Brescello in der Poebene, wo die berühmten „Don Camillo und
Peppone“-Filme entstanden, ist von Kriminellen unterwandert. Das Städtchen
steht nun unter Staatsaufsicht.
Jetzt
übertreiben sie aber! Jetzt gelten auch noch Don Camillo und Peppone als
Mafiosi. Abgehört hat man sie. Verhaftet. Demnächst beginnt der Prozess, dessen
Ende schon vorab feststeht.
In
Brescello jedenfalls sehen die Leute das wirklich so düster. Brescello, das
5600-Seelen-Städtchen mitten in der allerplattesten Po-Ebene, die man sich
vorstellen kann, ist die Heimat der literarischen Figuren Don Camillo und
Peppone. Hier, beziehungsweise in dem fiktiven Dorf namens Boscaccio, für das
Brescello später auch bei den Verfilmungen als Kulisse diente, haben der
katholische Pfarrer und der kommunistische Bürgermeister – einander näher, als
sie zugeben wollten – ab 1946 ihre Dauerfehde ausgetragen. In der Kirche hängt
heute noch das Kruzifix, von dem der Herr einfühlsame Zwiesprache mit Don
Camillo hielt. Oder war's nur mit dessen Darsteller, dem französischen
Schauspieler Fernandel?
Und plötzlich die Bösen
In
Brescello geht jedenfalls alles bunt durcheinander: Film und Wirklichkeit.
40.000 Touristen kommen jedes Jahr, um die echte Kirche des schlitzohrigen
Kino-Pfarrers zu sehen, und nicht wenige hinterlassen Bittbriefe an Don Camillo
um Hilfe in allen Lebenslagen, so wie Italiener sie gern an den wundertätigen
Heiligenstatuen des Landes hinterlassen. Doch genau dieses Brescello, das
reale, hat jetzt selbst ein Riesenproblem: Es heißt Mafia.
Diese
Woche hat die italienische Regierung nämlich die gewählte Gemeindeleitung von
Brescello aufgelöst und den Ort einem staatlichen Zwangskommissar unterstellt.
Die Ermittler, so lautet die Begründung aus Rom, hätten in der Stadtverwaltung
„Formen der Beeinflussung durch die organisierte Kriminalität festgestellt“.
„Jetzt
heißt es, ganz Brescello sei mafiös“, wehrt sich der reale Don Camillo von
heute, Don Evandro Gherardi: „Dabei können wir nichts dafür, dass bei uns
einige Mafiosi wohnen. Ins Leben unserer Leute ist die Mafia nicht
vorgedrungen.“ Bürgermeister
Peppone wiederum, heute realiter Marcello Coffrini genannt, aber wie auch
Peppone einer von den Linken, bestreitet die Vorwürfe der Regierung. Davon,
dass die Gemeindeverwaltung kriminell durchsetzt sei, habe er nichts gemerkt:
„Es war auch nie ein Mafioso im Rathaus.“
Coffrini selbst war es indes, der die
Mafia-Ermittler auf Brescello gestoßen hat. Dort leben seit Jahrzehnten etliche
verdächtige Kalabrier, darunter zumindest ein wegen Mafia-Umtrieben
rechtskräftig verurteilter 'Ndrangheta-Boss. Ausgerechnet für diesen, Francesco
Grande Aracri, hat der Bürgermeister vor zwei Jahren auffallend lobende Worte
gefunden. Ein „höflicher, wohlerzogener Mann“ sei das, eine „brava persona“,
sagte Coffrini. Da wollten die Carabinieri doch einmal genauer nachschauen, wie
der Bürgermeister das gemeint hatte; die Staatsanwaltschaft ließ alle Akten der
Gemeinde durchstöbern. Das hatte schließlich diesen Jänner den vorsorglichen,
aber nicht ganz freiwilligen Rücktritt des Bürgermeisters zur Folge. Und jetzt
ist sogar die gesamte Gemeindeführung entmachtet.
Der Süden unterwandert den Norden
Der Fall
Brescello fügt sich den Ermittlern zufolge lückenlos ein in das, was in der
ganzen Gegend zwischen Bologna, Parma und Reggio Emilia passiert ist – in
dieser reichen, industriell, landwirtschaftlich und bei der
Lebensmittelverarbeitung hochproduktiven Region. Hier soll die 'Ndrangheta
systematisch die Verwaltung unterwandert, lukrative staatliche Bauaufträge
abgegriffen, Geld aus Drogen- und Waffenhandel gewaschen, Beamte bestochen,
Widerstrebende eingeschüchtert und Kommunalwahlen in ihrem Sinne gesteuert
haben. In der Region Emilia habe eine „richtiggehende Vergiftung der
Zivilgesellschaft“ stattgefunden, schreibt die Nationale Antimafia-Agentur.
Aus dem
Grund findet der seit Jahrzehnten größte Mafiaprozess Italiens derzeit auch in
der Emilia statt, und nicht, wo man eher vermuten würde, auf Sizilien oder in
Kalabrien. Weil kein Justizgebäude die knapp 240 Angeklagten hätte fassen
können, wurden Messehallen in Bologna und Reggio Emilia zu
Hochsicherheitsgerichtssälen umgebaut. Verantworten müssen sich nicht nur irgendwelche
ohnehin verdächtige Bosse und Clanmitglieder, sondern auch unscheinbare
Politiker, Staatsbedienstete, Unternehmer, Journalisten, ja sogar ein Fußballer
aus dem italienischen Weltmeisterschaftsteam von 2006: Vincenzo Iaquinta, der
noch vor Kurzem – obwohl aus Kalabrien stammend – behauptet hat, er wisse
überhaupt nicht, was die 'Ndrangheta sei.
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