Samstag, 17. Oktober 2015

Mafia-Verdächtige sind wieder frei

Deutsches Recht verhindert die Auslieferung der im Sommer festgenommenen Italiener. Ihnen sind keine aktuellen Straftaten nachweisbar, sagt das Oberlandesgericht Karlsruhe.



Bei einer spektakulären Polizei-Aktion im Hegau Anfang Juli diesen Sommer wurden acht Männer festgenommen, denen vorgeworfen wurde, der kalabresischen Mafia-Organisation ’Ndrangheta anzugehören. Konkrete Straftaten wurden nicht genannt. Bei früheren Festnahmen auch im Hegau war jedoch von Seiten der Ermittler vom Verdacht auf Mord, Bestechung, Korruption, Geldwäsche, Drogen- und Waffenhandel die Rede gewesen.

Die Festnahme der Italiener löste in der Region Entsetzen aus, denn die Verdächtigen zwischen 40 und Ende 60 lebten im Hegau völlig unauffällig. Bei ihrer Festnahme wurden auch zahlreiche Schusswaffen gefunden.

Sieben der acht Männer sind wieder auf freiem Fuß, weil die deutschen Strafbehörden nach hiesigem Recht keine Handhabe wegen der Mafia-Tätigkeiten gegen sie haben. Und das, obwohl Italien ihre Auslieferung beantragt hat und sie noch immer europaweit sucht. Wo die sieben Männer nun leben, ist derzeit unklar. Sie dürften sich aber noch in Deutschland aufhalten, vermutet ein hochrangiger Ermittler. „Hier dürften sie sich am sichersten fühlen. Im restlichen Europa droht Ihnen die Auslieferung.“

Rückblende ins Jahr 2010. In Singen wird ein offenbar hochrangiges Mafia-Mitglied festgenommen. Der Verdächtige lebt zuvor komplett unauffällig in der Stadt. Keiner ahnt etwas von mutmaßlichen Umtrieben. Weitere Ermittlungen nach dieser Festnahme lösen dann erneute Polizei-Einsätze aus. Bei einer internationalen Razzia im Dunstkreis der ’Ndranghta fasst die Polizei 2011 weltweit 30 verdächtige Personen. Fünf davon im Hegau.


Großes Polizei-Aufgebot

Dann ist weitere vier Jahre Ruhe. Bis plötzlich eine erneute Polizei-Aktion im großen Stil in diesem Sommer die Bürger alarmiert. Gleich acht Verdächtige werden am frühen Morgen des 7. Juli in mehreren Orten im Hegau und am Bodensee geschnappt.

Spezialeinsatzkräfte aus gleich sechs Bundesländern, werden dazu eingesetzt. Sie überraschen die Italiener im Schlaf. Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg (LKA) vermeldet den großen Fahndungserfolg.

Keine öffentliche Mitteilung zum Fortgang des spektakulären Falles gibt es dann aber jetzt, im Herbst 2015. Nun, da sieben der acht Verdächtigen von der deutschen Justiz – wie man hört – zähneknirschend auf freien Fuß gesetzt wurden, hört man von den Ermittlern wenig.

Das Landeskriminalamt verweist ebenso wie die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe auf das Oberlandesgericht Karlsruhe. Dessen Sprecher Christian Guthmann bestätigt, was die Mafia-Jäger des unabhängigen Recherche-Büros Correctiv aus Essen bereits zuvor in Erfahrung bringen konnten: Einer der acht Männer aus dem Hegau wurde an Italien ausgeliefert, wo ihm der Prozess gemacht werden dürfte.

Sechs Verdächtige wurden unlängst freigelassen und nur einer saß noch bis vor kurzem in Haft, ist aber nach Informationen dieser Zeitung zwischenzeitlich auch wieder in Freiheit.


Auch habe es „keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte“ gegeben, dass sich die Verdächtigen in der Zeit seither als Mitglieder der mutmaßlichen Hegauer ’Ndrangheta-Zelle betätigt hätten. Man habe sie laufen lassen müssen.

Das, so hört man dann bei vertraulichen Gesprächen mit den Ermittlern, gefällt diesen ganz und gar nicht. „Das ärgert uns auch“, schimpft ein LKA-Mann, „aber so sind nun mal eben die Gesetze“. Der aktuelle Fall zeige, dass die deutsche Gesetzgebung „für die Verfolgung der Mafia nicht ausreicht“, schlussfolgert das Recherche-Büro Correctiv. Selbst, wenn deutsche Ermittler von italienischen Kollegen wüssten, dass ein Mafioso in Deutschland lebe, könnten sie nicht gegen ihn vorgehen, solange er nicht gegen Gesetze verstoße. In Italien ist bereits die Mafia-Mitgliedschaft eine Straftat.

Und wo sind die sieben ehemals Mafia-Verdächtigen Hegauer nun? Keiner weiß das so ganz genau. Einer von ihnen soll bereits wieder hier in der Region gesehen worden sein. Die anderen tauchten in Engen, Rielasingen, Singen und Gailingen bisher nicht wieder auf, berichten die dortigen Bürgermeister übereinstimmend. Italienische Bürger sagen öffentlich lieber nichts. „Das ist eine Schande!“, meint einer hinter vorgehaltener Hand. Bei Polizei und LKA: Funkstille. Wobei klar sein dürfte, dass die Ermittler die Italiener weiterhin im Blick behalten werden. Diskret. Denn wer einmal der ’Ndrangheta angehört, ist zeitlebens Mitglied.

Christian Guthmann

Aber warum kamen die Sieben wieder frei? Christian Guthmann erklärt, dass es wegen einer Verjährung der vorgeworfenen Straftaten nicht möglich gewesen sei, die Männer an Italien auszuliefern. Nach fünf Jahren seien die Fälle verjährt. Da spreche deutsches Recht eine andere Sprache als italienisches.
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