von Thomas Steinfeld - Venedig
Ein Professor hat ausgerechnet, wie viel
das organisierte Verbrechen den Staat Italien kostet. Es sind erschreckende
Zahlen.
Professor Paolo Pinotti von der Universität Bocconi |
In einem Interview, das der italienische
Jurist Giovanni Falcone im Jahr 1991 gab, wenige Monate, bevor er bei einem
Attentat der Mafia starb, sagte er, dass mehr als ein Fünftel der Einkünfte des organisierten
Verbrechens in Italien aus öffentlichen Investitionen abgeschöpft werde.
Die Zahl war vermutlich eine Schätzung.
Jüngste Forschungen eines Mailänder Professors für Wirtschaftswissenschaften
zeigen indessen, dass sie nahe an den tatsächlichen Verhältnissen gelegen haben
muss: Im Durchschnitt etwa 16 Prozent der Wirtschaftsleistung in den südlichen
Regionen Italiens, hat Paolo Pinotti von der Universität Bocconi ausgerechnet,
fließen dem organisierten Verbrechen zu, zu gewissen Zeiten werden es bis zu
zwanzig Prozent.
Zum ersten Mal, schrieb Paolo Pinotti
schon in einem Aufsatz 2012, würden in seinen Studien die tatsächlichen Kosten
des organisierten Verbrechens in Italien berechnet. Die jüngsten Ergebnisse
seiner Forschungen werden in der aktuellen Ausgabe des britischen Economic
Journal veröffentlicht, deren Schwerpunkt den mafiösen Strukturen in
Italien gewidmet ist.
Wie Wachstumsregionen
schrumpfen
Paolo Pinotti konzentriert sich in
seiner Arbeit auf Apulien und Basilikata. Bis in die Siebziger, schreibt er,
seien diese Regionen vom organisierten Verbrechen nahezu unberührt gewesen.
Ihre Wachstumsraten seien die höchsten der Nation gewesen.
Mit der Ankunft der Mafia und anderer
Gruppen in den Siebzigern habe sich das radikal geändert: Die Wirtschaft
stagnierte oder schrumpfte sogar (Pinotti benutzt den Verbrauch an Elektrizität
als Indikator), privates Kapital wurde durch öffentliches Kapital ersetzt, die
Mordrate vervierfachte sich, und die Korruption setzte sich in
der Politik durch.
Eingedrungen in diese Regionen sei das
organisierte Verbrechen aus mehreren Gründen: durch die geografische Nähe zu
seiner Heimat in Sizilien, Kalabrien und in Kampanien, durch die Verlagerung
der Schmuggelrouten für Tabak nach Osten, wobei nach 1990 die osteuropäischen
Länder eine große Rolle spielen (der Tabak wurde dann zum Wegbereiter härterer
Drogen), und das Erdbeben 1980, das vor allem das Grenzgebiet zwischen
Kampanien und Apulien traf.
Aus dem Gefängnis
heraus die Umgebung kriminalisiert
Aus einem großen Teil der umgerechnet 25
Milliarden Euro, die damals für den Wiederaufbau bereitgestellt wurden, sei
tatsächlich eine Investition in das organisierte Verbrechen geworden.
Die Frage, was dagegen zu tun sei, muss
ein Wirtschaftswissenschaftler nicht beantworten. Die Arbeiten Pinottis legen
indessen den Schluss nahe, dass zwischen einer durch das organisierte
Verbrechen herbeigeführten Verarmung einer Region und einem durch die Armut
wachsenden organisierten Verbrechen ein unmittelbarer Zusammenhang besteht, der
nur schwierig aufzubrechen ist.
Leichter dürfte es sein, einen Fehler zu
korrigieren, der laut dieser Studien ebenfalls das Wachstum der Mafia auf der
adriatischen Seite Süditaliens befördert habe: Über viele Jahre hinweg habe der
Staat inhaftierte Mafiosi in Gefängnissen weitab ihrer jeweiligen Heimat
untergebracht. Dieses Verfahren habe dann zu einer deutlichen Kriminalisierung
in der Nachbarschaft dieser Gefängnisse geführt.
.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen