Bei einer international angelegten Polizeiaktion sind
im Landkreis Konstanz acht mutmaßliche Mitglieder der Mafia-Organisation
'Ndrangheta festgenommen worden. Niemand hatte sie bemerkt. „Sie waren
unsichtbar“, sagen Nachbarn. Was macht der Verbrecherclan in Süddeutschland?
- Acht Mafiosi am Bodensee festgenommen
- Insgesamt 140 mutmaßliche Mafiosi sind dem LKA
in Baden-Württemberg bekannt
- Verbrecherorganisation baut sich ein Netz in
Süddeutschland auf
Dienstagmorgen, 4 Uhr: Spezialkräfte der Polizei
stürmen die Wohnungen von acht verdächtigen Männern am Bodensee. Der Vorwurf:
Sie sollen der mächtigen Mafia-Organisation 'Ndrangheta aus Kalabrien
angehören. die verhaftungen erfolgten in Singen und Engen und Radolfzell
Verdächtige im Schlaf überrascht
Mit Rammböcken drückten die Einsatzkräfte die Türen
ein und überraschten die Männer im Schlaf. „Alles lief kontrolliert, es gab
keine Zwischenfälle, auch keine Schießereien.
Die mutmaßlichen Mafiosi konnten ohne Gegenwehr
festgenommen werden. Bei ihnen wurden laut dem Landeskriminalamt (LKA) in
Stuttgart allerdings scharfe Schusswaffen sichergestellt. „Es handelt sich um
Gewehre, eine Pump-Gun, Pistolen und Revolver mit zugehöriger Munition“, schildert
LKA-Sprecher Ulrich Heffner FOCUS Online. Außerdem beschlagnahmte die Polizei
auch Daten und Dokumente.
Mafiosi warten auf Auslieferung
Die zwischen 40 und 69 Jahre alten Männer sollen
schnellstmöglich nach Italien ausgeliefert werden, wo ihnen dann der Prozess
gemacht wird. In Italien ist die Zugehörigkeit zu einer Mafia-Organisation
strafbar.
Was macht die Mafia in Deutschland?
Laut dem LKA-Sprecher dient das Grenzgebiet in Süddeutschland
Mafia-Mitgliedern als Rückzugsraum. Die Italiener lebten dort unauffällig und
bescheiden, für Nachbarn waren sie unsichtbar. Viele seien dort sesshaft
geworden und wohnten schon jahrzehntelang im gleichen Ort, so
der Sprecher. Allerdings sollen sie exzellente Kontakte zu ihren Bossen
nach Italien haben.
Dem LKA in Stuttgart sind 140 Personen bekannt, die in
Mafia-Strukturen eingebunden sind. 65 gehören der kalabrischen ’Ndrangheta an,
32 der Stidda, 27 der Camorra und 14 der Cosa Nostra.
LKA: „Wir wissen, dass sie hier leben“
„Wir wissen, dass sie hier leben. Sie fallen hier aber
nicht durch strafrechtlich relevante Taten auf“, erklärt Heffner gegenüber
FOCUS Online. Für viele mutmaßliche Mafia-Mitglieder sei das Grenzgebiet am
Bodensee aber weit mehr als ein Rückzugsraum, räumt der Kriminalbeamte ein.
„Der Bereich wird für die Kriminellen immer mehr zum Aktionsraum. Sie agieren
von Deutschland aus nach Italien.“
Mafia reproduziert sich in Süddeutschland
Eine Einschätzung, die auch der Chefstaatsanwalt der
Provinz Reggio Calabri Cafiero de Raho teilt. Er erklärte, der kalabrischen
’Ndrangheta sei es gelungen, im Grenzgebiet zwischen Baden-Württemberg und der
Schweiz ein fast identisches Netz aufzubauen wie in ihrer süditalienischen
Heimat. Selbst der Aufstieg der Mafiosi in der Verbrecherkarriere funktioniere
rund um den Bodensee genauso wie in Rosarno oder San Luca, so De Raho.
Italienische Polizei macht Druck
Vor allem die italienische Polizei macht Druck auf die
Mafia, auch hier in Deutschland. Viele Zugriffe in Deutschland werden von
italienischen Behörden initiiert. Bei der Polizeiaktion am Dienstag im
Landkreis Konstanz waren ebenfalls Kräfte der italienischen Ermittlungsbehörden
aktiv beteiligt, erklärt LKA-Sprecher Heffner.
Deutschland unterschätzt die Gefahr
Der bekannte italienische Anti-Mafia-Staatsanwalt
Nicola Gratteri kritisierte die Arbeit der deutschen Behörden in Bezug auf die
Mafia: Es sei anfangs nicht leicht gewesen, die deutschen Behörden, vor allem
das Kriminalamt, von der Notwendigkeit umfassender Ermittlungen zu überzeugen.
Noch fehle offenbar jenseits der italienischen Grenzen das Gefühl für die
Gefährlichkeit der ’Ndrangheta.
Der Mafia-Ableger nutze das Grenzgebiet in Deutschland
nicht nur als Rückzugsraum, sondern wasche dort auch kriminell erworbenes
Bargeld und sei im Drogen– und Menschenhandel aktiv, schreibt die Zeitung
weiter.
Mafia-Zugehörigkeit in Deutschland nicht strafbar
Die italienischen Ermittler haben aufgrund
weitergehender gesetzlicher Regelungen bessere Möglichkeiten, kriminelle
Strukturen der Mafia zu zerschlagen. Der Paragraph, der die Bildung einer
kriminellen Vereinigung unter Strafe stellt, ist dort weiter gefasst.
Außerdem kann in Italien von Verdächtigen schon
präventiv Vermögen beschlagnahmt werden. In Deutschland müssen Ermittler
zunächst die Tat an sich und dann die in dem Zusammenhang erbeutete Summe
nachweisen, bevor sie Geld beschlagnahmen können, erklärt der Kriminalbeamte
Heffner vom LKA Stuttgart. Ein Vorgehen wie in Italien ist wegen der
Unschuldsvermutung und wegen des im Grundgesetz zugesicherten Eigentumsschutzes
nicht möglich.