Schutzgelderpressungen, Drogenhandel, Korruption – mit harter Hand regierten James "Whitey" Bulger und seine "Winter Hill Gang" in den 70er- und 80er-Jahren große Teile Bostons. Wer sich seiner Regentschaft nicht beugte, wurde von dem gnaden- und scheinbar gewissenlosen Bulger aus "dem Weg geräumt".
Mindestens 19 Menschen soll der Mafia-Killer persönlich ermordet haben. Das zumindest wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor, die den gefürchteten Bulger nach jahrelanger Flucht vor den Behörden vor vier Wochen in seiner alten Heimstadt vor Gericht stellte.
Es ist ein spektakulärer Mafia-Prozess, bei dem jetzt die Erinnerungen an die Schreckensherrschaft des mittlerweile 83 Jahre alten Bulger wieder zurückkehren. Doch jetzt wurde einer der wichtigsten Belastungszeugen tot aufgefunden. Und niemand weiß, wie Stephen "Stippo" Rakes ums Leben gekommen ist. Eine Autopsie soll den mysteriösen und plötzlichen Tod des einstigen Besitzer eines Alkoholladens aufklären.
"Ich hoffe sehr, dass Rakes nicht ermordet wurde", sagte Steve Davis, einen anderen Zeugen, den es bei dem Gedanken, dass alte Freunde von Bulger Rakes wie in klassischer Mafia-Manier mundtot gemacht haben, schüttelte. "Das erinnert mich sofort wieder an die 80er-Jahre", sagt Davis außerhalb des Bundesgerichts in Boston. Damals sei das auch so gewesen. Wer auspacken wollte, sei verschwunden oder ermordet worden. Unter den Opfern der Mafia ist auch Davis Schwester Debra. Sie soll von Bulger mit dessen eigenen Händen erdrosselt worden sein.
'Stippo' hatte keine Angst vor Bulger
Der 59 Jahre alte Rakes, der von Bulger mit vorgehaltener Waffe 1984 zum Verkauf seines Alkoholgeschäfts gezwungen worden sein soll, war am Mittwochnachmittag von einem Jogger in Lincoln im US-Bundesstaat Massachusetts und 30 Autominuten westlich von Boston, auf einer Straße tot aufgefunden worden. Wie der "Boston Globe" berichtet, soll die "Leiche dort abgelegt" worden sei. Mysteriös ist auch, dass Rakes Brieftasche und dessen Auto verschwunden sind.
"Ich bin der Typ, der ein Alkoholgeschäft aufgebaut hat und von Bulger bedroht wurde", hatte Rakes vor Beginn der Verhandlungen in einem Interview gesagt. "Ich bin gespannt auf den Prozess und kann es gar nicht erwarten, auch selbst auszusagen."
Bisher, so heißt es aus Ermittlungskreisen der Polizei, gebe es aber keine "klaren Hinweise auf Gewaltanwendung". Laut einem Bericht des TV-Senders ABC wollen die Behörden auch einen Selbstmord nicht ausschließen. Eine Theorie, die Rakes Ex-Frau Julie Dammers und dessen Freund Steven Davis für ausgeschlossen halten.
"Ich kann ihnen versichern, dass mein Ex-Mann keinen Selbstmord begehen würde", sagte Dammers in einem Interview mit dem "Boston Globe". "Ich bin überrascht und total geschockt."
Auch Davis hält die Theorie für Unsinn. "Sich selbst umzubringen, würde er niemals tun." Rakes habe den Prozess von Anfang an im Gerichtssaal mitverfolgt und wollte unbedingt in den Zeugenstand treten. "Er wusste, dass er auf den weiteren Prozessverlauf großen Einfluss haben werde", sagte Davis. "'Stippo' hatte keine Angst vor Bulger."
"Rein kriminelle Beziehungen"
Nach dem Tod von Rakes, setzt die Staatsanwaltschaft jetzt vor allem auf Bulgers früheren Komplizen Stephen "The Rifleman" Flemmi, der lange Zeit als rechte Hand des Mafia-Killers galt. "Der Gewehrmann", der am Tag nach Rakes plötzlichen Tod im Zeugenstand aussagte, erklärte, dass seine Beziehung zu Bulger "rein kriminell" gewesen sei. Er habe 15 Jahre ganz eng mit ihm zusammengearbeitet und sei selbst mit ihm in den Urlaub gefahren.
The Rifleman" Flemmi
Flemmi wurde 2004 selbst wegen zehn Morden zu einer lebenslangen Haft verurteilt. Der 79-Jährige hatte zuvor mit der Staatsanwaltschaft einen Deal gemacht. Er legte ein Geständnis ab und bot sich als Kronzeuge gegen Bulger an. Die Anklage verzichtete im Gegenzug auf die Todesstrafe.
Von ihrem Kronzeugen Flemmi verspricht sich die Staatsanwaltschaft vor allem auch weitere Informationen von Bulgers Beziehungen zum FBI. Der Mafioso soll zwischen 1975 und 1990 als Informant für die Bundespolizei gearbeitet haben. Auch der jetzt tot aufgefundene Rakes hatte das immer vermutet, weil ihm die Polizei Hilfe wegen der Erpressungen verweigert hatte. Im Jahre 2002 hatte Rakes aus diesem Grund die US-Regierung angezeigt. Die Klage wurde jedoch abgewiesen.
"Ich habe persönlich gehört wie Bulger mehr als 100 Telefonate mit dem FBI geführt hat", sagte Flemmi. "Er und der Agent John Connolly hatten eine enge Geschäftsbeziehung zueinander."
Verbrecher blieb trotz Fahndung unbehelligt
Bulgers Anwälte dagegen bestreiten das und nennen Flemmi als Zeugen "nicht glaubhaft". Und dass obwohl die Bundespolizei selbst zugeben musste, das Agent Connolly Bulger nicht nur engagiert, sondern auch dessen Flucht arrangiert hatte. Der Mafia-Killer lebte fast 16 Jahre zusammen mit seiner Frau – sie wurde wegen Fluchthilfe bereits zu acht Jahren Gefängnis verurteilt – unbehelligt in Santa Monica, in Kalifornien.
Dort wurde das Bulger-Ehepaar 2011 verhaftet und nach Boston für ihren Prozess überstellt. Bei der Festnahme wurden nicht nur ein Arsenal an Waffen sichergestellt, sondern auch 800.000 Dollar in bar, die die Bulgers in den Wänden ihrer Wohnung in Santa Monica versteckt hatten.
Agent Connolly wurde nach zwei Prozessen 2002 und 2005 wegen Mordes zu 50 Jahren Haft verurteilt. James "Whitey" Bulger droht in Boston bei einer Verurteilung eine lebenslange Gefängnisstrafe.
FBI Agent Connolly
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