Enrico M. ist 20 Jahre auf der Flucht
gewesen. Das damals mutmaßliche Camorra-Mitglied soll 1994 und 1995 in der
Region Stuttgart an Schutzgelderpressungen bei Landsleuten beteiligt gewesen
sein.
Von Oliver im Masche
Angst und Schrecken hat die Familie M.
aus Italien Anfang der 1990er Jahre und deren vermeintliches
Lebensmittelexportgeschäft in Feuerbach bei vielen Landsleuten in der Region
ausgelöst. Denn Familie M. war ein Camorra-Clan und forderte mit brachialen
Methoden bei hiesigen Eiscafébesitzern, Pizzeriabetreibern und Reifenhändlern
Schutzgelder. Allein der Name der Familie aus einem Dorf bei Neapel löste bei
den Betroffenen, die vor allem im Kreis Ludwigsburg lebten, Schweißausbrüche
aus: Das Clanoberhaupt galt als Killer. Ein Familienmitglied soll einen
Bürgermeister bei einem Fußballspiel in einem Stadion erschossen haben.
Vater und Bruder haben ihre Strafen bereits abgesessen
Der Vater und einer seiner drei Söhne
sind bereits im Jahr 1997 am Landgericht wegen der brutalen Erpressungen in der
Region, bei denen 75 000 Euro erbeutet wurden, zu mehrjährigen Haftstrafen
verurteilt worden. Der Vater Francesco M. musste für drei Jahre und sechs
Monate hinter Gitter, sein Sohn Aniello gar für zwölf Jahre.
Ebenfalls wegen räuberischer Erpressung und
versuchten Menschenraubs muss sich am Landgericht nun ein weiterer Sohn des
Clanchefs verantworten. Enrico M. (43), der sich nach all den vielen Jahren der
Polizei gestellt hat, soll laut der Staatsanwaltschaft an einigen Taten
beteiligt gewesen sein, die noch nicht verjährt sind. So habe die Familie mit
Komplizen im Jahr 1994 von einem Reifenhändler aus Bietigheim-Bissingen fast
30 000 Euro bekommen. Zuvor sollen Todesdrohungen gefallen sein.
Man werde den Mann umbringen und dessen
Leichnam in einer Badewanne mit Säure auflösen. Bei einem weiteren Opfer aus
dem Hohenlohekreis soll die Familie versucht haben, Schutzgeld in Form von
kostenlosen Waren an deren Lebensmittelgeschäft zu erzwingen. Dabei habe man
den Mann einmal sogar mit einem quer auf der Straße abgestellten Auto auf einer
abgelegenen Landstraße abgepasst. Man wolle „etwas besprechen“ und der
Geschäftsmann solle dafür „mit den Wald kommen“. Doch das Opfer konnte
entkommen. Aus nicht geklärtem Grund ließ die Familie M. schließlich von dem
Mann ab.
Schüsse in ein Eiscafé
Dagegen zündete der Clan den Mercedes
eines Reifenhändlers aus Asperg an: 75 000 Euro habe die Familie M. von
dem Mann haben wollen. Als man merkte, dass bei ihm nichts zu holen war, ließ
man ihn in Ruhe. Auch bei drei Eiscafébesitzern in Weinsberg, Asperg und
Markgrönningen machten die Männer keine Beute – obwohl sie im Fall
Markgröningen sogar sechs Mal in das mit Gästen gefüllte Lokal schossen.
Verletzt wurde dabei aber niemand.
Der Angeklagte streitet ab, an den
Eiscafé-Taten beteiligt gewesen zu sein. Laut seinem Verteidiger habe er davon
nichts gewusst. Enrico M. hatte sich nach seiner Einreise nach Deutschland an
den Anwalt gewandt. Man ging zur Polizei, um „die Sache aufzuklären“, so der
Verteidiger. Nun sitzt sein Mandant in U-Haft. Offenbar lebte er all die Jahre
in Italien. Dort soll er in seinem Heimatort in der Gastronomie gearbeitet
haben. Warum der Mann nicht früher gefasst wurde, ist nicht bekannt.
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