"Wehret den Anfängen" - auch wenn es längst zu spät scheint. Das hat sich Francesco Forgione gesagt und das Buch "Mafia Export" geschrieben. Er beschreibt darin die "Kolonialisierung" von Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta und einigen kleineren anderen Clans aus Italien. Denn längst ist die Mafia nicht mehr nur im Süden Italiens aktiv und verlangt mit abgesägter Schrotflinte Schutzgeld von Bauern und Pizzeria-Besitzern. Sie agiert global - und kolonialisiert, wie Forgione schreibt. Und am besten kolonialisiert ist seiner Meinung nach Deutschland.
Francesco Forgione |
Zu diesem Schluss kommt er nicht zuletzt wegen des Massakers vor dem
Restaurant "Da Bruno" in Duisburg 2007. "256 Schüsse, 6 Leichen,
viele Rätsel", schrieb die Presse damals. "Duisburg wurde zum
Verbrechensschauplatz, weil die neue globale Aufstellung der Ndrangheta dazu
führte, dass auch Nordrhein-Westfalen zum Mafia-Territorium wurde", sagt
Forgione.
Und er muss es wissen. Forgione ist ein Kenner der Mafia, ihres
Systems, ihrer Organisation, egal ob kalabresische 'Ndrangheta, sizilianische
Cosa Nostra oder neapolitanische Camorra. Forgione beobachtet ihr Vorgehen seit
Jahren. Er war von 2006 bis 2008 Vorsitzender der Antimafia-Kommission des
italienischen Parlaments. Der Soziologe und linke Politiker lebt seit 15 Jahren
unter Polizeischutz.
Das Krebsgeschwür wächst
Forgione liefert mit "Mafia Export" Zahlen, Daten, Fakten.
Er nennt Namen, erklärt Zusammenhänge und erstellt erstmals Karten über die
Verbreitung der Mafia-Clans - weltweit. Karten, die es bisher nicht gab, über
die nicht einmal die italienischen Antimafia-Einheiten wie die Catturandi der
DIAverfügen. In mühevoller Fleißarbeit arbeitete er Prozessakten,
Ermittlungsberichte, also öffentlich zugängige Quellen durch.
Er findet heraus, dass - egal wo sich die Mafiosi niederlassen - sie
früher oder später die legalen Strukturen infiltrieren. Ihre Arme können dann
bis in die höchsten politischen Zirkel reichen: In Amerika ist die Mafia
bereits seit mehr als 100 Jahren aktiv, in Australien mehr als 60. Vor allem in
„Down Under“ konnte sie bisher eine strengere Gesetzgebung gegen organisierte
Kriminalität verhindern.
Und das ist kein Einzelfall. Die weitreichenden Antimafia-Gesetze
Italiens sind ein Einzelfall. Auch deshalb konnten die Mafia Morde von Duisburg
passieren, wie Forgione schreibt. Er fordert daher europaweit einheitliche
Anstrengungen, um die kriminellen Machenschaften erfolgreicher zu bekämpfen und
um das typische Muster von Wegschauen, Verniedlichen und Totschweigen sowohl in
der Öffentlichkeit, als auch in Medien und Politik zu durchbrechen.
Wie
tickt die Mafia?
"Mafia Export" ist ein Sammelsurium an Fakten und
Vorgehensweisen der Mafia-Clans auf ihrem Weg zum globalisierten Profit: In
Deutschland läuft es - Forgione beschreibt das am Beispiel der 'Ndrangheta - in
der Regel so: Ein Mafiosi eröffnet eine Pizzeria und verkauft sie wenig später
an einen nahen Verwandten. Mit dem Geld eröffnet er eine weitere Pizzeria und
verkauft diese auch wieder an einen mittlerweile in Deutschland lebenden nahen
Angehörigen.
Irgendwann kommt dann ein Import-Export-Geschäft hinzu für
italienische Nahrungsmittel. In den Pizzerien wird dann meist in einem
Hinterkämmerchen der örtliche Drogenhandel abgewickelt. Über den Im- und Export
wird das Geld gewaschen. So werden illegale mit legalen Geschäften vermischt
und die Trennlinie zwischen beiden verschwimmt.
Die
Mafia AG
Hervorzuheben ist noch ein weiterer Fakt: Der Jahresumsatz von
Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta beläuft sich laut diversen
Forschungsinstituten auf 180 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Deutschlands
drittgrößter Industriezweig, die Chemiebranche, peilt 2011 einen Gesamtumsatz
von 180 Milliarden Euro an. Die Branche beschäftigt mehr als 400.000 Menschen.
Auch der Gewinn kann sich mehr als sehen lassen: 70 Milliarden bis 80
Milliarden Euro. Zum Vergleich: Die Deutsche Bank peilt 2011 einen operativen
Gewinn von 10 Milliarden Euro an. Der weltgrößte Ölkonzern ExxonMobil kam 2010
auf "nur" 30,5 Milliarden Euro Gewinn. Erschreckende Zahlen, vor
allem wenn man bedenkt, dass durch die "sozialen und wirtschaftlichen
Effekte der Schutzgelderpressung" pro Tag 250 Millionen Euro (160.000 Euro
pro Minute) dazukommen.
Der
"Kokain-Zyklus"
In Südamerika beginnt der sogenannte
Kokain-Zyklus. Der Großteil des Mafia-Geldes stammt aus Drogengeschäften. Auch
hierfür liefert Forgiones Buch erstaunliche Zahlen: 2008, rechnet er vor,
wurden allein auf dem italienischen Markt zwischen 100 und 150 Tonnen Kokain
verkauft. Dabei handelt es sich um reinen Stoff. Dieser wird in der Regel noch
verschnitten, bevor er zum "Verbraucher" gelangt. Damit steigt die
Menge des Kokains um das "Vier- bis Viereinhalbfache". Allein für
Italien heißt das, dass 2008 400 bis 450 Tonnen Kokain an den Endverbraucher
gelangt sind.
"Bei den kolumbianischen und bolivianischen Produzenten kosten
ein Kilo Kokain zwischen 1200 und 1500 Euro", schreibt Forgione: "Im
Großhandel bringt dieses Kilo dann um die 40.000 Euro." Er erläutert:
"Laut Uno werden Jahr für Jahr in Südamerika 994 Tonnen reines Kokain
produziert. Nach dem Verschnitt ergibt dies 4473 Tonnen gebrauchsfertiges
Kokain, die auf den Weltmarkt gelangen." Ein Gramm davon kostet "im
Einzelhandel etwa 70 Euro". Das mache dann pro Jahr eine unglaubliche
Summe von 313,1 Milliarden Euro, inklusive Zwischenhandelsmargen sogar 354,6
Milliarden Euro".
Allein für die in Italien an den Mann und de Frau gebrauchte Menge Kokain bedeutet das grob überschlagen einen Wert von 30 Milliarden bis 35 Milliarden Euro. "Auf der ganzen Welt gibt es kein Geschäft, das einen höheren Mehrwert und größeren Gewinn bringt", so das Fazit Forgiones.
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