Der Stoff, aus dem Mafia-Filme sind
Im Saal 8C des
Bundesgerichts in Brooklyn, New York, wird der Prozess gegen Mitglieder der
Familie Bonanno, eines der mächtigen Kartelle, verhandelt
Gaspare Valenti sitzt so entspannt im
Zeugenstand, als wäre dies hier kein Gerichtssaal, sondern sein Wohnzimmer.
Ohne die geringste Spur von Erregung erkennen zu lassen, erzählt er von einem
Raub, schildert in allen Details, wie er und seine Kumpanen sich ihren Weg
bahnten, um im Frachtraum der Lufthansa am New Yorker Kennedy-Flughafen an die
Kisten mit den Dollarscheinen zu kommen. Wie er einem Wächter seine Pistole
gegen den Kopf schlug, wie kurz darauf ein zweiter auftauchte, dann ein
dritter, wie auch sie niedergestreckt und weggesperrt wurden. Als sie die Beute
hatten, wussten sie nicht, wohin damit, erinnert sich Valenti. "Bis
Vincent rief, bringt es zu Gaspare nach Hause."
Vincent ist Vincent Asaro, 80 Jahre alt,
randlose Brille, ein dunkelblauer Pulli überm hellblauen Hemd. In seinem
Gesicht arbeitet es, man sieht, wie er sich beherrschen muss, um nicht
dazwischen zu rufen. Asaro sitzt auf der Anklagebank im Saal 8C des
Bundesgerichts von Brooklyn. Valenti, sein Cousin, ist der Hauptbelastungszeuge.
Zwei ältere, gepflegte, unscheinbare Herren, die man sich gut in der Halle
eines Bingo-Clubs vorstellen könnte. Dabei waren sie einmal gefürchtete
Mafiosi, Mitglieder der Bonanno-Familie, eines der mächtigen New Yorker
Kartelle.
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Vincent Asaro |
In der Nacht zum 11. Dezember 1978 gelang
ihnen ein Raubzug, der später die Vorlage für Goodfellas lieferte, einen Film
von Martin Scorsese mit Robert De Niro in der Hauptrolle. Im realen Leben ist
es das erste Mal, dass einer wegen seiner Rolle bei dem Überfall angeklagt
wird. Jimmy Burke, der Drahtzieher, organisiert im Lucchese-Clan, ist tot.
Asaro wurde vor 22 Monaten vom FBI abgeführt, nachdem Valenti aus dem
Nähkästchen geplaudert hatte.
Zwei Stunden Geld zählen
In jener Dezembernacht 1978 wartete er,
eine Meile vom Tatort entfernt, gemeinsam mit Burke in einem Auto. "Was
mit dem Geld passieren sollte? Es gab keinen Plan. Der Angeklagte hat
kurzerhand entschieden, das bunkern wir jetzt bei Gaspare", sagt Valenti
und gibt zu verstehen, dass er sich überrumpelt fühlte. In dem Haus lebten zwei
Familien, seine eigene mit vier und die seiner Schwester mit fünf Kindern.
Nachts gegen vier trug die Bande fünfzig Kisten in den Keller, dazu Säcke
voller Broschen, Goldketten, Armbanduhren. Zwei Stunden lang, erzählt Valenti,
hätten sie Scheine gezählt.
Dann wussten sie, dass sie 6,25 Millionen
Dollar erbeutet hatten, viel mehr als das, womit sie gerechnet hatten.
Irgendwann bemerkte Asaro, das Domizil seines Cousins sei ja nun ein lohnendes
Ziel. "Es hat mir Angst gemacht, dabei war ich so glücklich gewesen",
sagt Valenti und erzählt, wie er Türrahmen aus- und wieder einbaute, um Bündel
Scheine zu verstecken.
Erinnerungen an die
Macht
Es ist eine blasse Erinnerung an Zeiten,
als die Mafia noch mächtig war, lange bevor am 11. September 2001 die
Zwillingstürme in Schutt und Asche fielen und die Angst vor islamistischen
Terroristen grassierte, während sich die Angst vor italoamerikanischen
Schutzgelderpressern ausnahm wie eine kleine Krimigeschichte von früher. In den
Neunzigerjahren drängte Rudy Giuliani, der Bürgermeister, der schon als
Staatsanwalt mit unnachgiebiger Härte gegen die Cosa Nostra vorgegangen war,
die Kartelle zusehends an den Rand, nicht zuletzt, indem er ihr Monopol bei der
Müllabfuhr brach.
Nun lässt das Verfahren in Brooklyn restlos
zerbröseln, was an Mafia-Verklärung noch übrig gewesen sein mag.Im Zeugenstand
antwortet Gaspare Valenti auf Fragen nach den Stationen seiner
Verbrecherkarriere. Es fing damit an, dass er als 22-Jähriger den Auftrag
erhielt, eine Leiche unter Beton verschwinden zu lassen, die Leiche eines
Lagerhallenbesitzers namens Paul Katz. Asaro betrieb eine Zaunbaufirma, ohne
dass es aufgefallen wäre, stand immer ein Lieferwagen mit Sand und Zement
bereit, um Opfer der "Familien" unter Beton zu begraben.
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Goodfellas nach dem Raubzug |
Auch Martin Krugman, einen Friseur, der
den Gangstern den Tipp mit der Lufthansa gegeben hatte und der hartnäckig
seinen Lohn verlangte. Valenti durfte damals 750.000 Dollar behalten, was nichts
daran änderte, dass er bald wieder Schulden anhäufte. Was er besaß, verspielte
er auf Pferderennbahnen. Als ihn seine Gläubiger nervten, ließ er Frau und
Kinder im Stich und flog nach Las Vegas, in der Hoffnung, noch einmal am ganz
großen Rad zu drehen. In Wahrheit stahl er Kreditkarten und kassierte
Vermittlerprämien für Kunden, die er zu einem Bordell in der Nähe der
Kasinostadt fuhr.
FBI als Rettungsanker
Zurück in New York, brannte er Häuser
nieder, um die Versicherung zu betrügen. 2008 begann Valenti mit dem FBI zu
kooperieren, wofür er pro Monat dreitausend Dollar kassierte – finanziell sein
Rettungsanker. "Das Leben, es geht auf und ab, was willst du machen",
philosophiert er, während ihn sein Cousin wütend anstarrt. "Heute bist du
mit jemandem Freund, morgen ist er dein Feind." (Frank Herrmann aus New
York, 29.10.2015)
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