Hier in der Region Kalabrien gab es im Juni 2010 eine Riesen-Razzia bei der dortigen Mafia, der
‘Ndrangheta. Sie ist heute die mächtigste unter den drei großen Mafia-Formationen.
Piero Grasso |
Rund 140 Personen wurden festgenommen, wie Anti-Mafia-Staatsanwalt Piero Grosso erklärt. Doch mit jeder Verhaftung rücken zwei neue Mafiosi nach. Es ist ein Kampf gegen Windmühlen. Seine Behörde habe die kriminellen Beziehungen rekonstruieren können, diese Ermittlungen hätten gezeigt, wie das Management bei den illegalen Geschäften funktioniere und wie die organisierten Banden den Profit untereinander aufteilten. In Italien machen illegale Aktivitäten 3,7 % des BIP aus (Das Bruttoinlandsprodukt (Abkürzung: BIP) gibt den Gesamtwert aller Güter -Waren und Dienstleistungen) an, die innerhalb eines Jahres innerhalb der Landesgrenzen einer Volkswirtschaft hergestellt wurden und dem Endverbrauch dienen.) In Umsatz ausgedrückt sprechen wir über 180 Milliarden Euro pro Jahr.
Umgerechnet betragen die Reingewinne der Mafiosen 40,7 Milliarden Euro. Am meisten verdient die Camorra mit 33,75 Milliarden Euro, dann folgt die ‘Ndrangheta mit 33,49 Milliarden und die böse alte Cosa Nostra kommt mit 19.87 Milliarden nur auf den dritten Platz. Camorra und ‘Ndrangheta teilen sich 70% vom Kuchen, die Cosa Nostra bekommt 18%.
Neu und besonders gefährlich ist, dass die Mafia ihre Gewinne nutzt, um in das legale Wirtschaftsleben einzudringen. In Italien vor allem in den Großhandel mit Obst und Gemüse. Die drei großen Mafia-Familien haben in Süd-Italien den Markt unter sich aufgeteilt. Giandomenico Lepore, der Chef der Anti-Mafia-Staatsanwälte von Neapel erklärt dazu: “In der unteren Latium-Region haben wir gesehen, wie zu einem bestimmten Zeitpunkt der Clan der Caselesi anfing, mit der sizilianischen Mafia zusammen zu arbeiten. Es ging dabei um einer der wichtigsten Großmärkte für Obst und Gemüse in Italien.”
Die drei großen Mafia-Formationen haben sich inzwischen auch in Europa festgesetzt, besonders in Spanien, Deutschland und den Niederlanden. Neuerdings investiert die Mafia verstärkt in Immobilien. Das ist zur bevorzugten Form der Geldwäsche geworden, wogegen der Rechtsstaat kaum etwas unternehmen kann.
Luisida De Ieso hat für euronews mit dem Chef der italienischen Anti-Mafia-Behörden Piero Grasso gesprochen. Er ist Spitzenkandidat der Demokratischen Partei für den italienischen Senat. Während des Wahlkampfs ist er von seinem Amt freigestellt. Die Mafia ist längst in den globalen Markt eingestiegen und hat sich als privater Kreditgeber etabliert.
euronews:
Einem Regierungsbericht zufolge entspricht ihr Umsatz vier Prozent des italienischen Bruttoinlandsprodukts. Die italienische Regierung scheint dem Tempo der Mafia im Alleingang hinterherzuhinken. Muss der Kampf gegen die Mafia international werden?
Piero Grasso:
Die Mafia ist mittlerweile ein grenzübergreifendes Phänomen. Ihre Geschäfte betreibt sie in vielen Ländern und deswegen muss auch die Beweisführung gegen diese Strukturen international koordiniert erfolgen. Die Umsätze der Mafia im Ausland liegen für uns völlig im Dunkeln. Vermutlich liegen sie um das Doppelte höher.
euronews:
Gibt es auf europäischem Niveau überhaupt Mittel, der Mafia entgegenzutreten, speziell um deren Geldgeschäfte aufzudecken?
Piero Grasso:
Italien verfügt über vergleichsweise moderne und effiziente juristische Möglichkeiten. Das konnte ich im Gespräch mit europäischen Kollegen feststellen. Wir müssen vor allem illegal angehäuftes Vermögen finden und beschlagnahmen. Was das angeht, haben wir in Italien eine überaus fortschrittliche Rechtslage. Das müsste in anderen Staaten in- und außerhalb der EU genauso sein. Kein Staat darf von der Mafia als legaler Parkplatz für illegal erworbenes Geld genutzt werden.
In Italien aber sind die Maßnahmen sehr streng. Innerhalb von viereinhalb Jahren haben wir Besitz im Wert von 40 Milliarden Euro beschlagnahmt. Das muss so weitergehen. Der Mafia das Geld abnehmen, darum geht es uns. Aber die europäischen Nachbarn müssen mitziehen, was sie derzeit nicht tun.
euronews:
Welche Maßnahmen im Kampf gegen die Mafia müsste die italienische Regierung ihrer Erfahrung nach ergreifen und was werden Sie auf europäischer Ebene zu ändern versuchen, sollten Sie in den Senat gewählt werden?
Piero Grasso:
Wie gesagt, wir haben in Italien diesbezüglich eine sehr gute Gesetzgebung, die aber noch perfektioniert werden sollte. So muss Geldwäsche bestraft werden. Wer ein Verbrechen begeht und die Erträge daraus verschleiert, muss bestraft werden. Wir brauchen Gesetze gegen Schwarzgeldkonten, gegen Steuerbetrug und eine Verbesserung der Gesetze gegen Korruption.
International gesehen müssen wir die italienische Gesetzgebung diesbezüglich exportieren, besonders was die Möglichkeit von Beschlagnahmungen angeht. Einige wenige Länder versuchen eine Anpassung.
euronews:
Geben Sie uns ein konkretes Beispiel. Was würden Sie vorschlagen?
Piero Grasso:
Wir sollten das Vermögen derer beschlagnahmen dürfen, die im Verdacht stehen, in organisiertes Verbrechen verwickelt zu sein.
euronews:
Der Kampf gegen die Mafia ist auch der Kampf gegen eine bestimmte Haltung in Italien. Günstlingswirtschaft ist ein Problem. Wie könnten Sie als Parlamentsmitglied in Zukunft zu einem Wandel dieser Mentalität beitragen?
Piero Grasso:
Im Kampf gegen die Mafia können wir nicht ausschließlich auf Bestrafung setzen. Wir brauchen einen kulturellen Wandel. Dafür müssen wir aber erst einmal auf die Bedürfnisse der Menschen eingehen. Die Mafia – oft ja auch die Politik – nutzt die Position der Menschen aus und präsentiert sich ihnen als Heilsbringer. Sie verspricht, handelt aber nicht. So macht sie die Menschen zu Sklaven und erzwingt damit ihre Zustimmung.
All das führt zu einer Schwächung der Demokratie und der Freiheiten der Bürger. Die Sozialpolitik muss folglich die Not der Menschen lindern und ihnen einen Gewissen Standard bieten. Nur auf dieser Basis können wir dann an einer Kultur der Legalität arbeiten.
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