Die offensive Kommunikation der italienischen
Polizei hat der Arbeit der Schweizer Ermittlungsbehörden geschadet. Mitglieder
der kalabresischen Mafia, welchen die Verhaftung gedroht hätte, sind nun
vorgewarnt.
Bundesanwalt Michael Lauber |
Am liebsten hätten sie geschwiegen, die
obersten Mafia-Jäger der Schweiz – doch dann kamen ihnen die italienischen
Behörden und ihre offensive Informationspolitik zuvor. Und so mussten
Bundesanwalt Michael Lauber und sein Abteilungsleiter Carlo Bulletti kurzfristig
eine Pressekonferenz einberufen.
Was war geschehen? Die italienische
Polizei verhaftete Ende letzter Woche in der Provinz Reggio Calabria 16
Personen, darunter zwei Männer, die in der Schweiz wohnhaft sind.
Sie alle sollen der kalabresischen Mafia-Organisation
’Ndrangheta angehören. Daraufhin haben die italienischen Behörden
Rechtshilfeersuchen an die Schweiz gestellt.
Gut integrierte Mafiosi
Doch der Kreis der Inhaftierten hätte bald
schon viel grösser sein können – denn die Schweizer Bundesanwaltschaft führt
seit mehreren Jahren eine Strafuntersuchung gegen Personen, die der
Mitgliedschaft und Unterstützung der ’Ndrangheta verdächtigt werden. Wie
Bundesanwalt Lauber ausführte, richten sich die Ermittlungen gegen «10 bis 20
Personen», die teilweise schon seit Jahrzehnten im Raum Frauenfeld wohnhaft
sind.
Die meisten von ihnen sind italienische
Staatsbürger, die hierzulande bestens integriert sind. Den mutmaßlichen
’Ndrangheta-Mitgliedern wird vorgeworfen, im großen Stil in den Drogen- und
Waffenhandel involviert zu sein – wobei sie gemäß der Bundesanwaltschaft
«schwergewichtig in Italien operieren».
Wann die Handschellen genau zugeschnappt
wären, ist unklar. «Allzu lange wäre es wohl nicht mehr gegangen», sagt
Abteilungsleiter Bulletti. Man könne von ein paar Monaten ausgehen. Doch ob es
noch zu diesen Verhaftungen kommt, ist alles andere als sicher – denn die
Verdächtigen sind nun vorgewarnt. Die italienischen Behörden haben den Coup von
letzter Woche offenherzig der Öffentlichkeit preisgegeben und sogar ein Video
publiziert, das aus den Untersuchungen der Bundesanwaltschaft stammt.
Großer Erfolgsdruck
Für die Schweizer Ermittler eine denkbar
ungünstige Aktion: «Wir hätten dies anders gehandhabt», so Bulletti. Er erklärt
sich die Informationspolitik mit dem großen Erfolgsdruck, unter dem die
italienische Polizei steht. Der seit Jahrzehnten andauernde Kampf gegen das
organisierte Verbrechen hat seine Spuren hinterlassen.
Die Thurgauer ’Ndrangheta-Zelle stellt für
die Öffentlichkeit keine unmittelbare Gefahr dar, versuchte Bundesanwalt Lauber
zu beruhigen: «Die Schweiz ist ein kein mafiöses Land.» Die Verdächtigen hätten
hier «einen Ruhepol» und würden sich hüten, in der Schweiz kriminell zu werden,
ergänzte Bulletti.
«Seid ihr folgsam?»
Wie die «Schweizer Mafiosi» operieren,
belegt das von den italienischen Behörden publizierte Video: Es zeigt einen
Mann in der Gaststube eines Frauenfelder Restaurants, der ganz die Riten der
kalabrischen Mafia befolgt. Vermutlich rekrutiert er neue Gefolgsleute. In theatralischer
Manier begrüßt er die 15 Männer, die um zwei zusammengestellte Tische sitzen,
mit den Worten: «Seid ihr folgsam?» Im Chor antworten diese: «Ja, wir sind
folgsam.»
Gaststätten und Restaurants als Scheinfirmen zu nutzen ist bei den Mafiosi sehr beliebt. |
Dann spricht der Mann übers Geschäft: Er
nennt Erpressung, aber auch Drogenhandel. «Kokain, Heroin, ich überbringe es
euch persönlich.» Am Schluss des Videos warnt der Anführer die anwesenden
Männer: Der Clan verhalte sich ruhig und ehrenvoll «hier in Frauenfeld». Und
das solle auch so bleiben.
Beim Kopf der Frauenfelder Clans handelt
es sich gemäß italienischen Medien um Antonio Nesci. Die Bundesanwaltschaft
will sich dazu nicht äußern. «Ein Rest Schweizer Praxis wollen wir
aufrechterhalten und nicht Namen nennen», sagt Lauber. Bis am Abend
tauchten auch Fahndungsbilder des Thurgauer Paten mit direktem Draht in die
kalabrische Heimat, ins Dorf Fabrizia, auf.
Dass die Schweiz gemäß der
Bundesanwaltschaft kein mafiöses Land ist, relativiert der letztjährige
Jahresbericht der Bundeskriminalpolizei: Dieser resümiert, «dass sich in der Schweiz
mehrere operativ relativ unabhängige Strukturen der ’Ndrangheta etabliert
haben». Sie stünden unter dem Einfluss von Kalabrien. Hiesige Konflikte
zwischen Mitgliedern und einzelnen Unterorganisationen seien zwar bisher in
Italien ausgetragen worden, doch sei Gewalt auch hierzulande nicht
ausgeschlossen.
Und: Von den vier großen
Mafiaorganisationen, der Camorra, der Cosa Nostra und der apulischen Sara
Corona Unità sei nur die ’Ndrangheta wirklich aktiv in der Schweiz, heißt es.
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