Donnerstag, 30. Oktober 2014

Mexiko im Griff der Kartelle


Von Klaus Ehringsfeld

Seit 33 Tagen keine Spur von den verschleppten Studenten in Mexiko. Die Angehörigen trafen nun Präsident Peña Nieto. Doch der smarte Staatschef will nicht zur Kenntnis nehmen, dass sein Land aus den Fugen ist.




Fast fünf Stunden haben sie zusammengesessen im schicken Präsidentenpalast. Der smarte Staatschef Enrique Peña Nieto, der stets wie ein Telenovela-Schauspieler auftritt, und mehr als 80 verzweifelte Väter und Mütter in Sandalen, Turnschuhen und mit Cowboyhüten. Enrique Penã Nieto redete viel an diesem langen Mittwochnachmittag im Los-Pinos-Palast, er machte Versprechen und rechtfertigte sich. Die Angehörigen der 43 vermissten Studenten rangen um Worte, stellten Fragen und klagten an.




Kurz vor 21 Uhr gingen Angehörige und Staatsoberhaupt auseinander, ohne je zusammengefunden zu haben.

Der Präsident wandte sich umgehend live auf allen Kanälen an die Bevölkerung und verkündete, man werde in der Suche nach den vermissten Studenten nicht nachlassen, man werde eine Kommission gründen und mehr Beamte in den Bundesstaat Guerrero schicken. "Es gibt keinen noch so kleinen Raum für Straflosigkeit", versprach der Präsident. "Ich bin dem Rechtsstaat verpflichtet." Acht Minuten dauerte die Rede, die vor allem zeigen sollte, dass seine Regierung handelt.




Für die Angehörigen der vermissten Lehramtsstudenten muss das wie Hohn geklungen haben. 98 von 100 Verbrechen bleiben in Mexico ungesühnt. Und in vielen Regionen des Landes hat der Rechtsstaat kaum mehr Einfluss. Dort, wo vor 33 Tagen die Studenten verschleppt und vermutlich ermordet, verbrannt und verscharrt wurden, gilt nur das Recht der organisierten Kriminalität. Die Mafia kauft Politiker und Polizisten, erpresst, entführt, schmuggelt und - wie im Fall der Studierenden - ermordet diejenigen, die ihnen in die Quere kommen oder ihre Ordnung stören.


"Nichts passiert"

Während der Präsident im Fernsehen auftritt, rollen die Väter und Mütter die großen Transparente mit den Fotos ihrer Söhne zusammen, steigen in Busse und fahren in ein Menschenrechtszentrum in Mexico Stadt ein paar Kilometer entfernt vom Präsidentenpalast. Dort machen sie ihrem Frust, ihrem Misstrauen und ihrer Hoffnungslosigkeit Luft: "Wir vertrauen dem Präsidenten und seinen Worten nicht", sagt Felipe de la Cruz Sandoval, einer der Sprecher der Angehörigen.




 "Der Staat tut angeblich alles, um unsere Söhne zu finden, aber nichts passiert. Lebend wurden sie uns genommen, lebend wollen wir sie zurück." Mehr als einen Monat sind die Jungen nun vermisst, mehr als 50 Polizisten und Schergen der lokalen Mafia-Bande "Guerreros Unidos" sind festgenommen, jeden Tag werden Massengräber gefunden. Aber die Jungen bleiben unauffindbar. Das verstehen die Familien nicht.




Was am 26. September als eines der vielen Verbrechen in diesem längst aus allen Fugen geratenen Kampf um Mexiko begann, hat sich zur größten Staatskrise ausgewachsen, seit Enrique Peña Nieto vor knapp zwei Jahren das Präsidentenamt übernommen hat. Mexiko ist erzürnt und die Welt schockiert, weil der Fall von Iguala und den Studenten beinahe lehrbuchhaft zeigt, wie organisierte Kriminalität, Politik und Polizei auf regionaler Ebene in Mexiko zusammenarbeiten.


26.000 Menschen vermisst

Der Bürgermeister Iguala und seine Frau, beide flüchtig, erhielten von den "Guerreros Unidos" monatlich umgerechnet 175.000 Euro, wovon 35.000 Euro an die lokale Polizei flossen. So standen die Einheiten der Ordnungsmacht fast vollständig unter dem Kommando des Kartells. Faktisch herrschten die "Guerreros Unidos" über die mexikanische Stadt, kaum 200 Kilometer südlich von Mexico-Stadt.


...der Bürgermeister Iguala und seine Frau


Kurz vor 21 Uhr gingen Angehörige und Staatsoberhaupt auseinander, ohne je zusammengefunden zu haben.


Der Präsident wandte sich umgehend live auf allen Kanälen an die Bevölkerung und verkündete, man werde in der Suche nach den vermissten Studenten nicht nachlassen, man werde eine Kommission gründen und mehr Beamte in den Bundesstaat Guerrero schicken. "Es gibt keinen noch so kleinen Raum für Straflosigkeit", versprach der Präsident. "Ich bin dem Rechtsstaat verpflichtet." Acht Minuten dauerte die Rede, die vor allem zeigen sollte, dass seine Regierung handelt.

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