Die Mafia ist ein schleichendes Gift, das
sich unbemerkt immer weiter ausbreitet" sagen Münchner Mafia-Jäger und
bringen damit eines der größten Probleme auf den Punkt. Camorra, Cosa Nostra
und ’Ndrangheta bilden in Bayern ein kriminelles Netzwerk.
Giuseppe C. lebte jahrelang unauffällig in
München, ging hier wie tausende seiner Landsleute zur Arbeit und zahlte seine
Steuern. Mit Freunden und Kollegen plauderte der 47-jährige Neapolitaner über
Fußball, die Formel1 und manchmal über die Familie. Dass er bei der Camorra
ist, erzählte er niemandem.
Eines Tages geriet Giuseppe C. in eine
Personenkontrolle. Dabei fiel auf, dass sein Ausweis gefälscht war. Die
Münchner Polizei erkundigte sich bei ihren Kollegen in Italien und erfuhr, dass
sie es mit einem gesuchten Mafioso zu tun hat. Ende Mai wurde der Neapolitaner
abgeschoben.
Viele Mafiosi tarnen sich als Köche oder Kellner
Giuseppe C. ist kein Einzelfall. Seit Jahren
gilt München als Rückzugsgebiet für Mafiosi, denen der Boden in Italien zu heiß
geworden ist. Wie viele es in der Stadt sind, lässt sich nicht abschätzen.
Unterschlupf und einen Job finden sie bei
Freunden oder Verwandten – meist in der Gastronomie. Sie arbeiten als Koch, als
Küchenhilfe oder Kellner, manche auch als Kuriere oder Bauarbeiter. „Sie
versuchen möglichst unauffällig zu bleiben und vermeiden Ärger mit der
Polizei“, erzählt Kriminaloberrat Clemens Merkl, Chef des Dezernat 3 beim
Polizeipräsidium München, zuständig für organisierte Kriminalität, „genau das
ist es, was unsere Ermittlungen so schwierig macht.“
Der letzte größere Fisch ging Fahndern 2012
ins Netz: ein in München lebender Italiener, der an der Deutsch-Schweizer
Grenze erwischt und der italienischen Justiz übergeben wurde.
Kokain und Autos - viel läuft über München
Die neapolitanische Camorra, die
sizilianische Cosa Nostra und die kalabrische ’Ndrangheta nutzen München aber
nicht nur als Rückzugsraum. Die ’Ndrangheta beispielsweise ist im Drogenhandel
äußerst aktiv und macht mit Kokain ein Vermögen.
Der Stoff kommt per Schiff aus Südamerika und
wird in ganz Europa verkauft. Das schmutzige Drogengeld wird anschließend
gewaschen. „Die Mafia tut das, in dem sie versucht, sich in die legale
Geschäftswelt einzukaufen“, erklärt Gerald Busch, Leitender Kriminaldirektor
beim LKA in München.
Ein weiteres lukratives Geschäftsgebiet der
italienischen Mafia sind Autoschiebereien: Luxuskarossen, teure Motorräder, die
in München verschwinden und dann in Afrika oder im Nahen Osten wieder auftauchen.
Schutzgeld? Gibt's - auch hier bei uns
Schutzgelder bringen der Mafia ebenfalls
Hunderte Millionen. Die betroffenen Wirte zahlen und schweigen – natürlich auch in München. „Das
Dunkelfeld ist enorm“ sagen Fahnder. Der Grund: Keines der Opfer traut sich zur
Polizei. Seit Jahren stand deshalb kein Schutzgelderpresser mehr in München vor
Gericht. 1993 wurden die letzten verurteilt.
„Die einzelnen Familien agieren völlig
unabhängig voneinander", betont Michael Feiler vom Verfassungsschutz.
Geheimdienst und Polizei verfolgen das Treiben der Mafia seit Jahren. Und doch
sind die Erkenntnisse spärlich. Die Clans schotten sich ab. „Wir kennen einige
Strukturen von Familien und Personen, die hier leben“, sagen Ermittler. Zwanzig
bis dreißig sollen es in München sein, in ganz Bayern etwas mehr als 200, heißt
es.
Die Mafia arbeitet verdeckt, zum Teil
konspirativ. Strohmänner übernehmen das Geschäft, versuchen die Transaktionen
zu verschleiern. „Die Mafia ist wie Seife“, sagt Clemens Merkl, „immer wenn wir
ein Stück haben, flutscht es uns wieder aus der Hand.“
Wirt verkauft, Wirt kauft - und die Mafia wäscht ihr Geld
Die Fäden im Hintergrund ziehen die Bosse in
Italien. Sie geben die Aufträge. Oft schicken die Paten Familienangehörige –
Söhne, Neffen, oder auch Leute, die nicht zur Familie gehören, aber dem Clan
loyal ergeben sind.
So wie im Fall eines 60-jähriger Sizilianers,
der in München eine Boutique betrieb. Besonders gut lief sein Laden nicht,
trotzdem hatte der Mann einen Ferrari und einen M 3 BMW in der Garage.
So etwas weckt die Neugier der Fahnder. Sie
nahmen den Mann unter die Lupe. Doch der behauptete, er habe das Geld geerbt.
Ob von einer reichen Tante auf Sizilien oder doch von der Cosa Nostra ließ sich
nicht klären. Die Polizei ist sich trotzdem sicher, dass er mit der Cosa Nostra
unter einer Decke steckt. Der 60-Jährige hat inzwischen umgesattelt und
betreibt in München eine Pizzeria für die Schickeria.
Eine typischer Tick der Mafia. „Dazu gehört
die Neueröffnung oder die spontane Schließung eines Restaurants und dessen
Wiedereröffnung kurze Zeit später“, berichtet Michael Feiler. Die Lokale
wechseln für horrende Summen den Besitzer – Drogengeld, das damit auf einen
Schlag sauber ist.
„Wichtig ist, die Finanzströme zu verfolgen
und aufzudecken", sagt Kommissariatsleiter Rudolf Wagner. „Wir müssen unsere
Arbeit deshalb noch mehr mit den Steuerbehörden verzahnen." In seinem
Kommissariat, zuständig für organisierte Kriminalität, arbeiten acht
Finanzermittler.
Vom Stoffhändler zum Multimillionär
Überall wo satte Gewinne locken, taucht auch
die Mafia auf – beispielsweise im Hotel- und Immobiliengeschäft. Die Deals
werden möglichst dezent und unauffällig abgewickelt. Systematisch werden die
Preise in die Höhe getrieben. Ein Bombengeschäft für die Mafia – legal und für
die Polizei schwer zu packen.
Im Gegensatz zu Banden aus Osteuropa und
Asien vermeidet die italienische Mafia Aktionen, die in der Öffentlichkeit für
Aufsehen sorgen. In München gibt es keine offenen Revierkämpfe im
Rotlichtmilieu oder blutige Schießereien wie im August vor zwei Jahren in Duisburg.
Damals gerieten vor der Pizzeria „Da Bruno“ zwei verfeindete Clans der
’Ndrangheta aneinander. Die Bilanz: sechs Tote. „Da ist etwas völlig außer
Kontrolle geraten“, vermuten Ermittler. Restlos geklärt ist der Fall bis heute
nicht.
Nach dem Blutbad von Duisburg wurde eine
deutsch-italienische Taskforce (DITF) gegründet. Das Bundeskriminalamt hat mit
Hilfe italienischer und deutscher Behörden eine Studie über die Mafia
zusammengestellt. Darin ist der Fall eines Kaufmanns beschrieben, der 1991 nach
München kam und heute ein einflussreicher Unternehmer mit einem
steuerpflichtigen Jahresumsatz von 665 Millionen Euro ist. „Hier ist nicht
nachvollziehbar, wie dieser Italiener innerhalb von 15 Jahren vom einfachen
Stoffhändler zum Multimillionär aufsteigen konnte“, so die BKA-Studie.
Interessant ist auch, dass Frauen bei der
’Ndrangheta eine immer wichtigere Rolle spielen. „Sie sind nicht mehr nur die
schweigenden und von Rache erfüllten Mütter und Ehefrauen, sondern vollwertige
Mitglieder des Clans. Mit ihren Aktivitäten unterwerfen sie sich allen Regeln
und Ritualen der Familie“, heißt es in der jüngsten Lageeinschätzung des
Verfassungsschutzes. Die Zeiten, in denen man einen Mafioso am Tattoo und am
Heiligenbildchen in der Anzugtasche erkannte, sind vorbei.
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