Mittwoch, 17. Juni 2015

Bestechung – strategische Waffe der Mafia


Italien gilt als das korrupteste Land Europas. Das organisierte Verbrechen arbeitet heute vorzugsweise mit Bestechung statt mit Gewalt.




Ein Kilometer der Hochgeschwindigkeitsstrecke Mailand–Turin verschlingt 74 Millionen Euro. In keinem anderen Land Europas ist Infrastruktur so teuer wie in Italien. In Spanien kostet die Strecke Madrid–Valladolid gut 30 Millionen Euro pro Kilometer. In Frankreich genügen auf der Strecke Lyon–Paris weniger als 2 Millionen Euro pro Kilometer. 

Die Erhebung der amerikanischen Reason Foundation bestätigt, was die Italiener längst wissen: Ihr Land ist durch und durch korrupt. Bei jedem dritten öffentlichen Bauauftrag gehe es nicht mit rechten Dingen zu, heißt es im jüngsten Jahresbericht der Finanzpolizei Guardia di Finanza. Korruption macht Italien arm. Jedes Jahr werden nach offiziellen Schätzungen rund 60 Milliarden Euro dem Staat und der Privatwirtschaft geraubt. 

Bestechung und Bestechlichkeit sind für Raffaele Cantone, den Chef der vor einem Jahr geschaffenen nationalen Antikorruptionsbehörde, das schlimmste aller italienischen Übel. Korruption, sagt er, sei das Virus, das die ganze Gesellschaft verseucht habe. Italien sei das korrupteste Land Europas, behaupten auch Vertreter von Transparency International. Es ist demnach noch korrupter als Bulgarien und Griechenland, die lange Zeit die Rangliste anführten.


Geld und Gefälligkeiten

Schmiergeld floss beim Bau des Hochwasserschutzes «Mose» für Venedig und bei den Vorbereitungen für die Expo in Mailand. Von einer «Cupola», ähnlich strukturiert wie die sizilianische Mafia, sprach die Staatsanwaltschaft, als sie im letzten Jahr einen Bestechungsring in Rom auffliegen ließ. Dieser hatte sogar aus Sozialhilfe für Gefängnisinsassen und Einwanderer Profit geschlagen.

Kürzlich musste Verkehrsminister Maurizio Lupi zurücktreten, weil er falsche Freunde hatte, die wegen Korruptionsverdacht verhaftet wurden. Die beiden Festgenommenen hatten dem Sohn des Ministers einen Posten besorgt und ihn mit teuren Geschenken verwöhnt. Der Minister war deshalb für Ministerpräsident Matteo Renzi nicht mehr tragbar. Wegen unlauterer Geschäfte wurde vor kurzem auch der Bürgermeister von Ischia festgenommen. Er hatte beim Bau von Gasleitungen auf der Ferieninsel eine Firma begünstigt, die ihm 300 000 Euro in bar zuschob, seiner Familie eine Ferienreise nach Tunesien schenkte und seinem Bruder eine feste Stelle besorgte.

Aber auch im kleineren Rahmen wird überall bestochen. So wunderte sich eine junge Wirtin in einem kleinen Ferienort am Comersee, warum nie Gäste einer nahe gelegenen Ferienanlage bei ihr essen. Sie hatte versäumt, wie ihr später ein Freund erklärte, an der Rezeption einen Briefumschlag mit Geld für den Portier zu hinterlegen.

«Für Italiener ist Korruption eine ganz natürliche Sache», sagt der Mailänder Soziologe und Politologe Nando dalla Chiesa. Vor ein paar Jahren gründete er die Beobachtungsstelle Organisiertes Verbrechen, die vor allem die Machenschaften der ursprünglich kalabrischen 'Ndrangheta im Norden Italiens untersucht. «Die Mafia gedeiht mit der Korruption, und Korruption gedeiht durch die Mafia», sagt der 65-jährige Universitätsprofessor, der an der Università degli Studi in Mailand im Fachbereich Soziologie des organisierten Verbrechens unterrichtet. Er war zudem Parlamentsabgeordneter und ist Autor mehrerer Bücher über Mafia und Korruption. Sein Vater, der Polizeigeneral Carlo Alberto dalla Chiesa, wurde 1982 von der Mafia in Sizilien umgebracht.

Jahrzehntelang terrorisierte die Mafia Italien. Als 1992 Mafia-Killer die Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Emanuele Borsellino mit Sprengstoff in die Luft jagten, war ganz Italien schockiert. Der Gesetzgeber erließ strengere Gesetze, und die Bevölkerung fing an, sich gegen die Gewalt der Mafia zu wehren. Diese wurde dadurch nicht ausgerottet, aber geschwächt. Sie änderte ihre Methoden. Die Mafia machte, um sich auszubreiten, Korruption zur «strategischen Waffe», wie es im jüngsten Bericht der nationalen Antimafia-Kommission heißt Das Kalkül war einfach. «Mit Morden riskiert die Mafia hohe Gefängnisstrafen, Korruption birgt jedoch keine große Gefahr», sagt dalla Chiesa.

Der Gesetzgeber tat in den vergangenen 20 Jahren viel, um gegen das organisierte Verbrechen vorzugehen. «Korruption und Wirtschaftskriminalität wurden aber ausgeblendet», kritisiert der Staatsanwalt Franco Roberti. Dabei drangen Mitglieder des organisierten Verbrechens inzwischen bis in die Spitze italienischer Wirtschaftsunternehmen vor, vor allem im Norden Italiens. So konnten sie den Wiederaufbau nach den Erdbeben in der Emilia Romagna und den Abruzzen ebenso kontrollieren wie die Baustellen für die Expo.


Schutz für Verbrecher

Anders als die meisten Italiener haben Mafiabosse keine Liquiditätsprobleme. Sie seien offenbar die Einzigen, die noch Geld zum Investieren hätten, sagen Staatsanwälte. Aus Ermittlungsakten geht hervor, dass es keine Ausnahme mehr ist, wenn sich Wirtschaftsmanager, Verwaltungsdirektoren, Politiker und auch Mitglieder der Sicherheitskräfte in Gesellschaft von Clan-Mitgliedern befinden und sich mit Geld und Gefälligkeiten korrumpieren lassen. «Bestechung schafft stille Komplizenschaft, die anders als Bomben keinen öffentlichen Protest hervorruft», sagt der Soziologe dalla Chiesa.

Mit strengeren Gesetzen will die Regierung Renzi der Korruption nun Einhalt gebieten. Im Parlament wird allerdings um jedes Komma gerungen, wenn etwa die Verjährungsfrist bei Fällen von Bestechung um ein gutes Jahr auf acht Jahre und neun Monate verlängert werden soll. Ob das abschreckt? In Italien fehlt es bei vielen immer noch am politischen Willen, gegen Bestechung vorzugehen.

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