Donnerstag, 6. August 2015

Camorra-Prozess in Stuttgart

Enrico M. ist 20 Jahre auf der Flucht gewesen. Das damals mutmaßliche Camorra-Mitglied soll 1994 und 1995 in der Region Stuttgart an Schutzgelderpressungen bei Landsleuten beteiligt gewesen sein.


Von Oliver im Masche 
Angst und Schrecken hat die Familie M. aus Italien Anfang der 1990er Jahre und deren vermeintliches Lebensmittelexportgeschäft in Feuerbach bei vielen Landsleuten in der Region ausgelöst. Denn Familie M. war ein Camorra-Clan und forderte mit brachialen Methoden bei hiesigen Eiscafébesitzern, Pizzeriabetreibern und Reifenhändlern Schutzgelder. Allein der Name der Familie aus einem Dorf bei Neapel löste bei den Betroffenen, die vor allem im Kreis Ludwigsburg lebten, Schweißausbrüche aus: Das Clanoberhaupt galt als Killer. Ein Familienmitglied soll einen Bürgermeister bei einem Fußballspiel in einem Stadion erschossen haben.


Vater und Bruder haben ihre Strafen bereits abgesessen

Der Vater und einer seiner drei Söhne sind bereits im Jahr 1997 am Landgericht wegen der brutalen Erpressungen in der Region, bei denen 75 000 Euro erbeutet wurden, zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Der Vater Francesco M. musste für drei Jahre und sechs Monate hinter Gitter, sein Sohn Aniello gar für zwölf Jahre.

Ebenfalls wegen räuberischer Erpressung und versuchten Menschenraubs muss sich am Landgericht nun ein weiterer Sohn des Clanchefs verantworten. Enrico M. (43), der sich nach all den vielen Jahren der Polizei gestellt hat, soll laut der Staatsanwaltschaft an einigen Taten beteiligt gewesen sein, die noch nicht verjährt sind. So habe die Familie mit Komplizen im Jahr 1994 von einem Reifenhändler aus Bietigheim-Bissingen fast 30 000 Euro bekommen. Zuvor sollen Todesdrohungen gefallen sein.

Man werde den Mann umbringen und dessen Leichnam in einer Badewanne mit Säure auflösen. Bei einem weiteren Opfer aus dem Hohenlohekreis soll die Familie versucht haben, Schutzgeld in Form von kostenlosen Waren an deren Lebensmittelgeschäft zu erzwingen. Dabei habe man den Mann einmal sogar mit einem quer auf der Straße abgestellten Auto auf einer abgelegenen Landstraße abgepasst. Man wolle „etwas besprechen“ und der Geschäftsmann solle dafür „mit den Wald kommen“. Doch das Opfer konnte entkommen. Aus nicht geklärtem Grund ließ die Familie M. schließlich von dem Mann ab.


Schüsse in ein Eiscafé

Dagegen zündete der Clan den Mercedes eines Reifenhändlers aus Asperg an: 75 000 Euro habe die Familie M. von dem Mann haben wollen. Als man merkte, dass bei ihm nichts zu holen war, ließ man ihn in Ruhe. Auch bei drei Eiscafébesitzern in Weinsberg, Asperg und Markgrönningen machten die Männer keine Beute – obwohl sie im Fall Markgröningen sogar sechs Mal in das mit Gästen gefüllte Lokal schossen. Verletzt wurde dabei aber niemand.

Der Angeklagte streitet ab, an den Eiscafé-Taten beteiligt gewesen zu sein. Laut seinem Verteidiger habe er davon nichts gewusst. Enrico M. hatte sich nach seiner Einreise nach Deutschland an den Anwalt gewandt. Man ging zur Polizei, um „die Sache aufzuklären“, so der Verteidiger. Nun sitzt sein Mandant in U-Haft. Offenbar lebte er all die Jahre in Italien. Dort soll er in seinem Heimatort in der Gastronomie gearbeitet haben. Warum der Mann nicht früher gefasst wurde, ist nicht bekannt.
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