Sonntag, 17. November 2013

Gemüse auf dem Giftacker der Mafia

Der Lebensmittelhandel meidet Produkte aus Kampanien, weil Süditalien der Müllkrise nicht Herr wird
 
Mal sind es zwanzigtausend Demonstranten, mal viertausend; an diesem Sonnabend sollen es mindestens fünfzigtausend werden. In immer neuen Protestzügen lehnen sich die Menschen nördlich von Neapel auf gegen die hunderttausenden Tonnen von wild deponiertem Giftmüll, der Land und Brunnen verseucht; gegen die tagtäglichen, meist vorsätzlich gelegten Brände in legalen und illegalen Abfalldepots, die Luft und Lungen mit Dioxin verpesten; gegen die Politik, die dem Treiben der Camorra und der industriellen Müll-Profiteure fünfundzwanzig Jahre lang tatenlos zugesehen habe – und gegen den Krebs, der in dieser Gegend nach medizinischen Studien entschieden häufiger zuschlägt als anderswo.





„Wir sind es müde, so viele Kinder auf den Friedhof zu tragen.“ Maurizio Patriciello, Pfarrer und Protestführer im „Feuerland“ zwischen Neapel und Caserta, hat das neulich der Umweltministerin entgegengeschleudert. Und diese wusste nicht viel zu entgegnen.

Den Stein ins Rollen gebracht hat ein früher führender Mafioso. Carmine Schiavone aus dem Clan der Casalesi – geoutet und berühmt geworden durch Roberto Savianos Buch „Gomorrha“ – legte im August eine ausführliche Fernsehbeichte ab. Er berichtete, wie sein „System“ so vielen norditalienischen Unternehmen geholfen hat, ihren Sonder- und Giftmüll kostensparend zu entsorgen.



 


Er erzählte von Sandgruben an den Stränden, von Fischteichen und von Steinbrüchen im Hinterland, in denen nächtens Lastwagenkolonnen ihr undeklariertes Zeug abladen durften, geleitet durch „eine geradezu militärische Organisation von Camorristi in gefälschten Polizeiuniformen“. Auch „radioaktiven Schlamm aus Deutschland“ habe man verschwinden lassen. „Wir wussten“, sagte Schiavone, „dass in zwanzig Jahren hier alle an Krebs sterben würden.“ Dass die Sache lukrativ war für die Casalesi, wegen fehlenden Fahndungsdrucks und mangelnder Sanktionen auch noch entschieden risikoärmer als der Rauschgifthandel, das alles wussten die Staatsanwälte lange vor Schiavones Auftritt.


 


Bekannt war auch, dass Mülltransporte dieser Art und Dauer nicht ohne Wissen von Kommunalpolitikern abgewickelt werden konnten, und dass so manche Bauern unter ihren Gemüsefeldern – gegen gutes Geld natürlich – Depots anlegen ließen. Doch erst jetzt wird tatsächlich nachgeschaut. Erst jetzt hat das Parlament das sechzigseitige Protokoll einer geheimen Anhörung freigegeben, in der Schiavone schon 1997, also vor sechzehn Jahren, das Müllgeschäft in unzähligen Facetten beschrieben hat. Erst heute kommen verrostende Fässer tatsächlich ans Tageslicht. Heute rückt der Schrecken den 300 000 Einwohnern von „Feuerland“ direkt auf den Leib. Von einem „Tschernobyl“ sprechen die einen, die anderen von „Aids“ oder „Pest“.

Aber es ist nicht nur die Angst um die Gesundheit. In Kampanien, der drittgrößten Agrarregion Italiens, erzeugt die Landwirtschaft einen Jahresumsatz von drei Milliarden Euro. 136 000 Firmen und 65 000 Jobs hängen an ihr. Anders als der Rest der regionalen Ökonomie boomt die Branche; vergangenes Jahr hat sie ihre Arbeitsplätze um ein Zehntel ausgeweitet. Und jetzt? Nach den Giftmüllberichten hat der nationale und der exportorientierte Großhandel seine Nachfrage nach kampanischem Obst und Gemüse um ein Drittel zurückgefahren. So berichtet es die Wirtschaftszeitung „Il Sole 24 Ore“. Und Promos, ein von Handelskammern, Universitäten und Provinzen getragenes Forschungsinstitut, urteilt: „Der Großhandel hat ein Veto gegen kampanische Produkte ausgesprochen. Er hat kapiert, was bei uns los ist: das Chaos. Es gibt keine Kontrollen. Woher die Produkte kommen, lässt sich nicht zurückverfolgen. Es gibt keine Sicherheit für die Kunden. Man vertraut uns nicht. Es ist ein Drama.“


 

Von wegen, sagen sie in der Regionalregierung: Tomaten, Brokkoli, Fenchel, Kartoffeln, Salat, Pfirsiche – alles sei „superkontrolliert“. So versichert es Ministerpräsident Stefano Caldoro: „Wir haben die besten Erzeugnisse Italiens, die beeindruckendsten Landschaften, das schönste Meer.“ Die verseuchten Äcker, das seien nicht einmal fünf Prozent der gesamten Anbaufläche: „Also Hände weg von unserem schönen Kampanien!“ Doch selbst Caldoros Landwirtschaftsassessorin, Daniela Nugnes, muss zugeben, dass die Ergebnisse der Lebensmittelanalysen „in der Schublade geblieben“ sind. Kampanien, so vermeldet das nationale Gesundheitsministerium, habe als einzige Region Italiens die Untersuchungen zu problematischen Rückständen in Lebensmitteln nicht nach Rom gemeldet: „Sie haben gesagt, das liege an Computerproblemen.“

Was soll jetzt getan werden? „Etwas“, fordern die Demonstranten, „und zwar möglichst schnell.“ Was das genau sein soll, weiß niemand. Die verseuchten Böden sanieren – von zweitausend bekannten Problemflächen spricht die regionale Umweltbehörde Arpac – wird nach Ansicht von Ministerpräsident Caldoro „achtzig Jahre dauern“. Kenner regionaler Vorgänge wie der Antimafia-Staatsanwalt Franco Roberti und der Chefredakteur der neapolitanischen Tageszeitung „Corriere del Mezzogiorno“, Marco Demarco, befürchten eines: dass nun auch die Millionen, die Rom für die Sanierung des Bodens womöglich nach Neapel überweist, in den Händen der Camorra landen. Und dass das Gelände dann sauber würde, ist noch lange nicht garantiert.

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