Freitag, 2. Mai 2014

Mafiosi - „Reden, um zu lügen“

...ein Interview mit Petra Reski

WAZ-Redakteur Frank Osiewacz sprach mit Petra Reski über die Wahrscheinlichkeit, von einem Mafia-Boss ehrliche Auskünfte zu erhalten, über die öffentliche Verbreitung von Mafia-Musik, über einen umstrittenen Fotoband und über die Sichtweise zum Thema Mafia in Deutschland.


Petra Reski


Frage:
Ist es für Sie denkbar, dass ein Mafia-Boss derart freizügig mit einem Autoren redet und diesen in innere Angelegenheiten einweiht wie es in „Die Ehre des Schweigens“ suggeriert wird?

Reski:
Der Titel „Die Ehre des Schweigens. Ein Boss packt aus“ ist bereits ein Widerspruch: Es ist schlechterdings unmöglich, gleichzeitig zu schweigen und auszupacken. Die Ehre eines Mafiosos beruht auf seiner Verschwiegenheit. Das ist eine Binsenweisheit, die sich inzwischen auch in Deutschland herumgesprochen haben sollte. Und dies umso mehr, als der vermeintliche Boss unter falschem Namen redet, damit das, was er sagt, nicht nachgeprüft werden kann. Ein Mafia-Boss, der quatscht, kann keiner sein. Er wäre so etwas wie trockenes Wasser. Ein Mafioso, der mit Fremden über innere Angelegenheiten redet, wäre ein „Quaquaraqua“, ein Schwätzer – und damit nicht vertrauenswürdig. Und ein Boss, der nicht vertrauenswürdig ist, ist kein Boss.

Frage:
Sollte jemand tatsächlich reden, welchen Zweck erkennen Sie dahinter?

Reski:
Mafiosi reden nur, um zu lügen – um ihr Tun zu verschleiern, um Ermittlungen im Sande verlaufen zu lassen, um ihre Gegner zu diffamieren, um sich selbst in ein gutes Licht zu stellen. Und dieses gute Licht kann auch eine folkloristische Sicht sein, etwa die vom einsamen Wolf, der wie eine Art Robin Hood gegen den bösen italienischen Staat kämpft. Jeder Boss ist glücklich, wenn es ihm gelingt, eine solche Botschaft unter die Leute zu bringen. Daher ist es überhaupt nicht schwer, mit Mafiabossen zu reden, ganz im Gegenteil. Die Bosse haben das größte Interesse daran, ihre Lügen zu verbreiten. Die Frage ist viel mehr, ob man sich als Journalist zum Sprachrohr für Mafiapropaganda machen will.

Frage:
Die Musikband „Malacarne“ bindet Fotos und Texte als seriös bekannter Autoren an zwei CDs mit so genannter Mafia-Musik. Wie würden Sie diese Kopplung kommentieren? In Italien darf dieser Band ja nicht erscheinen.

Reski:
Bemerkenswert an dieser Geschichte ist, dass die Autoren, zumeist engagierte Antimafia-Kämpfer wie Roberto Saviano, der Staatsanwalt Nicola Gratteri oder Rita Borsellino, die Schwester des von der Mafia ermordeten Staatsanwalts, überhaupt nicht wussten, dass dem Bildband die Mafia-Musik beigelegt wurde. Als sie davon erfahren haben, distanzierten sie sich umgehend davon: „Wir sind um einen redaktionellen Beitrag für einen Fotoband gebeten worden. Aber niemand hat uns über die Entscheidung informiert, dieses Buch mit den Liedern der Mafia zu vertreiben, neomelodiöse’ Lieder, die die ‘Ndrangheta und die Camorra lobpreisen – bis hin zur Verhöhnung des Opfertodes des Generals Dalla Chiesa. Unsere Geschichte und unsere Arbeit dürfen nicht in die Nähe von Aktionen wie die der Musik der Mafia gerückt werden, die eine bestimmte Art von Beurteilung oder Verherrlichung der Verhaltensweisen der ‘Ndranghetisti oder Camorristi rechtfertigen.“

Frage:
Es ist von erfolgreicher Vermarktung der Mafia-Musik die Rede. Verbietet sich diese Vermarktung nicht von vornherein?

Reski:
Nicht zufällig wird diese Mafia-Musik vor allem in Deutschland vermarktet, einem Land, dem die „kulturellen Antikörper“ gegen die Mafia fehlen, wie es der Antimafia-Staatsanwalt Roberto Scarpinato kürzlich feststellte. In Italien würde sich niemand trauen, die Mafia-Musik als „Kulturgut“ darzustellen, ganz so, als handele es sich um eine experimentelle Musikrichtung.

Frage:
Auf welchem Stand in Sachen Mafia-Kenntnis sehen sie das deutsche Publikum? Mafia als Folklore-Truppe oder -Phänomen?

Reski:
Für die meisten Deutschen ist die Mafia immer noch eine Mischung aus Sopranos und „Der Pate“. Die Mafia selbst ist sehr daran interessiert, dass sich das nicht ändert. Denn der Siegeszug der Mafia in der Welt beruht keineswegs allein auf Gewalt, sondern vor allem auf Geld und guten Worten: Damit am Ende des Propagandafeldzuges geglaubt wird, dass es sich bei der Mafia um eine etwas schräge Folklore-Truppe handelt, ein vom Aussterben bedrohtes Völkchen, das irgendwo in den Schluchten des kalabrischen Aspromonte-Gebirges singt, tanzt und sich hin und wieder umbringt. Die Mafia ist aber keine Folklore, sondern eine totalitäre Organisation, die das menschliche Leben, die Freiheit und die Demokratie verachtet – wie einst auch der Nationalsozialismus. Für den die Propaganda ebenfalls ein wesentliches Machtinstrument war. Diese Parallele sollte uns Deutsche eigentlich misstrauisch stimmen. Eigentlich.

Frage:
Und auf welchem Stand sind die Behörden?

Reski:
Was die Gesetzeslage betrifft, sind sie auf dem Stand, den die Politiker ihnen gewähren. Seitdem der internationale Terrorismus in Deutschland öffentlichkeitswirksam als Feind Nummer eins der inneren Sicherheit betrachtet wird, wurden viele Beamte aus den Strukturermittlungen gegen die Mafia abgezogen. Es ist für viele Polizeibeamte frustrierend, dass sich kein Politiker für das Thema „Mafia in Deutschland“ engagiert. Denn die Polizisten wissen sehr gut, wie erfolgreich sich die Mafia in Deutschland bewegt. Aber solange sich die Politiker dafür keine Wählerstimmen versprechen, interessiert sie das Thema Mafia in Deutschland nicht.

Frage:
Wie erkennt der Laie überhaupt einen seriösen Autor?

Reski:

Daran, dass er nicht versucht, die Motive der Mafia zu verklären. Und die Mafiosi nicht als Opfer des italienischen Staats darstellt. Es gibt bei der Sicht auf die Mafia keinen Interpretationsspielraum. Sondern nur zwei Möglichkeiten: Man ist entweder dafür. Oder dagegen.
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