Die Macht der Mafia erstreckt sich auch auf Liebe und Sex.
Die Frauen der Bosse leben nach einem archaischen Ehrenkodex. Wer ihn verletzt,
dem droht ein schreckliches Schicksal.
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Veronica Carotenuto im Polizeiauto. Sie wurde verhaftet, da sie als
führendes Mitglied des neapolitanischen Clans Terracciano-Artistico-Orefice
gilt.
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Im Land des Verbrechens Frau zu sein ist heikel. Es gelten vertrackte
Regeln, eherne Bräuche, unlösbare Bande. Dort, wo die Mafia regiert, sind
Frauen einem starren, unverbrüchlichen Verhaltenskodex unterworfen, der sie zu
einem riskanten Balanceakt zwischen Fortschrittlichkeit und Tradition, zwischen
moralischen Zwängen und grenzenloser Kaltschnäuzigkeit in Geschäftsdingen
nötigt. Sie dürfen Mordaufträge erteilen, aber keinesfalls fremdgehen oder
ihren Mann verlassen. Sie dürfen nach Belieben in ganze Branchen investieren,
aber sich bloß nicht schminken, wenn ihr Mann hinter Gittern ist.
Während der Mafiaprozesse sieht man die Frauen häufig dicht zusammengedrängt
im Zuschauerraum sitzen und den Angeklagten in ihren Stahlkäfigen Kusshände
zuwerfen oder ihnen zuwinken. Es sind deren Ehefrauen, auch wenn sie aussehen
wie deren Mütter. Sich gut zu kleiden, Nagellack und Make-up zu tragen, während
der Ehemann sitzt, bedeutet, dass man es für andere tut. Sich die Haare zu
färben kommt einem Untreuegeständnis gleich. Die Frau existiert nur des Mannes
halber. Ohne ihn ist sie ein lebloses Ding. Eine halbe Sache.
Deshalb ihre Nachlässigkeit, kaum ist der Mann im Gefängnis. Es ist
ein Zeichen der Treue, zumindest bei einigen Clans des kampanischen
Hinterlandes, bei Teilen der ’Ndrangheta (der kalabrischen Mafia) sowie bei
einigen Familien der Cosa Nostra (Sizilien). Ist sie dagegen schick
zurechtgemacht, adrett und geschminkt, dann ist ihr Mann nicht weit und frei.
Er befiehlt. Und seine Frau trägt dies zur Schau: Ihr Aussehen ist Ausdruck
seiner Macht. Oft allerdings sind es gerade die bis zur Unsichtbarkeit
ungepflegten Frauen der inhaftierten Bosse, die stellvertretend das Sagen
haben.
Im Land des Verbrechens teilen alle Frauen ein ähnliches Schicksal, egal, ob
ihre Geschichte tragisch verläuft oder es ihnen gelingt, sich in einem leidlich
normalen Leben über Wasser zu halten. Meistens kennen sich Mann und Frau von
Kindheit an und heiraten zwischen zwanzig und fünfundzwanzig. Es ist einfach
üblich, das Mädchen zu ehelichen, das man schon von klein auf kennt, es ist die
sicherste Gewähr für ihre Jungfräulichkeit.
Der Mann allerdings darf Gespielinnen haben, nur Ausländerinnen müssen es
sein, das haben die Frauen in den vergangenen Jahren durchsetzen können: Russen,
Polinnen, Rumäninnen, Moldawierinnen – in ihren Augen Frauen zweiter Klasse und
nicht in der Lage, eine Familie zu gründen, Kinder richtig zu erziehen. Ein
Verhältnis mit einer Italienerin oder gar mit einer Frau aus dem eigenen Dorf
hingegen würde alles untergraben und gehört bestraft.
»Niemals unter einer Frau liegen«, lautet eine
Mafia-Lebensregel
Bei der Erziehung ist Sexualität ein prägendes Element. »Niemals unter einer
Frau«, lautet die Maxime. Wer beim Sex unten liegt, lässt sich auch sonst unterbuttern.
»Niemals Oralverkehr.« Sich als Mann oral befriedigen zu lassen, ist in
Ordnung, es bei einer Frau zu tun, »hündisch«. »Werde niemals jemandes Hund«,
lautet eine alte Parole, an die sich bis heute ein Großteil selbst der jüngeren
Gefolgschaft hält. Außerhalb Italiens herrschen noch strengere Gesetze.
Oraler Sex ist
grundsätzlich verboten, den After einer Frau zu berühren und Analverkehr zu
haben ebenso. All das gilt als schmutzig, als schwul. Sex muss etwas
Kraftvolles, Männliches und vor allem Sauberes sein. Ohne Küsse. Die Zunge
braucht man zum Trinken, für etwas anderes gibt ein echter Kerl sie nicht her.
Die Anhänger der Clans sind geradezu besessen davon, ihre Männlichkeit zu
beweisen, und so wird die strenge Einhaltung dieses Sexualkodexes zu einer
rituellen Demonstration ihrer Macht. Er gilt in fast allen Hoheitsgebieten der ’Ndrangheta,
der Camorra (Neapel), der Mafia und der »Sacra corona unita« (Apulien) und ist
fraglos mehr als das schlichte Indiz einer chauvinistischen Kultur. Kaum etwas
macht deutlicher, wie allgegenwärtig die eisernen Regeln von Zugehörigkeit,
Hierarchie, Macht und Territorialgewalt sind. Es ist eine Herrschaft über Leben
und Tod, die auf Töten und Getötetwerden ruht – und wehe dem, der glaubt, er
könne sich darüber hinwegsetzen.
Die Kontrolle des Geschlechtslebens spielt dabei eine fundamentale Rolle. Selbst
beim Flirten markiert man sein Revier. Kommt man einer Frau näher, läuft man
Gefahr, in feindliches Gebiet vorzudringen. 1994 wagte es Antonio Magliulo aus
Casal di Principe, mit einem Mädchen anzubandeln, das mit einem Mann des
Casalesi-Clans verschwägert und mit einem anderen Mitglied verlobt war.
Magliulo überhäufte die junge Frau mit Geschenken, und da er offenbar ahnte,
dass sie über den zukünftigen Gatten nicht überglücklich war, ließ er nicht
locker: Pralinen am Valentinstag, eine Fuchsstola zu Weihnachten, an normalen
Tagen passte er sie vor ihrem Arbeitsplatz ab.
Antonio Magliulo
Eines Sommertages bestellten ihn ein paar Männer des Casalesi-Clans zu einer
Aussprache. Sie ließen ihn gar nicht erst zu Wort kommen, sondern zogen ihm
einen mit Nägeln gespickten Knüppel über den Schädel, fesselten ihn und fingen
an, ihm Sand in Mund und Nase zu stopfen. Je mehr er hinunterschluckte, um nach
Luft zu schnappen, desto mehr würgten sie ihm rein. Schließlich betonierte ihm
der Brei aus Sand und Speichel die Kehle zu, und er erstickte. Er wurde
hingerichtet, weil er sich an ein Mädchen herangemacht hatte, das mit einem
führenden Mitglied verwandt und bereits versprochen war.
Sieben Jahre lang muss eine Witwe enthaltsam bleiben
Flirten, sich treffen, eine Nacht miteinander verbringen bedeutet Stress,
Risiko, Verantwortung. Valentino Galati war neunzehn, als er am 26. Dezember
2006 in Filadelfia, in der Provinz Vibo Valentia, verschwand. Valentino stand
dem ’Ndrina genannten örtlichen Familienclan nahe. Er trat der ’Ndrangheta bei
und arbeitete für den Boss Rocco Anello. Als dieser wegen organisierter
Erpressung im Knast landet (beim Bau eines kleinen Gleisabschnittes hatte ihm
jedes beteiligte Unternehmen 50 Euro pro Kilometer zahlen müssen), ist seine
Frau Angela Bartucca verstärkt auf die Unterstützung durch die ’Ndrina
angewiesen. Einkaufen, putzen, die Kinder zur Schule bringen. Valentino wird
bevorzugt in Anspruch genommen.
Rocco Anello
Leise und fast selbstverständlich entwickelt sich zwischen den beiden eine
Beziehung. Ihn zu bestrafen ist unumgänglich, und als er eines Tages wie vom
Erdboden verschluckt ist, wundert sich niemand im Dorf. Er hatte eine Affäre
mit der Frau des Bosses, also musste er mit dem Leben bezahlen. In den
Zeitungen erschien Angela Bartucca als eine Art Femme fatale, deren
Verführungskünste sogar die Angst vor dem Tod vergessen lassen. Eine Frau,
deren Liebe einem Todesurteil gleichkommt. Doch danach sieht sie gar nicht aus.
Ihr Bild zeigt ein nettes Mädchen, dessen einzige Schuld darin bestand, Spaß
haben zu wollen.
Ist der Mann hinter Gittern, bedeutet das für die Mafiafrauen totale
Enthaltsamkeit. Nur wenn ein älterer Boss mit einer jungen Frau verheiratet ist
und eine lange Haftstrafe verbüßen muss, kann er ihr gestatten, sich eine Art
Ersatzmann zu nehmen. Vorzugsweise ist dies der Dorfpfarrer oder, wenn der
nicht verfügbar ist, ein Bruder, Cousin oder sonst irgendein Verwandter.
Niemals ein Mitglied, das nicht blutsverwandt ist und dem die Beziehung
womöglich derart zu Kopf steigt, dass er den Gatten von seinem Platz verdrängt.
Viele Frauen, selbst die ganz jungen, sind schwarz gekleidet, und das fast
andauernd. Trauer um einen ermordeten Mann. Trauer um einen ermordeten Bruder,
Neffen, Nachbarn. Trauer, weil der Mann einer Arbeitskollegin, der Sohn eines
entfernten Verwandten umgebracht wurde. Und so gibt es immer einen Grund,
Trauer anzulegen. Darunter trägt man Rot. Die alten Frauen trugen rote Mieder,
um an das Blut zu mahnen, das gerächt werden musste, die jungen tragen rote
Dessous. Es ist die stetige Erinnerung an das Blut, das im Schmerz lebendig
bleibt, und das Schwarz bringt die erschreckend intime Farbe der Rache noch
stärker zum Leuchten.
Im Land des Verbrechens Witwe zu werden bedeutet, seine Identität als Frau fast
gänzlich zu verlieren und nur noch als Mutter zu existieren. Möchte eine Witwe
wieder heiraten, braucht sie dazu die Erlaubnis ihrer Söhne. Sie darf nur einen
Mann ehelichen, der innerhalb der Mafiahierarchie mit dem Verstorbenen
mindestens gleichauf ist, und das ohnehin erst nach sieben Jahren sexueller
Enthaltsamkeit und strenger Einhaltung der Trauer. Die Witwenzeit entspricht
der Dauer, die die Seele nach ländlichem Glauben für ihre Reise ins Jenseits
braucht.
Man wartet, bis sie dort angekommen ist, damit sie nicht mit ansehen muss,
wie sie mit einem anderen »betrogen« wird. Der charismatische Boss von San
Cipriano d’Aversa, Antonio Bardellino, wollte die Witwen von diesen
mittelalterlichen Zwängen und dem oktroyierten Schmerz befreien. Viele im Dorf
hören Don Antonio noch sagen: »Ins Paradies braucht man sieben Jahre, aber wir
wollen woandershin, und da ist man wesentlich flotter, nämlich in einer Nacht.«
Doch dann wurde Bardellino ermordet, der Schiavone-Clan kam an die Macht, und
es galten wieder die alten Regeln.
Antonio Bardellino
Im August 1993 wurde Paola Stroffolino mit einem Liebhaber ertappt. Sie war die
Frau des einflussreichen Bosses Alberto Beneduce, eines der Ersten, der die
Küste um Caserta direkt mit Koks und Heroin versorgte. Nach seiner Ermordung
hatte sie sich nicht an die sieben Jahre Witwenzeit gehalten. Der Clan
entschied, ihr ungebührliches Verhalten nicht durchgehen zu lassen. So wurde
für die Bestrafung ein enger Freund angeheuert. Unter dem Vorwand, mit ihnen
den ersten Mozzarella des Sommers verkosten zu wollen, lud er das Pärchen in
einen Gutshof nach Villa Literno ein.
Die beiden wurden mit einem einzigen Kopfschuss hingerichtet. Mehr war für
zwei Verräter und Ehrbesudeler nicht drin. Dann wurden die Leichen in einen
tiefen Brunnen geworfen. Die Witwe eines Bosses ist unantastbar, doch wenn ein
anderer Mann sie befleckt, ist es mit ihrem Status dahin. Die Kronzeugen
erklärten vor Gericht: »Bei uns ist ficken schlimmer als morden. Besser, man
bringt die Frau eines Bosses um. Da hat man zumindest die Chance, begnadigt zu
werden, aber wenn man sie fickt, ist man tot.« Sich lieben, miteinander
schlafen, sich küssen, beschenken, einander zulächeln, des anderen Hand
berühren, eine Frau verführen oder von ihr verführt werden kann ein fataler
Schritt sein. Der gefährlichste überhaupt. Der letzte. Wo Unerbittlichkeit
Gesetz ist, werden Gefühle und Leidenschaft, die sich an keinerlei Regeln
halten, mehr als alles andere mit dem Tod bezahlt.
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