Sonntag, 3. Februar 2013

Immer mehr Mafiosi in Norditalien

Landvermesser, Investmentbanker, Unternehmer, Notare oder Ärzte – viele einflussreiche Berufsgruppen stehen mittlerweile auf der Gehaltsliste der Mafia.

Die Hoffnung, dass es in Zukunft ein Italien ohne Mafia gibt, muss man leider aufgeben. Der Journalist Tiziano hat in jahrelangen Recherchen eine Fülle von Fakten zusammengetragen und diese jetzt im Buch «Mafia AG» veröffentlicht. Er stützt sich dabei auf gesicherte Quellen: auf Kronzeugenberichte, Gerichtsakten, Abschriften von Telefongesprächen und Verhören, die im Lauf von Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft dokumentiert sind.



Der Autor nennt enorm viele Akteure beim Namen, Täter und Opfer: Giovanni Tiziano ist selbst ein Geschädigter. Vor 25 Jahren ging die Küchenmöbelfabrik seines Grossvaters in Kalabrien in den Flammen der Mafia auf. Und ein Jahr später wurde sein Vater, ein Bankangestellter, auf offener Strasse umgebracht. Der Fall bis heute nicht aufgeklärt.

Tiziano skizziert die organisierte Kriminalität als Perpetuum Mobile: Die Mafia macht viel Geld, indem sie Fabriken Abfälle und Sondermüll abnimmt und dieses Material illegal ins Erdreich versenkt. Dann lässt sie den Skandal an die Oberfläche kommen und bietet der betroffenen Gemeinde an, das Gelände zu sanieren. Der Journalist verdeutlicht, wie Beamte, die sich nicht korrumpieren lassen, eingeschüchtert werden: Eines Abends finden sie ein genageltes Holzkreuz vor der Haustür oder einen blutigen Pferdekopf im Bett.

Saubere Westen und schmutzige Hände

Die kalabresischen Mafiabosse, die im wirtschaftlichen Zentrum Italiens, in der Lombardei, Fuss gefasst haben, seien keine Schafhirten aus irgendeinem Provinznest, sondern moderne Geschäftsmänner, die die internationalen Absatzkanäle für Kokain kontrollieren. Sie bewegen sich unbewaffnet, ausgerüstet lediglich mit Notebook und Smartphone. Ihre Aggressivität zeigt sich dagegen im systematischen Aufkaufen von Immobilien, um die Gewinne aus ihrem Kerngeschäft, dem Kokainhandel, anzulegen und reinzuwaschen. Wie selbstverständlich brechen sie Widerstand oder Gegenwehr mit schwerbewaffneten Killern.

Ein weiter Typ Mafioso, so Giovanni Tiziano, sei in Norditalien gegenwärtig besonders ausgeprägt im Gesundheitswesen anzutreffen. Die Mafia verhilft aufstrebenden Privatkliniken zu den nötigen Krediten, vermittelt den richtigen Leuten Schönheitsoperationen zum Nulltarif - Organbeschaffung inclusive -, und ist behilflich, wenn Prestige-Posten zu vergeben sind. Sie lässt Zahnchirurgen praktizieren, die keinerlei Erfahrung oder Qualifikationen vorweisen können und lassen sie ohne Rücksicht auf Verluste hantieren. Hinterher wird abkassiert!

Weisse Kittel und fiktive Patienten

Manch eine Privatklinik dient als Zufluchtsort für Mafiabosse, die so krankgeschrieben sind, dass ihnen die Haft erspart wird. Statt im Gefängnis sitzen sie jahrelang in einem Sanatorium, wo sie sich auch die eine oder andere Freiheit herausnehmen können: Damenbesuche oder eine Fahrt ins Blaue. Giovanni Tizian schildert den Fall eines Mafiosi, der wegen Mord verurteilt worden ist, aber nicht im Gefängnis, sondern in einer Rehabilitationsklinik logierte: Offiziell ist er zu hundert Prozent querschnittsgelähmt. Die entsprechenden Gutachten wurden von einem bekannten Mediziner aus Bologna unterzeichnet.

Der fiktive Patient bekam eine Invaliden-Rente und liess sich im Rollstuhl herumkutschieren: Doch eines Tages hat ihn die Polizei beim Autofahren mit überhöhter Geschwindigkeit erwischt. Es stellte sich heraus, dass ein paar weisse Kittel ihre schützende Hand im Spiel gehabt hatten und im Gegenzug die hohle Hand für weisses Pulver, Kokain, gemacht hatten.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen