufgabe. In der Textilmetropole Prato bei Florenz
nähen mittlerweile Chinesen, die teils unter menschenunwürdigen Bedingungen in
fensterlosen Räumen hausen, billigste Kleidung. Die chinesische Textilmafia
entdeckte jedoch auch den lukrativen Handel mit verunreinigten Textilien. Aus
der einstigen Perle der italienischen Stoffherstellung in der Toskana wurden
nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft Florenz von 2011 tonnenweise
verunreinigte Lumpen nach Herculaneum am Vesuv gebracht - und dort nicht, wie
offiziell vereinbart, gereinigt und desinfiziert. Die Verantwortlichen wurden
mit Haftstrafen von bis zu zweieinhalb Jahren belegt.
Ein Teil
dieser Giftmüllskandale kam durch Aussagen von Kronzeugen ans Licht. So packte
der einstige "Giftmüllminister" der neapolitanischen Camorra bereits
2008 aus, um Schutz vor Todesdrohungen seiner Komplizen zu erhalten: "Wir
haben nie Schutzplanen ausgelegt, die austretenden Flüssigkeiten gelangten
direkt in die Erde, dann haben wir Feuer gemacht, um Platz zu schaffen",
sagt Gaetano Vassallo. "Nach dem Ende der Craxi-Ära bin ich zu Forza
Italia gegangen", berichtet der Mafia-Kronzeuge über die Verbindungen des
Casalesi-Clans zur Politik. "Aber wir haben mit allen Parteien Geschäfte
gemacht." Das habe sich auch nicht geändert, als der damalige
Ministerpräsident Silvio Berlusconi den Müllnotstand von Neapel zur Chefsache
erklärte und einen Regierungskommissar einsetzte.
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Gaetano Vassallo |
Damals erregten die Bilder brennender Müllberge in Neapel die
Weltöffentlichkeit. Wegen mangelnder Kapazitäten in Deponien, Widerstands gegen
neue Einrichtungen und zu wenig Mülltrennung wurden Abfälle in
Verbrennungsanlagen unter anderem nach Deutschland gebracht. Indem sie die
Müllberge auf der Straße anzündeten, sorgten die aufgebrachten Anwohner selbst
für giftige Abgase.
Dass das Gift nicht nur in Süditalien schlummert, sondern auch
in der für die Hügel des Chianti und Renaissance-Kunst bekannten Toskana,
wollten viele Regionalpolitiker lange nicht glauben. Die Anti-Mafia-Stiftung
"Antonio Caponnetto" wirft ihnen bis heute schuldhaftes Schweigen
vor, das es den Clans umso leichter mache.
"Man zwingt sich, nicht zu sprechen, aus Angst vor Themen,
die den guten Ruf der Toskana beschädigen könnten", meint Salvatore
Calleri, der Vorsitzende der Stiftung mit Sitz in Florenz. "Wir laufen
Gefahr, dass die Angst, über Probleme zu sprechen, die unsere Region früher
nicht hatte, Mafia-Organisationen geradezu anlockt", warnt Caponnetto.
"Es hilft der Mafia, wenn nicht über sie gesprochen wird."
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