Paolo Borrometi musste aus seiner
sizilianischen Heimat nach Rom fliehen, weil er Morddrohungen von der Mafia
erhielt. Er ist nur der jüngste von vielen Fällen im Kampf der Presse gegen
Cosa Nostra.
"Pass auf!" Das war der erste Warnschuss, den die
Mafiosi in dicken Lettern auf den Van des sizilianischen Journalisten Paolo
Borrometi, 32, geschmiert hatten. Später prangte an einer Mauer in seiner
Heimatstadt Scicli der Schriftzug: "Borrometi, du bist tot!"
Tage danach fielen zwei Vermummte beim
Hundespaziergang auf dem Land über ihn her, schlugen ihn zusammen und brachen
ihm die Schulter. Sie raunten, bevor sie im Gestrüpp verschwanden:
"Kapiert? Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten!"
Der junge Chronist hat das nicht getan.
Borrometi, eigentlich Korrespondent einer großen Presseagentur, hatte ein
Geflecht aus Mafiabusiness und Politik in seiner Stadt aufgedeckt. In seiner
Freizeit schrieb er in seinem persönlichen Blog Enthüllungsstorys über die Mafia in seiner Heimat.
Enthüllungen im
Internet
Er schrieb von einem lokalen Mafiaboss,
der sich über korrupte Politiker in die Gemeindeverwaltung eingekauft hatte. Über
eine Familie der 'Ndrangheta, der mächtigen Mafiaorganisation aus Kalabrien,
die in der Gegend um Scicli Drogen absetzte.
Einige stehen nun vor Gericht, der
Bürgermeister musste gehen, die Gemeindeverwaltung ist wegen Mafiainfiltration
aufgelöst. Jemand legte Feuer an seiner Haustür. Paolo Borrometi musste nach
Rom fliehen.
"Wir Journalisten können nicht die
Justiz ersetzen, aber wir können schneller sein als viele Ermittler, die oft
von der Bürokratie ausgebremst werden", sagt er jetzt der
"Welt". "Wir können vieles sofort sagen und schreiben und damit
die gefährliche Schweigepflicht erst einmal durchbrechen." Es sei sogar
Chronistenpflicht, weil "sonst die Mafiabosse die Macht behalten und sich
für unantastbar halten".
So wie Gianbattista Ventura, Bruder
eines dank Borrometi inhaftierten Clanchefs, gegen den wegen Mafiaverbrechen
ermittelt wird. Die Gegend, die Borrometis Heimat ist, galt bis vor wenigen
Jahren als relativ "mafiafrei", und Fans von Andrea Camilleris
"Kommissar Montalbano" kennen die verschlafenen Barockstädte als
Kulisse der TV-Filme. Ventura schrieb dem Journalisten arrogant per E-Mail:
"Ich reiß dir den Kopf ab!" Die Ermittler konnten bisher nicht mal
seine Facebook-Seite schließen.
Einige Bosse stehen
nun vor Gericht
Borrometi ist nicht der erste
Journalist, der um sein Leben fürchten muss. 2006 erregte der Fall von Roberto
Saviano, Autor des Bestsellers "Gomorrha", weltweit Aufsehen. Saviano
beschrieb realistisch die Macht der Camorra-Clans aus der Gegend um Neapel. Er
lebt noch heute mit schwer bewaffneten Bodyguards und verbringt die meiste Zeit
an geheimen Aufenthaltsorten im Ausland.
Der sizilianische Investigativreporter
Lirio Abate, 44, schwebt permanent in Lebensgefahr. Nachdem auch er nach Rom
übersiedelte, deckte Abate 2012 – zwei Jahre früher als die Ermittler von
Justiz und Polizei – den Skandal um "Mafia Capitale", eine
gigantische, in der Hauptstadt gewachsene Organisation, auf.
Abate erhielt spontan Solidarität auf
höchster Ebene, wurde mit dem Verdienstkreuz der Republik ausgezeichnet und
steht in der Hitliste der Organisation Reporters Without Borders unter den
"100 Helden der Information weltweit". Ein Zeichen, dass die Zeiten
sich geändert haben.
Viele mussten früher für ein ähnliches
Engagement sterben. Zuletzt starb der Journalist Beppe Alfano 1993 auf
Sizilien. Besonderes Aufsehen erregte 1984 der Tod von Giuseppe Fava aus der
sizilianischen Großstadt Catania. Fava war ein landesweit bekannter Journalist.
Seinen Ruhm nutzte er, um eine Zeitschrift zu gründen, mit dem Ziel, die
politische Korruption und Mafiaverbrechen aufzudecken.
Viele mussten sterben
Er starb er im Kugelhagel der Mafiabosse
aus Catania. Doch die kleine Gruppe seiner jungen Redakteure, darunter auch
sein Sohn Claudio, ließ sich nicht einschüchtern. Fava ist heute Politiker und
Vizechef der Antimafia-Kommission im italienischen Parlament.
Die Kommission hat jetzt das Protokoll
"Mafia und Information" aus Favas Feder verabschiedet. Darin wird
angemahnt, dass Journalisten stärker zu beschützen seien. Gerade hatte auch die
Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) Italien für
unzureichenden Schutz der Journalisten noch einmal gerügt.
Mithilfe von Klagen würden Journalisten
eingeschüchtert, ihnen "in den eigenen Redaktionen die Fesseln
angelegt", erklärt Alberto Spampinato, Gründer der Organisation Ossigeno
(Sauerstoff), der "Welt". Auch sein Bruder, der Journalist Giovanni,
wurde 1972 von der Mafia ermordet.
"Viele Lokalblätter oder TV-Sender
werden von der Mafia kontrolliert, die sich dort eingekauft hat." Ossigeno
hat in neun Jahren 2600 Fälle bedrohter Journalisten registriert und Anstoß zu
Favas Kommissionsbericht gegeben.
Redaktionen in Fesseln
Aufsehen erregte jetzt der Fall von
Donato Ungaro, früher Verkehrspolizist aus dem Städtchen Brescello in
Norditalien. In der Freizeit schrieb er für die Provinzzeitung, auch über den
Verdacht, dass Bürgermeister und Statthalter der kalabrischen 'Ndrangheta
gemeinsame Sache bei lukrativen Baugeschäften machten.
Er verlor seinen Job als Polizist und
bei der Zeitung, Männer bedrohten ihn auf der Piazza im Ort. Jetzt, zwölf Jahre
später, gab der oberste Gerichtshof Ungaro recht.
Paolo Borrometi bekam nun auch die
Solidarität von Italiens Senatspräsident Pietro Grasso, früher Oberstaatsanwalt
von Palermo und Chef der Nationalen Antimafia-Staatsanwaltschaft. Hat er nicht
genug? "Nein", sagt Borrometi. "Ich habe früher mal gestottert,
und vor einigen Tagen ging das wieder los. Ist mir aber egal. Ich will nur
eines Tages aufwachen und denken: Es hat sich gelohnt!"
.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen