Wie viel Macht
hat die Mafia in Italien? Wie viele Firmen gehören ihr? Der Sizilianer Stefano
Gurciullo entlarvt Mafia-Firmen mit winzig kleinen Hinweisen und riesigen
Zahlen. Dazu gehört Mut - und Hartnäckigkeit.
Italien im Sommer 1989. Die Luft ist
flirrend heiß, Grillen zirpen zwischen Olivenbäumen. Am Eingangstor eines
Bauernhofes unterhalten sich zwei Männer, sie scheinen sich gut zu kennen.
Beiläufig steckt der ältere der beiden seinem Gegenüber ein Bündel Geldscheine
zu. Eine ganz normale Transaktion. In Sizilien ist die Mafia ist überall.
Stefano Gurciullo erinnert sich noch
genau. Es war sein erster Kontakt mit der organisierten Kriminalität im Land:
"Mein Opa hatte ein kleines Stück Land. An diesem Tag kam ein Mann und
forderte Geld von meinem Großvater. Als ich das gesehen habe, fragte ich: Warum
gibst du dem Mann Geld? Mein Opa antwortete: Damit er uns beschützt. Vor wem
beschützt er uns, wollte ich wissen. Vor sich selber, sagte mein Opa
schulterzuckend. Wenn wir nicht bezahlen, dann nimmt er uns alles weg, was wir
haben."
Ein kleiner Zwischenfall mit großer
Wirkung, Stefano fasst einen Entschluss: Diese Ungerechtigkeit wird er nicht akzeptieren!
Wirtschaftsmacht
Mafia
Allein 2010 hat die Mafia laut
Schätzungen des italienischen Handelsverbandes "Confesercenti" 135
Milliarden Euro Gewinn gemacht. Haupteinnahmequellen: Drogen, Prostitution und
illegale Waffen. Ein Großteil dieser unglaublichen Summe verwendet sie, um die
private Wirtschaft zu infiltrieren. Diese Geldwäsche hat Destabilisierung,
Preisabsprachen und Ausschaltung des Wettbewerbs zur Folge.
Nur wenige versuchen die Muster
aufzudecken, nach denen kriminelle Organisationen Unternehmen infiltrieren. So
komplex die mafiösen Verbindungen sind, so aufwendig und risikoreich ist es,
belastende Daten zu beschaffen
Stefano Gurciollo wagt es trotzdem: Er
sammelt Informationen über das organisierte Verbrechen in der
zentralsizilianischen Stadt Porto Empedocle. Mit Hilfe von Big Data weist er
das Ausmaß der Infiltration in verschiedenen Wirtschaftsbereichen nach.
Das Ergebnis: Wirtschaftszweige mit
einem hohen Grad an Zentralität und wenigen Unternehmen sind besonders anfällig
für eine kriminelle Übernahme. Für die Mafia ist diese Zentralität das
entscheidende Kernkriterium, ein Unternehmen aus einem geschwächten
Wirtschaftssektor zu kontrollieren.
Folge dem Geld
Gurciollos Vorgehensweise ist einfach
wie effektiv. Er beschafft sich Bilanzaufstellungen und
Transaktionsaufstellungen aller Firmen im Gebiet der Stadt Porto Empedocle aus
den vergangenen Jahren. Sämtliche Berichte sind für die Öffentlichkeit frei
einsehbar.
Die Mafia-Verflechtungen in der Stadt
sind offensichtlich, aber durch bloße manuelle Auswertung der Daten lassen sie
sich noch nicht nachweisen.
Mafia-Firmen
mittendrin: Netzwerk von Porto Empedocle
Schlüsselt man das Baugewebe von Porto
Empedocle in einzelne Firmen auf und setzt diese in eine Grafik, sieht man
Folgendes:
Dazu braucht es zusätzlich vertrauliche
Daten der Anti-Mafia Polizei: In Sizilien herrscht die Cosa Nostra ( itl: Unser
Ding), die sich in einzelne Familien aufgliedert: Paten der Stadt Porto
Empedocle sind die Grassonellis. Sie kontrollieren das Gebiet um die
Hafenstadt. Über Jahre hat die Anti-Mafia Polizei Daten über Aktivitäten der
Grassonellis gesammelt: Verdächtige Cashflows, plötzliche und unerklärliche
Preissenkungen, aber auch Abhörprotokolle und Observationen lieferten
Informationen.
Datensätze
miteinander verbinden
Beide Datensätze reichen bis in die
frühen 2000er Jahre zurück. Mit den Daten über Firmen und den Informationen
über Aktivitäten der "Familie" in diesem Zeitraum hat Gurciollo den
Schlüssel, nach dem er so lange gesucht hat. Der Rest ist Informatik und
Mathematik: Rechenprogramme gleichen Firmendatensätze mit verdächtigen
Transaktionen ab, ordnen Geldströme zu und zeigen Unregelmäßigkeiten in
Bilanzen auf.
Die Ergebnisse zeigen Gemeinsamkeiten
zwischen unterschiedlichen Datensätzen, Ursprung und Ziel von Cashflows, legen
Transaktionen offen. Der erste Schritt ist getan: Infiltrierte Firmen sind
lokalisiert. Durch flächendeckende Kontrolle aller Daten eines Gebietes,
offenbaren sich zwischen scheinbar vollkommen unabhängigen Firmen erstaunliche
Verbindungen.
Gruciollo errechnet einen Index, der die
Mafia-Infiltration sämtlicher Firmen eines Wirtschaftszweiges darlegt. Der
Index bewegt sich zwischen Null und eins. Null bedeutet keine Einflussnahme,
während eins die komplette Kontrolle durch die Mafia darstellt.
Netzwerk von
Bauunternehmern in der Baubranche der Stadt Porto Empedocle: Die rot markierten
Firmen stehen für Unternehmen, die von der Mafia kontrolliert werden - und die
beste Beziehungen innerhalb dieses Netzwerkes unterhalten
Jeder Grüne Punkt steht für ein
Bauunternehmen. Die Verbindungen zwischen Punkten bedeuten Zahlungen zwischen
den einzelnen Firmen. Im Baugewerbe sind gegenseitige Zahlungen unter
Mitbewerbern an der Tagesordnung. Sie entstehen durch Arbeitsteilung in
verschiedenen Bauphasen: So beauftragt das federführende Bauunternehmen bei der
Konstruktion eines Hauses eine Sub-Firma damit, die Elektroinstallationen in
dem Gebäude vorzunehmen.
Daran ist erst einmal nichts Ungewöhnliches.
Rote Punkte stehen in der Grafik allerdings für Firmen, die von der Mafia
übernommen wurden - rote Linien für verdächtige Zahlungen oder Preisabsprachen.
Das Ausmaß der mafiösen Beeinflussung im Bausektor wird anhand der Grafik
sichtbar.
Leben mit dem Risiko
Gruciollo baut darauf, dass die
Öffentlichkeit ihm Schutz bietet: "Je mehr ich publiziere und je größer
meine Rolle in der Aufklärung über Strukturen und Handelsweisen der Mafia wird,
desto mehr Aufsehen gibt es, wenn mir etwas passiert." Trotzdem haben sich
einige seiner sizilianischen Freunde von Ihm abgewandt. Das ist nichts
persönliches, sagt er. "Die haben Angst mit mir in Verbindung gebracht zu
werden."
Die Sorge scheint berechtigt. Während
seiner Recherchen zu einem Bauunternehmen merkte Stefano Gruciollo, wie jemand
hinter ihm herlief, als er aus der Firma kam - immer näher kam, ganz dicht
hinter ihm ging. Mit sizilianischen Akzent sagte der Mann im Vorbeigehen:
" Lass die Finger von der Firma." Stefano macht weiter.
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