Droht Italien ein neuer
Mafia-Krieg? Italien ist schockiert über die Drohungen, die der 83-jährige Boss
Toto Riina vom Gefängnis aus ausgestoßen hat. Er ruft offen den Nachwuchs zum
Morden auf.
In Italien steht der Mafia-Pate Salvatore "Toto" Riina, auch genannt der "Boss der Bosse", vor Gericht. Es ist nicht der erste Prozess, bei dem er in einem Käfig auf der Anklagebank sitzen muss. |
Ein riesiges Plakat hängt im
Justizpalast von Palermo, darauf 50 Porträts von Menschen, meist fröhlich
lächelnd. Aber das Manifest ist kein Werbeplakat, sondern ein Mahnmal. Alle 50
waren Richter, Polizisten, Politiker, Journalisten, die ihr Leben hier in Palermo
dem Kampf gegen die Mafia geopfert haben. Darunter auch der schnauzbärtige
Giovanni Falcone und sein Kollege Paolo Borsellino, beide 1992 ermordet durch
Bombenattentate, gemeinsam mit ihren Bodyguards und Falcones Ehefrau.
Auch
Staatsanwalt Antonino Di Matteo, 52, geht regelmäßig daran vorbei, wenn er,
umringt von seinen schwer bewaffneten Personenschützern, durch das riesige
Foyer eilt. Di Matteo ist auf die Fahndung von Mafia-Verbrechern spezialisiert.
Zurzeit ist er Ankläger in einem besonders brisanten Prozess: Es geht um die
"Trattativa", die Verhandlung, womit ein Pakt zwischen Staat und
Mafia bezeichnet wird. Dafür hat er sich den Hass vieler zugezogen, von
Politikern und Polizisten, vor allem aber den des Paten Toto Riina.
Staatsanwalt Di Matteo (links) und Generalstaatsanwalt Scarpinato (Mitte) |
"Man
müsste ihn ermorden, eine regelrechte Hinrichtung daraus machen ... wir müssen
ein richtig großes Ding organisieren", hat Riina einem Mithäftling
anvertraut und hinzugefügt: "Ich würde ihn umbringen wie einen
Thunfisch!" Das hat Symbolkraft: Der traditionelle Thunfischfang in
Sizilien, der "Mattanza" (zu Deutsch: das Abschlachten), ist bekannt
für die Brutalität, mit der die Fische eingekreist, erdolcht und getötet
werden. "Wäre ich noch draußen, hätte ich die Schlachterei
fortgesetzt!", so der 83-Jährige.
Nachwuchs zum Mord aufgerufen
Für genau diese "Schlachterei"
ist Riina nicht mehr draußen, in seiner sizilianischen Heimat, sondern seit 21
Jahren hinter Gittern, 1600 Kilometer nördlich von Palermo, in Mailand. Er ist
verurteilt wegen vielfachen Mordes und die meisten der großen Mafia-Attentate
der vergangenen 30 Jahre, auch die Bombenanschläge von 1992. Dafür wird Riina
bis ans Lebensende im Hochsicherheitstrakt der Haftanstalt "Opera"
bleiben müssen.
Trotzdem haben seine brutalen Worte
Italien schockiert. Schon im Dezember waren erste Drohungen bekannt geworden,
und Innenminister Angelino Alfano ließ umgehend die Sicherheitsmaßnahmen für
alle Mafia-Fahnder in Sizilien aufstocken. Aber nun wurde schlagartig klar,
dass die Macht Riinas ungebrochen ist.
Das geht aus den Auszügen der Videomitschnitte
hervor, die als Beweismaterial zu den Prozessakten im Verfahren um den
"Pakt Mafia-Staat" gehören und die jetzt von italienischen Medien
veröffentlicht wurden. Darin berichtet Riina seinem Mithäftling, dem apulischen
Mafia-Boss Alberto Lorusso, beim Freigang in einem abgeschirmten Innenhof der
Haftanstalt allerhand Grausames, auch, dass das Morden ihm früher Spaß gemacht
habe.
Alberto Lorusso - Mafia-Boss und Vertrauter Riinas
Es entfährt ihm sogar ein unfreiwilliges
Eingeständnis der Verbrechen, für die er später verurteilt wurde. Wer keine Mafia-Fahnder
ermorde, sei ein "Feigling". Und er stellt klar: "Ich habe meine
Pflicht getan. Jetzt macht ihr weiter und amüsiert euch" – das dürfte eine
Aufforderung an den Nachwuchs der "Familie" auf Sizilien sein.
Mithäftling Lorusso sichert daraufhin umgehend die logistische Unterstützung
zu: "Wir haben ein Arsenal."
Domenico Lorusso - Mithäftling von Riina "Wir haben genügend Waffen und Killer im Arsenal, um eine Menge Staatsanwälte zu liquidieren..." |
Risiko ist einkalkuliert
Hat Staatsanwalt Di Matteo Angst vor
solchen Drohungen? Am Telefon ist seine Stimme leise, manchmal macht er Pausen,
sagt dann aber bestimmt: "Wer meinen Beruf macht, muss dieses Risiko
einkalkulieren. Ich konzentriere mich auf meine Arbeit." Di Matteo hat
sich an das Panzerglas, hinter dem er seit 20 Jahren lebt, längst gewöhnt. Er
hat ständig neun persönliche, schwer bewaffnete Bodyguards um sich.
Weitere 30 Polizisten sichern sein
Wohnhaus und die Straßen, wenn er mit seiner Autokolonne aus gepanzerten Wagen
und Sirenengeheul durch die Stadt fährt. Lange Strecken legt er nur im
Hubschrauber zurück. Erst als man ihm ein gepanzertes Militärfahrzeug verordnen
wollte, lehnte der Staatsanwalt ab. Morddrohungen gehören eben zum Alltag von
Mafia-Fahndern.
Trotzdem ist dieses Mal alles anders.
"Was Riina sagt, ist ein Mandat, keine Drohung", schreibt der
Journalist Marco Travaglio. Auch Di Matteo weiß das, er gesteht im Gespräch mit
der "Welt" ein: "Ich habe so etwas nie erlebt: Es ist das erste
Mal, dass mithilfe von Wanzen eine Todesbotschaft aufgezeichnet wird,
ausgesprochen von dem Mann, der der Hauptverantwortliche der wichtigsten
Mafia-Attentate der letzten Jahrzehnte ist. Es ist das erste Mal, dass er
ausdrücklich von einem Mordprojekt spricht."
Deal mit Hafterleichterung
Auslöser dürfte der Prozess um die
Trattativa sein, der seit einem halben Jahr läuft. Es soll bewiesen werden,
dass Staatsvertreter in den 90er-Jahren mit der Cosa Nostra verhandelten.
Damals tobte ein regelrechter Krieg zwischen Mafia und Regierung. Jedes Jahr
starben etliche Polizisten, Richter, Politiker. Um das Morden zu beenden,
sollen hochrangige Staatsdiener Hafterleichterungen im Tausch gegen einen
Waffenstillstand ausgehandelt haben. Tatsächlich hörte das Töten nach dem Tod
der Richter Falcone und Borsellino 1992 auf.
Ein Dutzend Politiker, Polizisten und
Verbrecher stehen gemeinsam vor Gericht, die Anklageschrift ist neun Seiten
lang, dazu kommen 120 Aktenordner und 178 Zeugen. Am 30. Januar ist der nächste
Verhandlungstermin. Dann wird auch Riina wieder im Gerichtssaal sein, wie an
jedem Tag und – wie üblich für Mafiosi dieses Kalibers – in einem Gitterkäfig.
Nachdem Ankläger Di Matteo ankündigte,
ihn mit wichtigen Beweisen konfrontieren zu wollen, geriet Riina angeblich
einem Mitgefangenen gegenüber außer sich: "Wenn der vor mir steht und mich
mit seinen Blicken fixiert, könnte ich durchdrehen. Er wird dafür büßen!"
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