Von Paul Kreiner - Stuttgarter Zeitung
Mafia,
Chaos, Heiliges Jahr: Die italienische Regierung stellt die Hauptstadt Rom
jetzt unter Kuratel. Der neue Präfekt Franco Gabrielli soll’s richten. Der
Ex-Geheimdienstmann gilt als ausgesprochener Troubleshooter.
Präfekt Franco Gabrielli soll den Mafiafilz beseitigen. |
So
tief im Schlamassel hat Rom schon lange nicht mehr gesteckt. Der Sinti- und Mafiaclan Casamonica sorgt mit
der pompösen Beerdigung seines „Königs“ für nacktes Entsetzen. Mafia-Verdacht
richtet sich gegen zahlreiche Politiker und Funktionäre der Stadt; einige
schmoren in Untersuchungshaft. Vor lauter Mafiafilz sind die Hafenvorstadt
Ostia und ihre derzeit von Millionen Badetouristen belagerten Strände quasi
unregierbar.
In
der Stadtkasse finden sich statt Geld nur Löcher, und der Stress, vor der
ganzen Welt „bella figura“ machen zu müssen, wächst: Am 8. Dezember will Papst
Franziskus sein „Heiliges Jahr der Göttlichen Barmherzigkeit“ starten. Erwartet
werden 25 Millionen Pilger, aber die Empfangs- und Infrastruktur ist so löchrig
wie die römischen Straßen. Zu allem Überfluss hat sich Italiens strapazierte
Hauptstadt auch noch um die Olympischen Spiele 2024 beworben.
Jetzt
ist die Regierung massiv eingeschritten. Innenminister Angelino Alfano hat die
Stadtverwaltung unter Kuratel gestellt. Der ungeliebte, wenn auch unbelastete
Bürgermeister Ignazio Marino (60), der just die heißesten Tage seiner
mittlerweile zweijährigen Amtszeit ungerührt im USA-Urlaub verbringt, ist laut
Regierungsbeschluss vom Donnerstag praktisch nur noch für den Verkehr
zuständig.
Den
Rest der Stadtverwaltung übernimmt Präfekt Franco Gabrielli (55). Das ist der
frühere Geheimdienstmann, der sich mit der Bewältigung der Erdbebenfolgen in
L’Aquila, mit der erfolgreichen Beseitigung des Costa-Concordia-Wracks und mit
der Führung des nationalen Katastrophenschutzes empfohlen hat.
Roms
Hafenstadt Ostia ist unregierbar geworden
Mit der weitreichenden Entmachtung der demokratisch gewählten Stadtführung
vermeidet die Regierung am Rand ihrer gesetzlichen Befugnisse eine weit
drastischere Maßnahme: die gänzliche Auflösung von Marinos Bürgermeisterriege
sowie des Stadtparlaments, wie sie für mafiaverseuchte Gemeinden in Italien normalerweise vorgesehen ist. Aufgelöst wird dennoch: Zumindest der Stadtteil
Ostia kommt für vorerst 18 Monate unter die Leitung eines im Kampf gegen die Mafia erfahrenen Regierungskommissars.
Ostia mit seinen 100 000 Einwohnern ist die zweitgrößte Kommune Italiens,
der diese Behandlung widerfährt. Größer war nur die süditalienische Regionalhauptstadt
Reggio Calabria. Deren Verwaltung musste 2012 wegen Verquickung mit der
„Ndrangheta“ entlassen werden. Damals behaupteten Polizeifunktionäre und
Politiker noch, in der Hauptstadt Rom gebe es keine Mafia.
Ostia - Badestrand |
Es gab sie durchaus, wie die Verhaftungswelle in Ostia schon wenige Monate
danach zeigte. Nur war – so merkt die frühere Justizministerin Paola Severino
an – in Rom die „omertà“ viel stärker ausgeprägt als selbst im Mezzogiorno:
„Man hat die Mafia flächendeckend und kollektiv verschwiegen, weil sich Rom als
stolze Hauptstadt nicht eingestehen wollte, dass sie davon befallen war.“ Und
„Antikörper“, so heißt es heute resigniert, habe Roms Gesellschaft auch nicht
entwickelt.
die frühere Justizministerin Paola Severino |
Dabei wusste man schon 2011 aus Parlaments- und Gerichtsakten, wer die
Casamonica waren: Eine Großfamilie, deren Mitglieder sich dem Finanzamt
gegenüber als mittellos ausgaben, bei der die Fahnder aber regelmäßig Vermögen,
Villen, Luxusautos im Millionenwert beschlagnahmten. Die Casamonica lebten und
leben von Drogenhandel, Schutzgelderpressung und Wucher; sie machten sich in
städtischen Sozialbauten breit und, terrorisierten die Nachbarn. Sie
verkauften, wenn’s sein musste, auch die illegal besetzten Wohnungen und
arbeiteten mit anderen Verbrecherorganisationen zusammen.
Die
Beerdigung des „Königs von Rom“
82 Clanmitglieder, so teilt die Polizei in diesen Tagen mit, befänden sich
derzeit unter „spezieller Beobachtung“. Trotzdem haben sämtliche Kontrollen
versagt, als die Casamonica vor einer Woche ihren als „König von Rom“ titulierten
Boss Vittorio begruben.
Der kilometerlange Leichenzug auf einer der größten Ein- und Ausfallstraßen
Roms, die barocke, sechsspännige Kutsche, der Hubschrauber, der ganze Wolken
roter Rosenblütenblätter über dem Kirchplatz abwarf – das war als provokative
Inszenierung alles minutiös geplant. „Aber von den örtlichen Sicherheitskräften
sind keine Informationen nach oben gegeben worden“, hält der Sicherheitschef
Gabrielli fest.
Geschlafen hat Rom lange auch in Ostia, wo sich einheimische Clans und die
sizilianische Cosa Nostra die Geschäfte teilten: millionenschwere Lizenzen für
Strandbetriebe, für Kinos und Klubs und Restaurants. Nach außen unauffällig,
verfilzt mit der Stadtteilverwaltung, hofften sie alle auf den ganz großen
Brocken: Auf die vom früheren Bürgermeister Gianni Alemanno geplante, monströse
„Waterfront“ aus Einkaufsmeilen und Unterhaltungsbetrieben. Die „Waterfront“
ist abgeblasen, gegen Alemanno wird ermittelt.
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