Von
Kirstin Hausen
Zum
ersten Mal steht das Bündnis zwischen Mafia und Staat vor Gericht. Der Prozess
in Palermo, der die Attentate auf die Richter Falcone und Borsellino aufklären
soll, läuft seit anderthalb Jahren. Die spannende Frage: Wieviel Aufarbeitung
erlaubt die heutige Regierung in Rom?
27. Mai 2013 – das Gericht in Palermo eröffnet den Prozess über einen Pakt
zwischen der sizilianischen Mafia und dem italienischen Staat, der angeblich
vor 22 Jahren geschlossen wurde. Angeklagt sind die Mafiabosse Totò Riina und
Leoluca Bagarella, aber auch zwei Politiker. Nicola Mancini, der von 1992 bis
1994 Innenminister war. Und Berlusconis ehemaliger Vertrauter und Gründer von
Forza Italia Marcello dell'Ultri, der bereits schon einmal rechtskräftig
wegen seiner Kontakte zur Mafia verurteilt wurde.
Die Staatsanwälte werfen der damaligen Regierung in Rom vor, in den
Jahren 1992 und 1993 mit der Cosa Nostra verhandelt zu haben.
Hafterleichterungen für 300 Mafiosi waren wohl der Preis für das Ende einer
bespiellosen Mordserie. Die Cosa Nostra hatte 10 Politiker, Polizisten, Richter
und Staatsanwälte umgebracht. Chefankläger Nino di Matteo: "Die Suche nach
der Wahrheit ist sehr mühsam, weil die Institutionen einen Mantel des
Schweigens über die Geschehnisse von damals gelegt haben."
Pakt der Mafia mit den Behörden?
Heute, anderthalb Jahre nach dem Auftakt, ist der Prozess Thema der
wichtigsten politischen Talkshows. Mafia-Kronzeuge Massimo Ciancimino, vom
Gericht als glaubwürdig eingestuft, berichtet inzwischen sogar im Fernsehen von
seinen Kontakten mit Geheimdienstlern, die Nachrichten an die Bosse
weitergaben: "Die Verhandlungen gehen auf meine Initiative zurück. Ich bin
ein direkter Zeuge des Geschehens."
Massimo Ciancimino |
Von diesen geheimen Verhandlungen habe, so die Vermutung der Anklage, der
Richter und Staatsanwalt Paolo Borsellino 1992 erfahren. Sein Bruder Salvatore
ist Nebenkläger im Prozess und überzeugt, dass Borsellino sterben musste, weil
er dem Pakt mit der Mafia im Wege stand. Als er durch eine Autobombe ermordet
wurde, hatte er eine Aktentasche voller Dokumente bei sich. Die Tasche wurde
von einem Geheimdienstmitarbeiter vom Tatort entfernt.
Ilaria Ramoni, Anwältin des Anti-Mafia-Netzwerkes Libera, fordert ihre
Herausgabe durch die Behörde: "Wir wollen wissen, was sich in dieser Aktentasche
befand, welche Geheimnisse Borsellino kannte. Wenn die Wahrheit selbst heute,
22 Jahre später, nicht ans Licht kommen darf und Politiker, die heute noch im
Amt sind, Nachforschungen der Staatsanwaltschaft nicht unterstützen, dann kann
es sich nur um Geheimnisse handeln, die die Stabilität unseres Landes gefährden
würden."
Historischer Gerichtsprozess
Mit den Politikern, die heute noch im Amt sind, meint Ilaria Ramoni auch
Staatspräsident Giorgio Napolitano. Er war damals Präsident der Abgeordnetenkammer.
Als prominentester Zeuge wurde Napolitano am 28.Oktober von den Staatsanwälten
vernommen. Von einem Pakt mit der Mafia will er nichts gewusst haben, dennoch
habe die Angst vor der Mafia das Handeln der Politiker beeinflusst.
Staatsanwalt Nino de Matteo ist mit dieser Aussage zufrieden: "Sie
hilft uns, das politische Klima jener Zeit zu rekonstruieren und zu verstehen,
welche Interpretation hohe Vertreter des Staates den Attentaten gaben."
Den Mafiaprozess in Palermo kann man schon vor seinem Ende als historisch
bezeichnen. Zum ersten Mal stehen Politiker, Carabinieri und Mafiosi gemeinsam
vor Gericht. Auch wenn die ganze Wahrheit nicht aufgedeckt werden kann, so ist
doch mittlerweile ganz Italien vom Pakt überzeugt. Denn die Politikermorde 1992
hörten genau dann auf, als 300 Mafiosi aus der Einzelhaft entlassen wurden.
.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen