VON IJOMA MANGOLD
Wie gefährlich ist es,
einen Mafia-Roman zu schreiben? Eine Begegnung mit der Autorin Petra Reski in
Palermo
Die Namen Falcone und Borsellino begegnen dem Palermo-Reisenden,
noch bevor er überhaupt einen Fuß auf sizilianischen Boden gesetzt hat: auf dem
Ticket. Der Flughafen von Palermo ist nach den beiden Untersuchungsrichtern
benannt, die 1992 von der Mafia
in die Luft gesprengt worden sind. Fährt man vom Flughafen dann in Richtung
Stadt, sieht man auf der rechten Seite ein Denkmal, das an Giovanni Falcone und
Paolo Borsellino erinnert.
Tatsächlich ist ganz Palermo tapeziert mit
Anti-Mafia-Symbolik. Omertà, das
Gesetz des Schweigens, scheint nicht mehr zu gelten. Geschäfte, die sich der
Schutzgelderpressung verweigern, werben durch entsprechende Schilder für sich.
Fast hat man den Eindruck, dass an die Stelle der Omertà eine kommunikative
Überrepräsentation der Mafia getreten ist. Und automatisch denkt man: Wo die
Mafia auf Schritt und Tritt offiziell und im Stadtbild sichtbar verurteilt wird, da
muss ihre Macht gebrochen sein und der Staat über sie triumphiert haben.
Dieses Bild des Geschehens hat auch der Besucher im Kopf: Der
Höhepunkt des Mafia-Terrors war danach um das Jahr 1992, als die Cosa Nostra
eine unfassbare Zahl höchster Repräsentanten des italienischen Staats
abgeschlachtet hatte. Damals hatte sie den Bogen überspannt, der Staat schlug
endlich zurück. Der "Boss der Bosse", Totò Riina, landete hinter
Gittern, die Anti-Mafia-Richter wurden zu Helden und Märtyrern der Nation, und
Leoluca Orlando, Bürgermeister von Palermo, wurde zur Symbolfigur des
Anti-Mafia-Kampfes.
Eine Frau kämpft gegen
die mafiöse Justiz
Petra Reski verdreht die Augen. Sie
kennt diesen Blick auf die Dinge. Deshalb sagt sie mit der nötigen Klarheit:
"Die Macht der Mafia ist in den letzten zwanzig Jahren unfassbar
gewachsen." Petra Reski ist eine deutsche Journalistin, seit 1991 lebt sie
in Venedig. Ihre Liebe zu Italien und ihre unversöhnliche Empörung über ein
korruptes Land fallen bei ihr zusammen. Nach dem Abitur, angeregt von
Mafia-Filmen, fuhr sie mit einem Freund vom Ruhrgebiet nach Corleone, dem seit
Francis Ford Coppolas Der Pate berühmtesten Mafia-Dorf der
Welt.
Seither ist die Mafia ihr Thema
geblieben. Sie hat viele Sachbücher darüber geschrieben. Jetzt hat sie das
Genre gewechselt und ihren ersten Mafia-Roman vorgelegt: Palermo Connection
– Serena Vitale ermittelt. Die Mafia betreibt zwar ein Milliardengeschäft,
das sich auch sehr gut in Zahlen ausdrücken lässt, sie hat aber auch, gerade
weil sie sich so geschickt an menschliche Schwächen anschmiegt, viel mit
Sozialpsychologie zu tun und der Verfasstheit eines Gemeinwesens – davon lässt
sich in einem Roman besser erzählen.
Der Roman hat noch einen anderen Vorteil:
Als Petra Reski die Aktivitäten der Mafia in Deutschland aufdeckte, wurde sie von ihrem
"Hauptverdächtigen", einem Gastronomen, der in Erfurt mehrere
italienische Restaurants betrieb, vor Gericht gezogen. Sie verlor den Prozess. Obwohl es bergeweise
Ermittlungsmaterial der italienischen und der deutschen Behörden gegen den
Gastronomen gab, durfte sie ihn keinen Mafioso nennen. Im Buch wurden die
entsprechenden Stellen geschwärzt, und Reskis Verlag hatte 10.000 Euro
Schmerzensgeld zu zahlen. Außerdem wurde sie noch im Gerichtssaal auf
mafiatypische Art bedroht: „ Wir wissen wo du wohnst“!
"Das deutsche Presserecht", sagt Petra Reski,
"ist sehr mafiafreundlich." Ein solches juristisches Nachspiel kann
einem mit einem Roman nicht passieren. Der hat dafür einen anderen Nachteil:
Wenn man Palermo Connection liest, denkt man die ganze Zeit: Das darf doch nicht wahr sein,
so kann die Welt nicht sein, hier übertreibt die Autorin aber!
(„Reski übertreibt nicht!“ Anm. des Autors Mancini)
Wir haben Petra Reski am Ort der Handlung getroffen, in Palermo.
Sie ist eine eindrucksvolle Frau, eine Verbindung aus eleganter Weiblichkeit
und unerschrockener Wahrheitssuche, aus spielerischer bella
figura und Haare auf
den Zähnen. Dass eine Frau ihre weiblichen Attribute ablegen müsste, um in
einer von Männern dominierten Welt durchsetzungsstark zu erscheinen, das ist
deutsches Denken. Damit kann Petra Reski, 1958 in Unna geboren, nichts
anfangen. Wenn man ihr zuhört, mit welch glucksendem Vergnügen sie das Spiel der
Geschlechter auf Italiens Straßen beobachtet, glaubt man gar, es sei vor allem
das vollständig des-erotisierte, technokratische Geschlechterverhältnis in
Deutschland, das sie zur Auswanderung getrieben hat.
Auch ihre Protagonistin Serena Vitale ist eine Frau, die sich
nicht einschüchtern lässt und die sich zugleich genussvoll die Haare blond
färben lässt, um ihre amouröse Durchschlagskraft zu erhöhen. In ihrem Kampf
gegen die Mafia muss Serena Vitale feststellen, dass ihr größter Feind in den
eigenen Reihen sitzt: in der politischen Klasse und im Justizapparat. Und in
den Medien. Sie steht auf verlorenem Posten – und das Schlimme ist: Es gibt
niemanden, dem sie wirklich vertrauen kann.
Aber zurück zur Frage der Glaubwürdigkeit: Ist
das politische System Italiens tatsächlich so mafiotisch, wie Palermo Connection es
darstellt? In dem Roman gibt es eine zentrale Stelle: Gegen den ehemaligen
Minister Gambino laufen Ermittlungen wegen Beziehungen zur Cosa Nostra. Serena
Vitale lässt Gambino abhören. Auf den Tonbändern stellt sich heraus, dass
Gambino mit keinem Geringeren als mit dem Staatspräsidenten telefoniert hat,
der ihn seiner Unterstützung versichert. Eigentlich ein Ermittlungstriumph,
aber Serena Vitale wird in ihren weiteren Untersuchungen ausgebremst. Ein Gericht
entscheidet, die Tonbänder müssten vernichtet werden, weil sie die Immunität
des italienischen Staatspräsidenten antasten würden. Bis in die italienische
Staatsspitze reicht die Kooperation zwischen Mafia und Politik in diesem Roman.
Kann das sein?
Wenn man mit Petra Reski spricht, kann sie für
jede Szene ihres Romans drei Belege aus der Wirklichkeit anführen, die nur noch
haarsträubender sind. Im Roman heißt der Staatspräsident Fontana, in der
Wirklichkeit Giorgio Napolitano. Napolitano galt in Europa lange als die
positive Gegenfigur zu Berlusconi, als letzter Stabilitätsanker Italiens, als
Verkörperung der Integrität schlechthin. Es ist dieser Napolitano, der 2013
erwirkte, dass Tonbänder gelöscht werden mussten, die ein Gespräch zwischen ihm
und dem wegen Zusammenarbeit mit der Mafia unter Anklage stehenden ehemaligen
Innenminister Nicola Mancino dokumentierten.
Was auf diesen Tonbändern gesprochen wurde,
weiß man nicht. Aber der Verdacht steht im Raum, dass es um die sogenannte Trattativa Stato Mafia ging,
die heimliche Zusammenarbeit zwischen Staat und Mafia, der gerade in einem
großen Prozess nachgegangen wird. Am Ende könnte der Beweis stehen, dass das
Morden der Mafia 1994 nicht etwa deswegen aufhörte, weil der Staat die Mafia
geschlagen hatte, sondern weil der Staat mit
der Mafia einen Deal eingegangen war:
Gesetzesänderungen zur Abschaffung der Hochsicherheitshaft für Mafiosi und die
Abschaffung der Kronzeugenregelung, außerdem Hafterleichterungen und im
Gegenzug ein Ende des Mafia-Mordens.
"Nachdem die Tonbänder vernichtet
worden sind", sagt Petra Reski, "ist nun jeder frei, sich ihren
Inhalt auszudenken." Um diese Leerstelle kreist der Roman, um diese
Leerstelle kreist aber in Wahrheit die ganze Geschichte des gegenwärtigen
Italien. Die Mafia, so deutet Palermo Connection die Lage, ist
in den vergangenen zwanzig Jahren weniger sichtbar geworden, das habe aber nur
etwas mit ihrer Professionalisierung zu tun. Indem sich die Mafia bis zur
Ununterscheidbarkeit mit der Politik verquickt habe, sei ihre theatralische,
blutrünstige Seite in den Hintergrund getreten. Petra Reski sagt: "Die
Mafia ist so verflochten mit der legalen Gesellschaft, dass man sie nicht wie
ein Krebsgeschwür herausschneiden kann."
Italienische
Wirklichkeit stellt jeden Roman in den Schatten
Umgekehrt heiße das auch: Die Exkommunikation
des Papstes trifft die Mafia ins Mark ins Mark. Natürlich nicht aus
spirituellen Gründen: Die Mafia muss Teil der Gesellschaft sein.
Während dieser Text entsteht, ist die
Wirklichkeit schon wieder weiter als der Roman: Gerade musste Giorgio
Napolitano tatsächlich im Trattativa-Prozess aussagen – unter Ausschluss der
Öffentlichkeit, aber immerhin. Napolitano hatte alles versucht, dies zu
verhindern, es ist ihm nicht gelungen. Der Corriere della Sera kommentiert den
Vorgang im Übrigen genauso, wie der Leser es aus Palermo Connection kennt:
Es sei eine Schande, dass Richter die Würde des höchsten Amts beschädigten –
weil im Rahmen dieses Verhörs auch die Mafia-Anwälte von Totò Riina Fragen an
den Staatspräsidenten stellen durften.
Aber zurück nach Palermo. Das Gespräch mit Petra Reski führt bei
ihrem Besucher zu leichter Demoralisierung: Wenn alles von der Mafia durchsetzt
ist, was ist dann überhaupt noch wahr? Grenzt das nicht schon an
Verfolgungswahn? Wenn die Beschreibung der Welt schlimmer ist, als wir, die wir
uns in dieser Welt eingerichtet haben, es ertragen, dann bezweifeln wir die
Beschreibung – weil wir anderenfalls unser Bild von der Welt radikal ändern
müssten. Petra Reski kennt diese Reaktion, selbst ihre eigenen Freundinnen
sagen manchmal: "Jetzt hör doch auf, es muss doch irgendwann auch mal gut
sein!" Auch davon erzählt Palermo Connection: von der Vereinsamung, der sich Serena
Vitale aussetzt, weil der Kampf gegen die Mafia sozial isoliert.
Gleichzeitig, und damit sind wir wieder bei unserer ersten
Beobachtung, sei die Mafia ein popkulturelles Phänomen geworden: Von der
mythischen Überhöhung durch die Filmindustrie habe sie nur profitiert.
"Wenn man die Mafia als blutrünstig beschreibt", sagt Reski,
"stört sie das nicht. Es erhöht nur ihr Drohpotenzial. Erst wenn man die
Verquickung von Mafia und Politik durchleuchtet, hat man als Journalist ein Problem."
Der Roman erzählt auch davon, wie die Mafia einen
ehrgeizig-unbedarften Hamburger Reporter zur eigenen Selbstdarstellung benutzt:
Dieser bekommt unter allerlei theatralischem Versteckspiel ein Interview mit
einem Boss, der dann virtuos auf der Klaviatur der Ehre spielt, kulminierend in
dem Satz: "La mafia fa schifo!" – die Mafia ist ekelhaft. Denn die
Mafia, das sind immer die anderen, man selber ein unschuldig Verfolgter.
Gibt es irgendwo Rettung? Natürlich, sagt Reski, es gebe immer
noch viele tadellose Staatsanwälte. Und außerdem gebe es die Fünf-Sterne-Bewegung, die der Komiker
Beppe Grillo ins Leben gerufen
habe: "Das ist die erste echte Opposition in Italien seit zwanzig Jahren.
Mir sind sogenannte Naivlinge lieber als die Zyniker des Machterhalts." Matteo Renzi jedenfalls ist für Petra Reski nur
Teil der großen Koalition der Mafia-Zusammenarbeit.
http://www.zeit.de/2014/46/petra-reski-mafia-roman-palermo-connection
http://www.zeit.de/2014/46/petra-reski-mafia-roman-palermo-connection
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