In Rom waren Stadtverwaltung und Organisiertes Verbrechen auf das engste
miteinander verwoben. Der gegenwärtige Bürgermeister kämpft gegen das
kriminelle Netzwerk und macht sich damit nicht nur Freunde
Bürgermeister Ignazio Marino |
Die
Forderungen nach seinem Rücktritt sind für den Moment verstummt. Ignazio
Marino, seit Juni 2013 Bürgermeister Roms, kann sich nun wieder ganz auf das
Regieren konzentrieren. Keine leichte Aufgabe in einer Stadt, in der weite
Teile der Verwaltung der Komplizenschaft mit dem organisierten Verbrechen
beschuldigt werden. Das Ganze hat einen Namen: Mafia Capitale.
Nach
einem 940 Seiten starken Bericht, den der Präfekt von Rom Anfang Juli an den
italienischen Innenminister schickte, sitzt Marino nun wieder fester im Sattel.
Gegen ihn laufen keine Ermittlungen, und es gibt keine Indizien, die auf eine
direkte Verwicklung Marinos in die illegalen Geschäfte zwischen Mafia und
römischer Stadtverwaltung hindeuten.
Allerdings
hat der Bericht bereits zum Rücktritt namhafter Beamter geführt (unter ihnen
Liborio Iudicello, Generalsekretär der Stadtverwaltung), und der Präfekt
fordert die Auflösung des Bezirksrates von Ostia (dem römischen
Touristikhafen), wo eine systematische Verflechtung von Mafia und Verwaltung zu
existieren scheint. Wie weit das manchmal gehen konnte, zeigt das Beispiel des
früheren technischen Leiters der Bezirksverwaltung von Ostia, der sich heute in
Haft befindet: Er soll sich – laut Bericht der italienischen Nachrichtenagentur ANSA – den Behindertenausweis eines
örtlichen Mafiabosses ausgeborgt haben, um damit gesperrte Straßenflächen zu
befahren.
Der König der Könige
Korruption und Verbrechen hat es in der »Ewigen Stadt«
– wie wohl in den meisten Metropolen dieser Welt – immer gegeben. Dass Rom aber
von einer Mafia beherrscht werde, also einer hierarchisch gegliederten, von
wenigen Bossen geführten Verbrecherorganisation mit weitgehender Kontrolle des
Territoriums und engen Beziehungen zu Politik und Wirtschaft, diese Behauptung
hat als erster der mehrfach mit Preisen ausgezeichnete Investigativjournalist
Lirio Abbate in einem Artikel aufgestellt, der unter dem Titel »I quattro re di
Roma« (Die vier Könige Roms) im Dezember 2012 in der WochenzeitschriftL’Espresso veröffentlicht
wurde.
Die vier »Könige« – mächtige Bosse skrupelloser
Verbrecherclans – hätten die Stadt, so Abbate, unter sich aufgeteilt, steuerten
das Drogengeschäft, trieben Schutzgelder ein, gewährten Kredite zu
Wucherzinsen, investierten in die legale Wirtschaft und favorisierten
befreundete Unternehmen bei der öffentlichen Auftragsvergabe. Anfang 2012,
schrieb Abbate, hätten die vier Könige einen Pakt geschlossen, demzufolge es in
Rom zu keinen Mafiamorden mehr kommen dürfe (im Jahr 2011 hatte es noch elf
solcher Verbrechen gegeben).
Die diversen Geschäfte, die in dieser Zeit
hervorragend liefen, sollten nicht durch polizeiliche Ermittlungen gestört
werden. 2012 kam nämlich ein neuer Generalstaatsanwalt nach Rom, Giuseppe
Pignatone, der in der Vergangenheit beachtliche Erfolge im Kampf gegen die
sizilianische Cosa Nostra und die kalabrische ’Ndrangheta erzielt hatte.
Pignatone ließ sich vom scheinbaren Frieden in Rom nicht beirren und begann
systematisch gegen die »Mafia Capitale« (die Mafia in der Hauptstadt) zu
ermitteln. Im Dezember 2014 ließ er 37 Personen festnehmen.
Unter den Verhafteten war auch Massimo Carminati, der
»König der Könige«. Geboren 1958 in Mailand, kam er in den frühen siebziger
Jahren mit seiner Familie nach Rom. Mit 14 ging er nach eigenen Worten mit der
Pistole zur Schule.³ Mit 17, als Schüler des Gymnasiums Federigo Tozzi im
römischen Bezirk Monteverde, lernte er die Kameraden kennen, die zwei Jahre
später zu den Mitbegründern der Nuclei Armati Rivoluzionari gehörten. Die
neofaschistische Terrororganisation war unter anderem verantwortlich für den
Bombenanschlag auf den Bahnhof von Bologna im Jahr 1980. Damals wurden 85
Menschen getötet und 200 verletzt. Es war das schwerste Attentat der »bleiernen
Jahre« in Italien.
Massimo Carminati (2015), der »König der Könige« |
Zu
Carminatis Biographie gehört auch ein kurzer Aufenthalt im Libanon, wo er im
Bürgerkrieg auf seiten der Falangisten kämpfte. Während des Massakers in den
palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila, das im September 1982
von falangistischen Milizen verübt wurde, war Carminati nach eigenen Angaben
bereits wieder in Italien. Was ihm aber viel Respekt innerhalb und außerhalb
des römischen Verbrechermilieus einbrachte, war seine Nähe zur
berühmt-berüchtigten »Banda della Magliana«, einer in Rom und Umgebung aktiven
Gangsterclique, deren Name mit vielen – zum Teil unaufgeklärten –
Kriminalfällen der siebziger und achtziger Jahre in Verbindung gebracht wird.
Darunter
die Ermordung des Journalisten Mino Pecorelli, bei der Carminati des Mordes
beschuldigt und der damalige Regierungschef Giulio Andreotti als Drahtzieher zu
24 Jahren Haft verurteilt wurde – beide wurden in letzter Instanz
freigesprochen. Zudem der Mord am italienischen Bankier Roberto Calvi, vom bis
heute ungeklärten Verschwinden der fünfzehnjährigen Emanuela Orlandi aus dem
Vatikan bis zur bewussten Irreführung der Ermittler nach dem Massaker von
Bologna. 1981, bei einem Fluchtversuch nach seiner ersten Verhaftung, traf ihn
ein Schuss aus der Pistole eines Polizisten. Er verlor sein linkes Auge.
Seither wird er in Rom »Er cecato« genannt, der Geblendete.
Als
Ignazio Marino 2013 in einer Stichwahl gegen den amtierenden Bürgermeister, den
Postfaschisten und Berlusconi-Gefolgsmann Gianni Alemanno antrat, stand »Er
cecato« auf dem Höhepunkt seiner Macht. Ob die Ermittlungen gegen Alemanno, der
der Beteiligung an einer Mafiaorganisation beschuldigt wird, früher oder später
zu dessen Verurteilung führen werden, ist ungewiss. Fest steht jedenfalls, dass
»einige Leute, die dem ehemaligen Bürgermeister nahestanden, Vollmitglieder der
Mafiaorganisation waren und bei einigen schweren Korruptionsfällen die
Hauptrolle spielten«, wie Generalstaatsanwalt Pignatone im Dezember 2014 in
einer Pressekonferenz erklärte.
Fest steht,
dass Carminati während der Regierungszeit Alemannos – von Mai 2008 bis Juni
2013 – sein kriminelles Imperium in vollem Umfang ausbauen konnte. »Er findet
und rekrutiert Unternehmer, unterhält Beziehungen zu Mitgliedern anderer
krimineller Organisationen, zu Vertretern aus Politik, Institutionen und
Finanz, zu Angehörigen der Ordnungskräfte und der Geheimdienste«, war im
Bericht der Ermittler zu lesen. Fest steht auch, dass sich die Beziehungen
zwischen Mafia und Stadtverwaltung nach dem Amtsantritt von Marino grundlegend
änderten, wie Pignatone erklärte. Auch wenn Carminatis Leute vor den Wahlen der
Überzeugung waren, sie könnten einem eventuellen Erfolg Marinos gelassen
entgegenblicken, denn »sie hätten in beiden politischen Lagern Freunde, also
Personen, die zu ihrer Verfügung standen«.
Zu
Carminatis Leuten gehörte auch ein Mann, dessen Name in den Berichten über
Mafia Capitale meist in einem Atemzug mit ihm genannt wird: Salvatore Buzzi.
Wenn auf den Gehaltslisten der Mafiaorganisation auch Namen von Mitgliedern des
Partito Democratico (PD) standen, dann war es meist Buzzi, der die
entsprechenden Kontakte geknüpft hatte. Als Gründer und Präsident eines
Netzwerkes von Kooperativen verfügte er über gute Beziehungen zu vielen
»linken« Politikern der Hauptstadt. Den Ermittlungen zufolge hatten die beiden
– Buzzi und Carminati – einige Jahre lang fast unbeschränkten Einfluss auf die Entscheidungen
der Stadtverwaltung.
Salvatore
Buzzi, geboren 1955 in Rom, in jungen Jahren als Bankangestellter tätig,
ermordete im Alter von 25 Jahren einen Komplizen, mit dem er Scheckbetrügereien
organisiert hatte. Für den Mord – Buzzi hatte sein Opfer mit 34 Messerstichen
getötet – wurde er zu dreißig Jahren Haft verurteilt. Im Gefängnis erwies er
sich als Musterhäftling. Er schloss sein Literaturstudium mit Auszeichnung ab
und begann, Jura zu studieren, er arbeitete in der Bibliothek der Haftanstalt und
organisierte gemeinsam mit anderen Gefangenen Aufführungen der Antigone von
Sophokles (bei der Premiere war auch der italienische Justizminister im
Publikum). Er bereitete Kongresse über alternativen Strafvollzug vor. Eine
solche Tagung fand am 29. Juni 1984 statt, auch hier waren namhafte Politiker
eingeladen, unter ihnen der Rechtsbeauftragte der Kommunistischen Partei
Italiens (PCI) und spätere Präsident der Abgeordnetenkammer Luciano Violante.
Salvatore Buzzi |
Auf
dem Kongress illustrierte Buzzi seine Idee, mit einigen Mithäftlingen eine
Kooperative zu gründen, die für die Stadtverwaltung Arbeiten – vor allem in der
Pflege der städtischen Grünanlagen – übernehmen sollte. Der Vorschlag, der es
den beteiligten Häftlingen erlaubte, einige Stunden am Tag außerhalb der Gefängnismauern
zu verbringen, fand allgemeine Zustimmung, und ein Jahr später wurde die
»Cooperativa 29 Giugno« gegründet. Im Lauf der Jahre entwickelte sich diese
Genossenschaft prächtig, Buzzi wurde auf Bewährung freigelassen und 1994
schließlich vom italienischen Staatspräsidenten Oscar Luigi Scalfaro begnadigt.
Buzzis Organisation ist Teil des italienischen Kooperativen-Systems, dessen Ursprünge bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen, als in Mailand – im Jahr 1886 – die »Federazione delle Società Cooperative Italiane« gegründet wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg kam es zur Spaltung in eine sozialistische (Legacoop) und eine katholische Vereinigung (Confcooperative). In der Zeit des Faschismus wurde die Lega aufgelöst und viele Genossenschaften mussten ihre Tätigkeit einstellen. Im Jahr 1946 wurde das Kooperativwesen in der italienischen Verfassung verankert: »Die Republik anerkennt die soziale Funktion der Kooperativen zur gegenseitigen Hilfe und ohne den Zweck privater Spekulation. Das Gesetz fördert deren Wachstum mit geeigneten Mitteln und garantiert – mit den entsprechenden Kontrollen – ihr Wesen und ihre Ziele«..
Buzzis Organisation ist Teil des italienischen Kooperativen-Systems, dessen Ursprünge bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen, als in Mailand – im Jahr 1886 – die »Federazione delle Società Cooperative Italiane« gegründet wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg kam es zur Spaltung in eine sozialistische (Legacoop) und eine katholische Vereinigung (Confcooperative). In der Zeit des Faschismus wurde die Lega aufgelöst und viele Genossenschaften mussten ihre Tätigkeit einstellen. Im Jahr 1946 wurde das Kooperativwesen in der italienischen Verfassung verankert: »Die Republik anerkennt die soziale Funktion der Kooperativen zur gegenseitigen Hilfe und ohne den Zweck privater Spekulation. Das Gesetz fördert deren Wachstum mit geeigneten Mitteln und garantiert – mit den entsprechenden Kontrollen – ihr Wesen und ihre Ziele«..
.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen