Freitag, 31. Oktober 2014

Mexikos Regierung unter Zugzwang

Iguala hat sich in das kollektive Gedächtnis Mexikos eingebrannt. Das Massaker dort hat die internationale Wahrnehmung des Landes verändert. Doch verändert es auch den Kampf gegen organisierte Verbrechen?




"Der Druck auf die mexikanische Regierung hat zugenommen", meint Olaf Jacob, Teamleiter für die Region Lateinamerika bei der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Berlin. Seit Iguala stünde Mexiko in der Öffentlichkeit unter intensiver Beobachtung. "Eine kontinuierliche Berichterstattung über ein Thema aus Mexiko über einen langen Zeitraum - so etwas gab es bisher noch nicht."

Die mexikanische Botschaft in Berlin hat auf die Lage reagiert. Seit kurzem kümmert sich dort der Diplomat Cristóbal González um den Bereich Menschenrechte und Zivilgesellschaft. Um für Verständnis in der deutschen Öffentlichkeit zu werben, bereitet er für Dezember den Besuch eines hochrangigen Mitglieds der mexikanischen Regierung vor. Um welchen Politiker es sich dabei handelt, ließ González im Gespräch mit der DW offen.


"Iguala - Wiege von Mördern" - Studenten-Protest an einer Autubahnmautstation


In der Ortschaft Iguala waren in der Nacht vom 26. auf den 27. September 43 Lehramtsstudenten verschwunden. Offiziell gelten sie noch als "vermisst". Doch es wurden bereits sechs Massengräber mit 28 verkohlten Leichen entdeckt. Am 9. Oktober wurden vier weitere Gruben mit menschlichen Überresten aufgefunden. Bis jetzt wurden 56 Tatverdächtige festgenommen, darunter Polizisten, städtische Sicherheitskräfte und Kriminelle aus dem Drogenmilieu.


Empfang beim Präsidenten

Um die Beschwerden über die schleppenden Ermittlungen auszuräumen, empfing Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto am 29. Oktober erstmals Angehörige der Opfer in seiner Residenz "Los Pinos". Peña Nieto versprach ihnen mehr Unterstützung sowie tägliche Informationen zu dem Stand der Ermittlungen. In der Öffentlichkeit erhob der Präsident die Aufklärung des Massakers zu seiner politischen Priorität.


Verspricht Aufklärung: Präsident Enrique Peña Nieto


Bei den Angehörigen jedoch überwiegt weiterhin die Skepsis. So bestanden sie darauf, Forensiker aus Argentinien an den Ermittlungen zu beteiligen, weil sie den mexikanischen Behörden misstrauten. Dies wiederum führte zu weiteren Verzögerungen. Da die meisten in den Massengräbern gefundenen Leichen verkohlt waren, dauern die DNA-Analysen zur Identifizierung der Toten länger als erwartet.

"Ich bin nicht gekommen, um den Präsidenten um einen Gefallen zu bitten, sondern um berechtigte Forderungen zu stellen", erklärte der Vater eines Opfers nach dem Besuch vor der mexikanischen Presse. "Ich dachte, die Regierung wäre effizienter, aber sie macht nur zehn Prozent von dem, was ich mir vorgestellt habe", fügte er enttäuscht hinzu.


Entfesselte Gewalt

Nach Ansicht von Experten durchläuft Mexiko zurzeit eine ähnlich schwierige Phase wie Kolumbien in den 90er Jahren. "Die Kartelle in Mexiko treten in besonderem Maße gewaltsam auf, mit einer Brutalität, die man nur als entfesselte Gewalt bezeichnen kann", erklärt Günther Maihold, stellvertretender Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik, der zurzeit zum Thema organisierte Kriminalität am Wilhelm und Alexander von Humboldt-Lehrstuhls in Mexiko forscht.

Grund dafür sei vor allem die Fragmentierung der Kartelle. "Die Zersplitterung hat die Zahl der Gewaltakteure vervielfältigt und die Konkurrenz um die Transitrouten und Vertriebswege verschärft", erläutert Maihold.


Ordnungsgaranten oder Komplizen der Drogenmafia? Mexikos Bevölkerung hat kaum Vertrauen in ihre Sicherheitskräfte


Edgardo Buscaglia, Experte für Wirtschaftskriminalität an der Colombia University, will nicht mehr länger untätig zusehen. Er ruft zu Massenprotesten auf: "Die Zivilgesellschaft muss auf die Straße gehen, so wie 1989 in Kolumbien nach der Ermordung des Präsidentschaftskandidaten Luis Carlos Galán durch die Drogenmafia", erklärt er. Nur Massenproteste könnten langfristig eine Reinigung des mexikanischen Staates erzwingen.


Parlament in der Pflicht

Buscaglia forderte zudem das mexikanische Parlament auf, Gesetze zu verabschieden, die Verbindungen von politischen Verantwortungsträgern zu kriminellen Vereinigungen erschweren. "Wir müssen die Vorteilsnahme und den Missbrauch von öffentlichen Geldern unter Strafe stellen, so wie dies bereits in Deutschland, Japan, Frankreich und Kanada geschieht", sagte er im Gespräch mit der DW.


Günther Maihold gibt sich zurückhaltender. "In Mexiko haben sich Korruption und organisiertes Verbrechen in den Strukturen des Staates eingenistet. Eine plötzliche Wende ist nicht zu erwarten sein", meint er.


Nach Angaben Maiholds unterstützen Kolumbien und die USA Mexiko bereits bei der Reform der Polizei. "Das Hauptproblem ist die Verteilung", meint Maihold. "Die Erweiterungen im Fähigkeitsprofil der Polizeikräfte finden meist auf der Ebene der Bundespolizei und in einigen Bundesstaaten statt." Nötig sei aber vor allem die Unterstützung der lokalen Polizei, die am meisten vom organisierten Verbrechen unterwandert werde.
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