Montag, 29. Juni 2015

Rom versinkt knietief im Müll

Roms Straßen ersticken im Dreck und Abfall - eine der Folgen eines riesigen Skandals, der schon diverse Lokalpolitiker in den Knast gebracht hat. Nun wird das römische Desaster sogar für Premier Renzi gefährlich.




Mitten in Rom. Berge von Müll. Eine Gruppe amerikanischer Touristen. «Wie das hier aussieht!», sagt einer. «Wie in Afrika», sagt die Frau neben ihm. Dann gehen sie weiter. Zigarettenschachteln, Limo-Flaschen und Cola-Dosen am Straßenrand werden sie auch weiter begleiten, denn in Rom wird viel weggeworfen und wenig weggeräumt. 

660 Kilo Müll produziert ein durchschnittlicher Römer pro Jahr, zu viel für die städtische Müllabfuhr. Die Container quellen über, rechts und links liegen aufgeplatzte Säcke. Die tagelang nicht geleerten Biomülltonnen sind ein Eldorado für Möwen: Sie verstreuen die Fisch- und Obstreste auf dem Bürgersteig.

Mehr als zehn Millionen Besucher kommen pro Jahr in die vielleicht schönste Stadt der Welt. Sie sind begeistert von den Kultur- und Kunstschätzen, aber entsetzt über den maroden Zustand der italienischen Metropole: Straßen und Bürgersteige voller Löcher, brüchiger Beton in Unterführungen ohne Licht, Abfall an fast jeder Ecke.

Wo die Römer wohnen, ist es noch viel schlimmer als im Centro Storico, wo die Touristen flanieren. «Ich fahre nicht mehr mit der Vespa», sagt Loredana. Sie ist hier geboren, ihr Leben lang mit dem Motorino gefahren, wie die meisten Römer. «Es geht nicht mehr», sagt sie, «ich bin dreimal gestürzt, weil man die tiefen Schlaglöcher im Dunklen nicht sieht».




Die gefährlichen Löcher sind Ergebnis der Profitgier: Die Kiesschicht und die Asphaltdecke auf den Straßen sind allenfalls halb so hoch, wie sie sein müssten, dadurch erhöhen sich die Gewinne der Unternehmer. Die Fahrbahnen sind natürlich gleich wieder kaputt. Eine der Folgen: Rom ist die Stadt mit den meisten Verkehrstoten in Italien.

Loredanas Ehemann, Roberto, fährt nicht mehr Bus. «Zu Fuß bin ich schneller», sagt er. Die Busse bleiben ständig im Verkehrsgewühl hängen. Aus Verzweiflung suchen Busfahrer mitunter aufs Geratewohl Ausweichstrecken. Die Menschen an den regulären Haltestellen warten dann vergeblich.

Die demoskopische Talfahrt von Renzi und seinen Sozialdemokraten hat viel mit dem Zustand in der ewigen Stadt zu tun. Und der wiederum ist das Ergebnis eines rigiden Netzwerks aus Politik und Mafia. Nicht der bekannten süditalienischen Gangster-Syndikate, sondern der hausgemachten römischen «Mafia Capitale». 

Dass es die überhaupt gibt, wollten die meisten Römer lange nicht glauben. Bis im vorigen Dezember über 40 Lokalpolitiker und Unternehmer verhaftet wurden und ein Geflecht sichtbar wurde, in dem Stadträte und Behördenchefs mit Zigtausenden Euro geschmiert wurden. Ob bei der Müllabfuhr, dem öffentlichen Nahverkehr oder der Unterbringung von Immigranten: überall mischte die römische Mafia mit. Deshalb wurde für schlechte Arbeit besonders viel Geld bezahlt.

Damals im Dezember schob man noch alles der rechtsextremen Seilschaft des früheren Bürgermeisters Gianni Alemanno zu. Da die zu dem Zeitpunkt jedoch bereits abgewählt war, wähnten die Römer sich am Ende des Skandals. Doch weit gefehlt.

Jetzt verhaftete die Polizei weitere 44 ehrenwerte Bürger, darunter bekannte Namen der inzwischen in Rom regierenden Sozialdemokraten. Offenbar haben auch Amtsleiter und Stadträte der PD mit den Mafia-Bossen Massimo Carminati und Salvatore Buzzi kooperiert, die jahrelang Italiens Hauptstadt mitregierten



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Damit ist PD-Chef Renzi direkt involviert. Bei seinem Aufstieg hatte er versprochen, die alte, korrupte Politikergarde zu «verschrotten». Nun verfolgt Italien sehr genau, was er mit seinen eigenen Leuten macht.

Lieber heute als morgen würde Renzi den römischen Bürgermeister, seinen Parteifreund Ignazio Marino, in die Wüste schicken. Aber so einfach ist das nicht. Denn Marino will nicht gehen. «Das Volk liebt mich», ist er überzeugt, «nur die Parteibosse hassen mich».

Zwar gibt es keinen Hinweis, dass der Bürgermeister Teil des Mafia-Systems gewesen ist. Aber er hat offenbar auch nicht viel dagegen unternommen. Vielleicht hat er nicht einmal davon gewusst. Auch das spräche freilich nicht unbedingt für ihn.

Marino ist gelernter Chirurg, hat als Spezialist für Lebertransplantationen viele Jahre in den USA gearbeitet. Zurück in Italien kam er 2006 als Parteiloser auf der Liste der Sozialdemokraten in den italienischen Senat, zuständig natürlich für Gesundheitsfragen. 

Erst seit er im Juni 2013 zum Bürgermeister Roms gewählt wurde, musste er sich in die Niederungen großstädtischer Probleme wagen. Auffallend erfolgreich war er da nicht. Er habe bislang, verteidigt er sich, die Straßen nur von dubiosen Firmen reparieren lassen können. Erst jetzt sei das anders.

Trotzdem will ihm Renzi die Zuständigkeit für das nächste bevorstehende Großereignis nehmen: das Heilige Jahr. Es wird laut Papst Franziskus im Dezember 2015 beginnen und bis November 2016 dauern. Es verspricht Millionen anreisenden Pilgern den Sündenerlass – und den Römern eine bessere Infrastruktur. Etwa 1.5 Milliarden Euro sollen verbaut werden. 

Geld und Arbeit soll Ex-Geheimdienstchef Franco Gabrielli lenken. Er hat sich mit dem weitgehend korruptionsarmen Wiederaufbau der vom Erdbeben zerstörten Stadt L'Aquila einen Namen gemacht und mit der Bergung der gesunkenen «Costa Concordia».

Roms Bürgermeister mitsamt Gemeinderat und Verwaltungsspitze droht die Entlassung. Entscheidend dafür ist ein Bericht aus dem Innenministerium. Aber womöglich wird Renzi den gar nicht mehr abwarten wollen.
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