Sonntag, 26. Oktober 2014

Präsident Napolitano sagt als Zeuge bei Mafia-Prozess aus

Befragung durch die Staatsanwälte im Quirinal am Dienstag

Rom - Zum ersten Mal in der Geschichte Italiens wird ein Staatsoberhaupt als Zeuge bei einem Mafia-Prozess aussagen. Der italienische Präsident Giorgio Napolitano wird am kommenden Dienstag von Staatsanwälten als Zeuge im Rahmen eines Verfahrens in Palermo befragt, bei dem Politiker und Mafia-Bosse gemeinsam auf der Anklagebank sitzen.




Wegen seines Amtes wird der 89-jährige Napolitano nicht vor dem Schwurgericht in Palermo aussagen, vor dem der Prozess läuft. Er wird im Quirinal, seinem römischen Amtssitz, die Fragen der Staatsanwälte beantworten. Auch die Anwälte der angeklagten langjährigen "Nummer eins" der Mafia, Salvatore Riina, werden Napolitano Fragen stellen können, berichteten italienische Medien.


Geheimpakt mit Cosa Nostra

Laut der Staatsanwaltschaft von Palermo soll der italienische Staat in den 1990er-Jahren einen Geheimpakt mit der sizilianischen Cosa Nostra geschlossen haben. Ziel sei gewesen, Bomben- und Mordanschläge der Mafia zu stoppen. Hochrangige Politiker seien der Cosa Nostra mit erleichterten Haftbedingungen für rund 400 inhaftierte Mafiosi entgegengekommen. Gerichtsurteile seien aufgehoben, wie im Fall des jahrelang untergetauchten Bosses Bernardo Provenzano. Auch seien mafiafreundliche Gesetzesänderungen versprochen worden, so die Ankläger. Im Gegenzug habe die Cosa Nostra auf neue Anschläge verzichtet.

Angeklagt sind zehn prominente Mafiosi, Carabinieri-Offiziere und Politiker, darunter der inhaftierte Mafia-Pate Riina, Ex-Innenminister Nicola Mancino und der Ex-Senator und Vertraute von Ex-Premier Silvio Berlusconi, Marcello Dell'Utri. Der Prozess läuft seit über einem Jahr, die Staatsanwälte haben mehr als vier Jahre ermittelt. Sie stützen sich auf Aussagen sogenannter "Pentiti", reuiger Mafiosi und dutzender weiterer Zeugen.


Staatsanwaltschaft vermutet Waffenstillstand

Die Ankläger glauben, dass zwischen Frühjahr 1992 und Winter 1994 geheime Gespräche zwischen Vertretern aus Politik, Polizei und Geheimdiensten mit der Mafia stattfanden. Es soll eine Art Waffenstillstand ausgehandelt worden sein, während der Staat offiziell eine harte Gangart gegen die Mafia propagierte. Während die mutmaßlichen Geheimverhandlungen bereits liefen, wurden 1992 die Anti-Mafia-Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino ermordet. Danach verübte die Mafia Anschläge in mehreren Städten. Im Mai 1993 starben in Florenz fünf Menschen durch eine Autobombe. Im Jahr darauf hörten die Attentate schlagartig auf - als Folge der inzwischen getroffenen Vereinbarung, vermuten die Ankläger.

Im Jahr 1993 warnte der Geheimdienst Sisdi vor der Gefahr eines Anschlags auf Napolitano, der damals das Amt des Präsidenten der Abgeordnetenkammer bekleidete. Über die Ereignisse dieser Jahre soll jetzt Napolitano den Staatsanwälten berichten. Einer der Staatsanwälte klagte, man sei bei der Ermittlungsarbeit auf zahlreiche Widerstände in Politik und anderen Institutionen gestoßen. Als Nebenkläger treten beim Prozess in Palermo Angehörige von Mafia-Opfern sowie Anti-Mafia-Initiativen auf.


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