Montag, 4. Februar 2013

Sie sind wieder da / TEIL 2

Die Camorra ist in den USA wieder erstarkt und wie es scheint, leben die 30er und 40er Jahre wieder auf.

In New York verwalten noch immer die fünf großen Mafia-Familien – die Gambino, Colombo, Bonanno, Lucchese und Genovese – das Know-how der Organisierten Kriminalität, auch wenn heute so gut wie keiner mehr diese Namen trägt.


Chef der Lucchese-Familie in New York
 Währenddessen hat es die Camorra geschafft, abseits des Rampenlichts Wurzeln zu schlagen. Beginnend mit dem berühmtesten Gangster aller Zeiten, mit Alfonso Capone, genannt Al, gebürtig aus der Provinz Neapel, der davon träumte, dereinst in seine Heimat zurückzukehren und sie »samt und sonders aufzukaufen«, bis hin zu den vielen in den vergangenen Jahren aufgedeckten Geschäften fand stets ein reger Austausch zwischen der Camorra und den Vereinigten Staaten statt. So wurden Warenfälscherringe aufgedeckt, die von der Camorra kontrolliert werden: gefälschte Bosch-Schlagbohrer und Canon-Kameras, Lederbekleidung, aus dem Orient importiert oder in der Provinz Neapel hergestellt, die dann in den Läden zusammen mit den Originalen zum Verkauf angeboten werden.


Chef der Bonanno-Familie in Chicago

In einem Erlass aus dem Jahr 2005 wiesen die Untersuchungsrichter der neapolitanischen DDA (Direzione Distrettuale Antimafia) nach, dass das Monopol für den Fälschermarkt in Europa, Amerika und Australien jahrelang in den Händen eines kriminellen Netzwerks lag, das unter anderem aus neapolitanischen Unternehmern bestand, die Geschäftsbeziehungen mit Camorra-Familien unterhielten.


Chef der Colombo-Familie in New York

In der Folge wurden nicht nur Angehörigen der Mafia-Clans Handschellen angelegt, sondern auch Inhabern von großen neapolitanischen Bekleidungsunternehmen. Paolo Ottaviano, der als Boss des Mazzarella-Clans gilt und 2008 verhaftet wurde, hatte im Auftrag des Clans den Handel mit gefälschter Ware kontrolliert. Laut Aussage einiger Mafia-Kronzeugen reiste er ständig zwischen Italien und den USA hin und her, um die Geschäfte des Clans abzuwickeln. Aus einer Ermittlung der DIA (Direzione Investigativa Antimafia) von Neapel und Padua vom April 2011 geht hervor, dass ein in Padua ansässiger Hersteller von Müllverbrennungsanlagen es zum Marktführer in vielen Teilen der Welt gebracht hat, unter anderem auch in New York, mit Firmensitz nahe der Wall Street, und zwar dank beträchtlicher Geldsummen, die ihm von Cipriano Chianese zugeflossen sind, dem Boss des Canalesi-Clans, auch bekannt als König des Mülls.

Dass die neapolitan mafia dabei war, wieder Terrain zu gewinnen, bemerkte die Filmindustrie noch vor der Polizei. Die Sopranos, berühmteste TV-Mafia-Familie, stammen dem Drehbuch zufolge aus Avellino, und obwohl sie inzwischen in jeder Hinsicht Amerikaner sind, unterhalten ihre Angehörigen stets noch Verbindungen zum »Mutterhaus«. In einer berühmten Folge begeben sich die Protagonisten von ihrem Wohnort New Jersey aus auf eine Geschäftsreise nach Neapel, um dort einen Handelsvertrag für gestohlene Autos abzuschließen. Und ebenfalls in Neapel macht Tony Soprano sich auf die Suche nach zuverlässigen Auftragskillern – ganz so, wie es in den siebziger Jahren Carmine »Lilo« Galante getan hatte.

All dem stehen die Millionen Italoamerikaner entgegen, die in den Staaten leben und darunter zu leiden haben, dass man sie für Mafiosi hält. Es ist ein Vorurteil, das auch deshalb Schaden anrichtet, weil es sowohl in den Vereinigten Staaten wie in Deutschland den intakten italienischen Gemeinschaften zu verdanken ist, dass die Mafia sich nicht weiter ausbreitete. Italiener haben der ganzen Welt vorgemacht, wie man die Mafia bekämpft: Es gilt, die Erinnerung an jene zu pflegen und hochzuhalten, die sich den Mafia-Vereinigungen widersetzt haben, und den Einsatz und Opfermut zu würdigen, den jene Unternehmer aufbringen mussten, die »sauber« blieben.


Schluss mit den Ausflüchten, Italien muss das Alarmsignal hören!

So versteckt die Einladung der US-Regierung zur Mitarbeit, so unverhüllt ist die Kritik an der italienischen Regierung. Sie kommt jedoch nicht unerwartet. Unser Land steht seit geraumer Zeit unter Beobachtung, jetzt wird abgerechnet. In den Vereinigten Staaten spricht man von der Camorra als einer Gefahr für die Demokratie, während man sie in Italien merkwürdigerweise für besiegt erklärt. Und die bloße Erwähnung der offensichtlichsten aller Wahrheiten, nämlich der Tatsache, dass die meisten Mafia-Geschäfte im Norden des Landes stattfinden, hat eine Welle von Ärger und Wut bei den regierenden Parteien ausgelöst, die gerne leugnen würden, dass die Mafia sich auch in jenen Regionen eingebürgert hat, aus denen sie ihre Wählerstimmen beziehen.

Denen, die meinen, über das Organisierte Verbrechen zu reden bedeute, Italien zu diffamieren, antworte ich, dass unser Land die ältesten Anti-Mafia-Organe der Welt besitzt und dass wir die Einladung der amerikanischen Regierung mit Begeisterung aufnehmen sollten; denn wir könnten zu einem wertvollen Verbündeten im Kampf gegen die kriminellen Organisationen werden.

Das Vorgehen der Amerikaner taugt als Schlag gegen die versteinerte Gleichgültigkeit der italienischen Öffentlichkeit, die es zuließ, dass Nicola Consentino ungestraft für das wichtige Amt des Vize-Wirtschaftsministers nominiert wurde, obwohl er derzeit wegen Beihilfe zu diversen Mafia-Verbrechen unter Anklage steht. In Neapel wurden Ermittlungen eingeleitet, von denen auch Mitglieder der Regierung und der Mehrheitsparteien betroffen sind, darunter sogar der Regionalpräsident von Neapel, Luigi Cesaro. Ebenfalls in Neapel überprüft die Staatsanwaltschaft einen Bericht, in dem ein Zusammenhang hergestellt wird zwischen Camorra, Unternehmen und korrupten Mitgliedern der Ordnungskräfte.

Wenn die italienische Regierung fortfährt mit ihren Bagatellisierungen und billigen Ausflüchten oder wenn sie, schlimmer noch, das aus Amerika kommende Alarmsignal ignoriert, liefert sie einen weiteren Beweis ihrer Schwäche und Unzuverlässigkeit, und zwar in einem extrem kritischen Moment.

Aus dem Italienischen von Sabina Kienlechner

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