In Italien hat am Mittwoch der größte
Prozesse gegen die Mafia seit Jahrzehnten begonnen. Aber nicht in Palermo, dem
Heimatland der „Cosa Nostra“, nicht in Neapel, wo die schießwütigen jungen
Erben der Camorra-Bosse Angst und Schrecken verbreiten, und auch nicht in
Kalabrien, wo die ’Ndrangheta zu Hause ist, die man in Deutschland seit dem
Sechsfachmord von Duisburg im August 2007 kennt.
Andrea Bulgarella - Großunternehmer und Mafiaboss |
Nein, die knapp 250 Angeklagten von heute
stehen im theoretisch mafia-fernen italienischen Norden vor Gericht, in der
Universitäts- und Industriemetropole Bologna, und die Justiz musste dort eigens
eine Messehalle mieten, weil ihre eigenen Räume für einen solchen Auflauf nicht
vorgesehen waren. Die Halle ist sogar für Journalisten abgeriegelt – bei neun
Angeklagten hielt man selbst die Käfige im Saal nicht für ausbruchsfest genug:
Diese Männer werden nur per Video zugeschaltet.
Angeklagt sind, tja, völlig unverdächtige Leute. Keine Killer, sondern
Unternehmer, solche mit dem berühmten weißen Kragen. Und Politiker. Und
Journalisten. Sogar einige Polizisten. Alle sollen mitgeknüpft haben an einem
großen kriminellen Netz zur gewinnbringenden Erlangung öffentlicher Aufträge,
teils auch mit Wahlfälschung in den jeweiligen Gemeinden. Konkret geht es um
den Wiederaufbau nach den beiden Erdbeben vom Mai 2012, bei denen zahlreiche
Orte nördlich von Bologna und noch mehr Industrieanlagen zerstört wurden.
Ferngesteuert wurden die Operationen von einem ’Ndrangheta-Clan aus dem
kalabrischen Crotone; und auch in diesem Falle unterhielt mindestens einer der
Angeklagten ein Restaurant in Deutschland: in Augsburg, wo der 52-Jährige auch
verhaftet wurde.
Matteo Messina Denaro der große Strippenzieher im Hintergrund seit über 17 Jahren auf der Flucht |
Jetzt geht es dem
Finanzkapital an den Kragen
Die Unternehmer sollen die Gemeinden unterwandert und ein System von
scheinlegalen Firmen aufgezogen haben. Journalisten, die Wind davon bekamen,
wurden bedroht – und andere wurden benutzt: Willig drehten und verbreiteten sie
Fernsehinterviews für Lokalsender, in denen sich die Hauptfiguren des Geschäfts
mit den besten Projekten für den zügigen Wiederaufbau in Szene setzten.
In diesen Tagen ist auch noch eine der größten Banken Italiens unter
Mafia-Verdacht geraten. Die Mailänder UniCredit, zu der die deutsche
Hypo-Vereinsbank gehört, soll einem mafianahen sizilianischen Bauunternehmer
geholfen haben, seine Schulden von 60 Millionen Euro kostensparend
„umzustrukturieren“. So jedenfalls behauptet es die Staatsanwaltschaft in Florenz,
und aus der Mailänder UniCredit-Zentrale, so wollen informierte Kreise wissen,
fliegen demnächst drei führende Manager, auch wenn die Bank versichert, sie
habe „keinerlei Unregelmäßigkeiten“ festgestellt.
Hauptbeschuldigter ist der UniCredit-Vizepräsident Fabrizio
Palenzona, der Italiens alten Partei- und Finanzklüngel verkörpert. An ihn soll
sich der Baulöwe Andrea Bulgarella gewandt haben. Bulgarella stammt aus Trapani,
genau wie Matteo Messina Denaro, der heute als oberster Boss der „Cosa Nostra“
gilt. Was genau der Unternehmer mit dem Boss zu schaffen hat, ist nicht
bekannt. Ihn selbst hat niemand verhaftet. Und womöglich sind die Vorwürfe
gegen Unicredit auch nur ein Störmanöver kurz vor der Verkündung eines neuen
Generalplans für das Geldinstitut, der den Gerüchten nach auch einen massiven
Abbau von Arbeitsplätzen mit sich bringt.
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