Samstag, 23. April 2016

Die Mafia unterwandert Don Camillos Heimatort

Brescello in der Poebene, wo die berühmten „Don Camillo und Peppone“-Filme entstanden, ist von Kriminellen unterwandert. Das Städtchen steht nun unter Staatsaufsicht.



Jetzt übertreiben sie aber! Jetzt gelten auch noch Don Camillo und Peppone als Mafiosi. Abgehört hat man sie. Verhaftet. Demnächst beginnt der Prozess, dessen Ende schon vorab feststeht.

In Brescello jedenfalls sehen die Leute das wirklich so düster. Brescello, das 5600-Seelen-Städtchen mitten in der allerplattesten Po-Ebene, die man sich vorstellen kann, ist die Heimat der literarischen Figuren Don Camillo und Peppone. Hier, beziehungsweise in dem fiktiven Dorf namens Boscaccio, für das Brescello später auch bei den Verfilmungen als Kulisse diente, haben der katholische Pfarrer und der kommunistische Bürgermeister – einander näher, als sie zugeben wollten – ab 1946 ihre Dauerfehde ausgetragen. In der Kirche hängt heute noch das Kruzifix, von dem der Herr einfühlsame Zwiesprache mit Don Camillo hielt. Oder war's nur mit dessen Darsteller, dem französischen Schauspieler Fernandel?


Und plötzlich die Bösen

In Brescello geht jedenfalls alles bunt durcheinander: Film und Wirklichkeit. 40.000 Touristen kommen jedes Jahr, um die echte Kirche des schlitzohrigen Kino-Pfarrers zu sehen, und nicht wenige hinterlassen Bittbriefe an Don Camillo um Hilfe in allen Lebenslagen, so wie Italiener sie gern an den wundertätigen Heiligenstatuen des Landes hinterlassen. Doch genau dieses Brescello, das reale, hat jetzt selbst ein Riesenproblem: Es heißt Mafia.

Diese Woche hat die italienische Regierung nämlich die gewählte Gemeindeleitung von Brescello aufgelöst und den Ort einem staatlichen Zwangskommissar unterstellt. Die Ermittler, so lautet die Begründung aus Rom, hätten in der Stadtverwaltung „Formen der Beeinflussung durch die organisierte Kriminalität festgestellt“.

„Jetzt heißt es, ganz Brescello sei mafiös“, wehrt sich der reale Don Camillo von heute, Don Evandro Gherardi: „Dabei können wir nichts dafür, dass bei uns einige Mafiosi wohnen. Ins Leben unserer Leute ist die Mafia nicht vorgedrungen.“ Bürgermeister Peppone wiederum, heute realiter Marcello Coffrini genannt, aber wie auch Peppone einer von den Linken, bestreitet die Vorwürfe der Regierung. Davon, dass die Gemeindeverwaltung kriminell durchsetzt sei, habe er nichts gemerkt: „Es war auch nie ein Mafioso im Rathaus.“



Coffrini selbst war es indes, der die Mafia-Ermittler auf Brescello gestoßen hat. Dort leben seit Jahrzehnten etliche verdächtige Kalabrier, darunter zumindest ein wegen Mafia-Umtrieben rechtskräftig verurteilter 'Ndrangheta-Boss. Ausgerechnet für diesen, Francesco Grande Aracri, hat der Bürgermeister vor zwei Jahren auffallend lobende Worte gefunden. Ein „höflicher, wohlerzogener Mann“ sei das, eine „brava persona“, sagte Coffrini. Da wollten die Carabinieri doch einmal genauer nachschauen, wie der Bürgermeister das gemeint hatte; die Staatsanwaltschaft ließ alle Akten der Gemeinde durchstöbern. Das hatte schließlich diesen Jänner den vorsorglichen, aber nicht ganz freiwilligen Rücktritt des Bürgermeisters zur Folge. Und jetzt ist sogar die gesamte Gemeindeführung entmachtet.


Der Süden unterwandert den Norden


Der Fall Brescello fügt sich den Ermittlern zufolge lückenlos ein in das, was in der ganzen Gegend zwischen Bologna, Parma und Reggio Emilia passiert ist – in dieser reichen, industriell, landwirtschaftlich und bei der Lebensmittelverarbeitung hochproduktiven Region. Hier soll die 'Ndrangheta systematisch die Verwaltung unterwandert, lukrative staatliche Bauaufträge abgegriffen, Geld aus Drogen- und Waffenhandel gewaschen, Beamte bestochen, Widerstrebende eingeschüchtert und Kommunalwahlen in ihrem Sinne gesteuert haben. In der Region Emilia habe eine „richtiggehende Vergiftung der Zivilgesellschaft“ stattgefunden, schreibt die Nationale Antimafia-Agentur.

Aus dem Grund findet der seit Jahrzehnten größte Mafiaprozess Italiens derzeit auch in der Emilia statt, und nicht, wo man eher vermuten würde, auf Sizilien oder in Kalabrien. Weil kein Justizgebäude die knapp 240 Angeklagten hätte fassen können, wurden Messehallen in Bologna und Reggio Emilia zu Hochsicherheitsgerichtssälen umgebaut. Verantworten müssen sich nicht nur irgendwelche ohnehin verdächtige Bosse und Clanmitglieder, sondern auch unscheinbare Politiker, Staatsbedienstete, Unternehmer, Journalisten, ja sogar ein Fußballer aus dem italienischen Weltmeisterschaftsteam von 2006: Vincenzo Iaquinta, der noch vor Kurzem – obwohl aus Kalabrien stammend – behauptet hat, er wisse überhaupt nicht, was die 'Ndrangheta sei.


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