Bisher waren gefälschte Medikamente die Domäne dubioser
Online-Anbieter, nun tauchen gestreckte und manipulierte Präparate zunehmend in
der Apotheke auf. Für die Kriminellen sind die Gewinne höher als im
Drogenhandel.
Nahezu
jeden Monat werden neue Fälle bekannt, in denen Verdünntes und Verfälschtes in
den Verkauf kommt – unter dem Siegel des Arzneikelches mit der Schlange, das
für die Apotheken hierzulande steht. Die meisten Fälschungen dürften überhaupt
niemandem auffallen. Viele Patienten und Ärzte kommen gar nicht auf die Idee,
dass die Verschlechterung des Gesundheitszustandes von gefälschten Medikamenten
herrühren könnte, die sie am Ort ihres Vertrauens, in der Apotheke, erstanden
haben.
„Dass
gefälschte Medikamente vermehrt in Apotheken gelangen, ist der pharmazeutische
Super-GAU“, sagt der Essener Zollermittler Jürgen R., „das ist Körperverletzung
mit Todesgefahr.“
Deutschlands Behörden sind alarmiert. Auf „noch unter
ein Prozent“ schätzt Walter Schwerdtfeger, bis Ende Juli Deutschlands oberster
Arzneiprüfer beim Bonner Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
(BfArM), den Anteil gefälschter Präparate in deutschen Apotheken und Kliniken.
Im Klartext: Nahezu jedes 100. Medikament von hier könnte manipuliert sein. Und
die Liste der bisher erkannten Fälle wird immer länger:
- Im August und September 2013 tauchten Fälschungen des Pfizer-Krebsmittels
Sutent in deutschen Apotheken auf. Das Präparat enthielt keinen Wirkstoff;
es war ursprünglich für den rumänischen Markt produziert und vom Importeur
CC Pharma aus der Eifel auf den Markt gebracht worden. Einem Patienten war
aufgefallen, dass Kapseln und Pulver eine andere Farbe hatten als sonst.
- Im April 2014 wurde offenbar, dass Unbekannte Zehntausende Medikamente
aus italienischen Kliniken gestohlen haben. Über dubiose Zwischenhändler
in Osteuropa gelangten die Arzneimittel teilweise manipuliert überwiegend
nach Deutschland. Insgesamt 82 verschiedene Präparate waren betroffen,
darunter 2049 Packungen des Brustkrebsmittels Herceptin sowie 1670
Packungen des Darmkrebs-Präparats Avastin, beide von Roche. Auch
Rheumapräparate sowie das Lungenmittel Spiriva von Boehringer Ingelheim
und die Krebsarznei Erbitux von Merck
gehörten dazu.
- Im Mai 2014 lieferte in Berlin ein Patient, der sich nicht zu erkennen gab, eine Fälschung des Wachstumshormons Norditropin des dänischen Herstellers Novo Nordisk in einer Apotheke ab.
- Im Juni 2014 warnte das Bundesinstitut für Arzneimittel und
Medizinprodukte vor Fälschungen des Krebsmittels Sutent des
US-Pharmakonzerns Pfizer.
- Im Oktober 2014 schließlich schlug das Paul-Ehrlich-Institut, das in
Deutschland für die Kontrolle der Impfstoffe und Biopräparate zuständig
ist, wegen möglicher Manipulationen einer Charge des Darmkrebsmittels
Avastin „rumänischen Ursprungs“ Alarm. Hersteller von Avastin ist Roche.
Die Fläschchen hatte ein deutscher Importeur von einem rumänischen
Großhändler bezogen. Auffällig war unter anderem, dass die Packungen fester
verklebt waren als üblich.
Die Zahl von Fälschungen nimmt zu
Die zunehmende Zahl von Fälschungen – in Apotheken und
ebenso bei dubiosen Versandhändlern im Internet – hat inzwischen auch die Politik
wachgerüttelt.
Bei der Justizministerkonferenz der Länder am 6.
November will die Hamburger Justizsenatorin Jana Schiedek (SPD) eine
Bundesratsinitiative gegen Produktpiraterie vorstellen, bei der gefälschte
Arzneimittel im Mittelpunkt stehen. „Wir müssen die abschreckende Wirkung des
Strafrechts erhöhen und die Ermittlungsmöglichkeiten der Staatsanwaltschaften
verbessern“, fordert Schiedek. So sollen Fahnder auch bei Arzneimittelfälschern
die Möglichkeit bekommen, Telefone anzuzapfen.
Arzneihersteller
in Aufruhr
Die gefälschten Arzneien in Apotheken haben die
Hersteller in helle Aufregung versetzt. Global ist keine der Branchengrößen vor
den Fakes gefeit. „An einer gefälschten Handtasche ist noch niemand gestorben,
an gefälschten Medikamenten jedoch schon“, wettert Karl-Ludwig Kley,
Vorsitzender der Geschäftsleitung von Merck. Produkte des Darmstädter Pharma- und
Chemiekonzerns wurden ebenso gefälscht wie Mittel von Bayer, Boehringer Ingelheim oder Pfizer.
Spricht sich herum, dass Patienten oder Ärzte bei
einem Präparat nicht sicher sein können, dass es echt ist, drohen den
Unternehmen Imageschäden und Umsatzverluste. „Ich habe schon Anrufe von Ärzten
und Apothekern bekommen, die nach Bekanntwerden der Fälle lieber auf Präparate
anderer Hersteller ausweichen wollten“, sagt der Chef eines großen
Pharmaunternehmens.
Zwar gaben die Behörden kürzlich eine teilweise
Entwarnung. Nach den Arzneimitteldiebstählen in italienischen Kliniken im
Frühjahr seien Medikamente, die nach dem 1. Juli nach Deutschland exportiert
wurden, vor Fälschungen sicher, erklärte die italienische Arzneimittelbehörde
AIFA kürzlich.
Mafia und
osteuropäische Banden
Doch beruhigend klingt das nicht. Für viele
Krebsmittel, die an die Krankenhäuser der Apennin-Halbinsel geliefert wurden,
empfiehlt die AIFA weiterhin die „Abklärung der Legalität“. Und das
Paul-Ehrlich-Institut in Langen bei Frankfurt rät, Ärzte, Apotheker und
Patienten sollten weiterhin auf mögliche Manipulationen, etwa an der
Verpackung, achten.
Für Fahnder ist klar, dass die Mafia und
osteuropäische Banden den Handel mit gefälschten Arzneimitteln für sich
entdeckt haben. Denn die Profite, die sich daraus schlagen lassen, sind
gigantisch. „Die Gewinnspannen im Handel mit illegalen Arzneimitteln liegen häufig
bei mehreren Hundert bis über Tausend Prozent. Sie sind ein lukratives
Geschäft, das die Gewinne aus der Rauschgiftkriminalität bei Weitem
übertrifft“, sagt Norbert Drude, der Präsident des Zollkriminalamtes in Köln.
Feld für das
organisierte Verbrechen
„Medikamente sind leicht, sauber, gut zu
transportieren und bringen eine Menge Geld“, sagt Michele Riccardi,
Projektmanager bei Transcrime, einem Institut für Kriminalitätsforschung in
Mailand. So kostet eine Packung mit 150 Milligramm des Brustkrebsmittels
Herceptin von Roche, das in Italien gestohlen wurde und in
deutschen Apotheken auftauchte, hierzulande rund 850 Euro.
Die Wirkung des verschobenen Mittels ist
beeinträchtigt, weil die Hehler kaum die erforderliche Temperatur beim
Transport von minus 20 Grad eingehalten haben dürften.
Dass gefälschte Arzneimittel mit dem
Bestimmungsort Apotheke zum Feld für das organisierte Verbrechen geworden sind,
schließen Ermittler aus Erkenntnissen über diese und andere unsaubere Importe
aus Italien. Die haben eine gewaltige Dimension und liefern tiefe Einblicke in
die Methoden der Verbrecher.
"Einschüchterung,
Gewalt und politische Einflussnahme"
So wurden nach einer Untersuchung von Transcrime
zwischen 2006 und 2013 in jedem zehnten Krankenhaus Italiens Medikamente
entwendet – hauptsächlich in Regionen, in denen die Mafia stark ist. Der
Großteil der Diebstähle, 51 Fälle, ereignete sich im vergangenen Jahr. Der
wirtschaftliche Schaden belief sich auf knapp 19 Millionen Euro. Ermittler
befürchten, dass dabei auch Medikamente manipuliert und Wirkstoffe gestreckt
wurden.
Hinter den Dieben und Fälschern steht ein
weitverzweigtes System. „Die kriminellen Netzwerke“, schreibt Transcrime,
besäßen eine „straffe Organisation“, Kontakte zu legalen und illegalen
Zwischenhändlern, über Geld, um Klinikangestellte zu bestechen, und ein hohes
Potenzial, um „Einschüchterung, Gewalt und politische Einflussnahme
durchzusetzen“.
Täuschend echte
Lieferpapiere
So listete der italienische Pharmaverband AIFA im
August ein Dutzend Scheinfirmen auf, vorwiegend aus Osteuropa, die illegale
Medikamente in die Apotheken nach Westeuropa schleusten, vorzugsweise nach
Deutschland. Sie tragen Namen wie Carnela Limited auf Zypern, Avimax Health and
Trade KFT in Ungarn oder Piramid D.O.O in Slowenien. Die gefälschten
Lieferpapiere sähen täuschend echt aus, berichtet ein Insider.
Von diesen Schleuserfirmen gelangen die gefälschten
Arzneien oft zu sogenannten Parallelimporteuren, die diese dann unbeabsichtigt
an deutsche Apotheken lieferten. Das Geschäft solcher Parallelimporteure beruht
darauf, dass sie mit Medikamenten aus Südeuropa handeln, wo diese teilweise
deutlich weniger kosten als hier. Die Apotheker in Deutschland sind per Gesetz
verpflichtet, Arzneien im Wert von fünf Prozent ihres Einkaufsvolumens von
solchen Parallelimporteuren zu beziehen.
Pillen-Banden
In jüngster Zeit fallen diese Unternehmen aber immer
häufiger im Zusammenhang mit Medikamenten-Fälschungen auf. Einer der
betroffenen Importeure, CC Pharma aus der Eifel, erklärt dazu, verdächtige
Arzneien sofort zurückgerufen zu haben. Zudem sei Ware aus Italien unter
Quarantäne gestellt worden, sobald Warnhinweise von Behörden vorlagen.
„Natürlich ist der Parallelhandel ein mögliches
Einfallstor für Fälschungen“, sagt David Shore, Sicherheitsmanager bei Pfizer. Das sei bei allen bekannten
Fälschungen von Pfizer-Medikamenten in der legalen Lieferkette in
Großbritannien der Fall gewesen, so der frühere Ermittler von Scotland Yard,
der nun für den US-Konzern die Spuren der Pillen-Banden verfolgt.
100.000 gefälschte
Viagra-Tabletten
Die Pharmabranche sieht in dem Einfallstor für
Fälscher einen willkommenen Anlass, die Vorschrift zu kippen, dass deutsche
Apotheker einen Teil ihrer Medikamente im preiswerteren Ausland kaufen müssen.
„Diese Importförderklausel schafft mittlerweile einen Absatzmarkt für
kriminelle Machenschaften“, ärgert sich Hagen Pfundner, Deutschland-Chef von Roche und Vorstandsvorsitzender des
Pharma-Verbandes VFA. Pfundner fordert die Abschaffung der Importvorschrift –
bislang ohne Erfolg. Deswegen hat er auch bereits an Bundesgesundheitsminister
Hermann Gröhe (CDU) geschrieben.
Den Pharmaherstellern bleibt im Grunde nur, selbst
etwas zum Kampf gegen die Fälscher beizutragen. Wohl keiner weiß das so gut wie
der US-Pharmariese Pfizer aus New York. Dessen Potenzpille Viagra ist das am
häufigsten gefälschte Medikament der Welt. Allein 2012 konfiszierten die
Ermittlungsbehörden weltweit über vier Millionen unechter Erektionshelfer. Im
vergangenen Sommer entdeckten Fahnder in einem Container im Hamburger Hafen
100.000 gefälschte Viagra-Tabletten, versteckt in Polstermöbeln. Den
Amerikanern bleibt gar nicht viel anderes übrig, als alles in ihrer Macht
Stehende zu tun, um den Schaden durch Fälscher zu minimieren.
http://www.wiwo.de/unternehmen/industrie/gefaelschte-medikamente-einschuechterung-gewalt-und-politische-einflussnahme/10914048-3.html
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