Samstag, 30. August 2014

Vor ihm zittert die Mafia

‘Ndrangheta-Jäger Nicola Gratteri (56) ermittelt gegen die Frauenfelder Zelle.  Nicola Gratteri (56) ist ein bekannter italienischer Mafia-Jäger und Buchautor. Er ist Staatsanwalt in Reggio Calabria und bekämpft die ’Ndrangheta. Er lebt seit 1989 mit Personenschutz. Am Tag des Interviews mit BLICK begleiteten ihn drei Bodyguards.




Der Staatsanwalt im Interview über das Frauenfelder Mafia-Video, zögerliche Politiker und Kriminelle in der Schweiz.

BLICK: Sie und die Schweizer Kollegen der Bundesanwaltschaft haben die Frauenfelder Zelle aufgedeckt. Hat  Sie überrascht, dass eine Mafia dieser Art in der Schweiz agiert? 

Nicola Gratteri: Keineswegs. Ich bin schon Anfang der 90er-Jahre nach Neuenburg gereist, um nach einem gesuchten Verbrecher der ’Ndrangheta zu fahnden. Die Mafia gibt es in der Schweiz seit den 70er-Jahren. Mit den armen Gastarbeitern, welche Arbeit suchten, kamen auch die Verbrecher. Sie haben ihre Landsleute mit Schutzgeldforderungen erpresst und unseren Ruf verdorben.

BLICK: Gibt es außer dem Locale in Frauenfeld noch weitere ’Ndrangheta-Zellen in der Schweiz?

Nicola Gratteri: Es gibt sie in fast allen Sprachregionen. Es sind etwa 20 Zellen. Über Einzelheiten darf ich nicht sprechen.

BLICK: Zellen wie jene in Frauenfeld?

Nicola Gratteri: Diese Zellen sind Klone der kalabrischen Zelle. Drei oder vier Familien bilden sie. Blutsverwandtschaft ist dabei sehr wichtig. Daher gibt es in der ’Ndrangheta auch kaum Pentiti, also Verräter. Die Mitglieder haben nicht immer eine kriminelle Vergangenheit. In der Schweiz führen sie oft kleine Baufirmen oder Restaurants und erhalten finanzielle Unterstützung von der Mutterzelle. Sie werden mit traditionellen Ritualen aufgenommen und schwören Treue. Wenn der Boss ihnen einen Auftrag erteilt, müssen sie diesen erledigen.

BLICK: Wie kamen Sie der Frauenfelder Zelle auf die Schliche?

Nicola Gratteri: Die Operation Crimine brachte uns auf ihre Spur. Wir hatten 2008 die Elite der ’Ndrangheta im Visier. Da gab es Treffen mit Schweizer Mitgliedern. Noch heute kommen Vertreter der ausländischen Zellen in Kalabrien zusammen. Uns sind Zellen aus den Niederlanden, Deutschland, den USA, Kanada und Australien bekannt.

BLICK: Warum werden diese Zellen nicht zerschlagen?

Nicola Gratteri:  In vielen EU-Staaten ist die Mitgliedschaft bei einer Mafia-Organisation keine Straftat, also auch kein Grund zur Verhaftung wie bei uns in Italien.

BLICK: Also fühlen sich die Mafiosi im Ausland sicher?

Nicola Gratteri:  So ist es. In Italien verurteilte Verbrecher können im Rest Europas ihr Unwesen treiben. Die ’Ndrangheta hat mittlerweile das Monopol auf den Kokainhandel in Europa und beste Beziehungen zu den Drogenkartellen in Kolumbien.

BLICK: Das Ausland ist selbst von der Mafia bedroht. Warum wird dort nicht ganz anders durchgegriffen?

Nicola Gratteri: Als im Jahr 2007 im deutschen Duisburg sechs Mafiamitglieder erschossen wurden, erwartete ich eine Revolution. Doch es passierte nichts. Es sind die Politiker, die wegschauen. Sie wissen von der Bedrohung, wollen aber nicht zugeben, dass es sie gibt und dass sie immer weggeschaut haben.

BLICK: Klappt die Zusammenarbeit mit der Schweiz?

Nicola Gratteri: In den letzten drei, vier Jahren hat sie sich erheblich verbessert. Es besteht eine große Offenheit. Das freut mich sehr.

BLICK: Ihre Behörde hat ein Überwachungsvideo der Bundesanwaltschaft aus dem Thurgau veröffentlicht. Das hat die Schweizer verärgert. Sie fürchten Verdunkelungsgefahr. Warum haben Sie das getan?

Nicola Gratteri:  Die Ermittlungen gegen die ’Ndrangheta-Mitglieder von Frauenfeld sind abgeschlossen. Die Akten erhalten auch die Anwälte von Betroffenen. Damit sind sie für andere zugänglich. Also konnten wir das Video, Namen und Fotos von Beteiligten veröffentlichen.

BLICK: Wie könnte die internationale Jagd auf die ’Ndrangheta verbessert werden?


Nicola Gratteri: Die Gesetze müssen reformiert werden. Die Zugehörigkeit zur Mafia muss zur Straftat werden. Dann sollte man den Ermittlern mehr Spielraum geben. Wenn eine Straftat vorliegt und der Täter ermittelt ist, sollte es möglich sein, ihn weiter zu observieren, damit man an die Hintermänner kommt. So machen wir es in Italien. In vielen Ländern geht das nicht. Da muss sofort verhaftet werden. Wir in Italien wollen das Huhn und nicht das Ei.
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Freitag, 29. August 2014

Der 'Ndrangheta-Clan in Thurgau

Am 22. August, morgens um 2.20 Uhr, klickten im kalabrischen Badeort Marina di Gioiosa Ionica (I) in einem Hotel die Handschellen. Dutzende Polizisten stürmten unter Leitung der Anti-Mafia-Behörde die Unterkunft der beiden Thurgauer Antonio N.* (65) und Raffaele A.* (74).

Die beiden Abgesandten der Frauenfelder ’Ndrangheta-Zelle sitzen seither im Untersuchungsgefängnis von Reggio Calabria. Dort werden sie vorerst bleiben.
Denn gemäss Ermittlungsbericht des Untersuchungsrichters wiegt die Beweislast schwer: Der Chauffeur Antonio N. und Taxifahrer Raf­faele A. leiteten eine mafiöse Organisation. Darauf stehen in Italien bis zu neun Jahre Haft.




Der Untersuchungsbericht gegen die Frauenfelder Mafia-Zelle liegt BLICK vor. Darin zeichnet der Untersuchungsrichter detailliert nach, was zur Verhaftung von N. und A. führte und wer zum ’Ndran­gheta-Locale von Frauenfeld gehört.


Innerer und äusserer Zirkel

Die Gruppe, die sich im Boccia-Klub von Wängi TG traf und dabei von der Bundesanwaltschaft gefilmt wurde (BLICK berichtete), besteht aus einem inneren und einem äusseren Zirkel. Total 18 Mafiosi. In der Società maggiore sitzen die Bosse und älteren Mitglieder.

Sie treffen auf eigene Verantwortung Entscheidungen. Sie überwachen die Einhaltung der Gesetze der ’Ndrangheta und stehen in Kontakt mit dem Crimine, ihrer Dachorganisa­tion in Kalabrien.

Den Kontakt stellte der Thurgauer Antonio N. her – in der Hier­archie der Mafia stand er weit oben: Der Staatsanwalt stützt sich dabei auf Hunderte abgehörter Gespräche zwischen den Schweizer Mafiosi. Sie belegen, dass die Frauenfelder Zelle in regelmässigem Kontakt mit Kalabrien steht.


Antonio Nesci -  der «Schweizer Berg»

Anhand abgehörter Telefonate und gefilmter Treffen im Boccia-Klub können die Ermittler auch rekonstruieren, wie die Zelle organisiert ist (siehe Grafik). Antonio N., genannt Schweizer Berg, war der Mastro disponente und damit Verbindungsmann zwischen dem in Italien im Gefängnis sitzenden Mafiaboss Domenico Oppedisano (84) und dem Locale in Frauenfeld.


Kopf der Frauenfelder Gruppe ist laut den Akten B. N.* (48). Der verhaftete Taxifahrer Raffaele A. war Capo società und gleichzeitig Chef für die Einhaltung der Ordnung und Regeln.
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Spitznamen der Mafia-Paten

Einige geben sich selber einen unverwechselbaren Übernamen. Andere Mafiosi bekommen ihren Nickname unfreiwillig – etwa wegen ihres Gewichts.

Den Frauenfelder 'Ndrangheta-Paten Antonio N. (65) nennen sie «Cucchiarune», «Schweizer Berg». Der Schaffhauser Francesco A. (33), Waffenschieber der kalabrischen Mafia, heißt «Zikade». Ein Insekt, Meister der Tarnung.


Der Pate von Frauenfeld: Mafia-Boss Antonio Nesci,
genannt, der "Schweizer Berg"


Der Schaffhauser  Mafioso Francesco A.
Nach ihm wird gefahndet...


Wer ein richtiger Mafiosi sein will, der braucht auch einen markigen Namen. Idealerweise kommt er von den eigenen Mafia-Freunden. Ein unverwechselbarer Name, einer, der den Gegnern zittern lässt.


«Iceman» tötete 200 Männer

So wie der von Frank Balistrieri (†74), einst Mafia-Chef in Milwaukee. Gefürchtet als «Mad Bomber», der irre Bomber. Er bastelte am liebsten Sprengladungen.

Frank Balistrieri

Mafia-Killer Richard Kuklinski (†70) war «Iceman», der Eismann. Der US-Amerikaner mit polnischen Wurzeln war gleich für mehrere Mafia-Familien tätig, er soll mehr als 200 Männer getötet haben.

 Richard Kuklinski


John Gotti (61), der Pate von New York, war einer der mächtigsten Mafiosi der Cosa Nostra nach Al Capone. Übername: «Teflon-Don». Grund: Die unzähligen Anklagen perlten an ihm ab wie an einer Teflonpfanne.

John Gotti


Unter Gotti hatte sich Salvatore «The Bull» Gravano (69), der Stier, hochgedient. Seinen Namen holte er sich durch Faustkämpfe in den Strassen von New York.


Nickname vom Vater zum Sohn

Anthony Cassa (74), genannt «Gaspipe», Gasrohr, war Capo im Lucchese-Clan. Sein Vater Michael wurde als «Gaspipe» bekannt, er hatte stets ein Bleirohr dabei. Wofür, kann sich jeder denken. Der Name ging auf Anthony über, doch er hasste ihn. Er stand mehr auf Jagdgewehre.


Anthony Cassa 

Albert Anastasia (†55) alias «Lord High Executioner», der Exekutions-Grosskanzler, führte die gefürchtete Auftragskiller-Bande «Murder Inc.» an. Gregory Scarpa (†66), US-Mafiosi, tötete für die Colombo-Familie. Wegen seiner Brutalität war er der «Sensenmann».



Gregory Scarpa


Der fette Tony und der große Thunfisch

Bernardo Provenzano (81) war jahrelang einer der Chefs der sizilianischen Cosa Nostra, gehörte zu den Corleonesi. Wegen seiner Entschlossenheit war er «der Traktor».

Anthony Accardo (†86) «Big Tuna», der grosse Thunfisch, führte die Cosa Nostra in der US-Stadt Chicago. Er ging gerne Angeln, eines seiner wenigen Fotos zeigt ihn mit einem Thunfisch. Berüchtiger wurde er als «Batman». Weil er seine Kontrahenten gerne mit einem «Baseballbat», einem Baseballschläger ausschaltete.


Anthony Accardo



Mafiosi Anthony «Fat Tony» Salerno (†81), ebenso Cosa-Nostra-Mitglied, rauchte nicht nur dicke Zigarren, er war auch selber dick.


Der Clown macht Witze

Bei anderen ging es eher fröhlich zu. Charles «Lucky» Luciano († 64) soll sich seinen Namen selber gegeben haben. Als er im Alter von 14 Jahren 244 US-Dollar gewonnen hat, sei er darüber so glücklich gewesen, dass er sich «Lucky» nannte.


Joseph «The Clown» Lombardo (85), war während der 1950er-Jahre Mitglied der Cosa Nostra in den USA. Seinen Namen bekam er, wen wundert es, weil er gerne Witze macht.
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Nach Schießerei in Erfurt zwei Verdächtige festgesetzt

Rund sechs Wochen nach einer Schießerei in Erfurt hat die Polizei zwei weitere Tatverdächtige gefasst. Die beiden Männer im Alter von 24 und 30 Jahren wurden am Montag von Spezialeinheiten des Landeskriminalamtes (LKA) in Erfurt festgenommen, wie das LKA am Mittwoch in Erfurt mitteilte. Die Südländer, so heißt es, sitzen in Untersuchungshaft.





Bei der Schießerei in einer Spielothek waren am 13. Juli zwei Männer verletzt worden, einer von ihnen lebensgefährlich. Einzelheiten wurden mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht mitgeteilt.


In den vergangenen Wochen waren bereits zwei Tatverdächtige festgenommen worden, auch sie sind in Haft. Die Staatsanwaltschaft Gera und das LKA ermitteln gegen die Beschuldigten wegen versuchten Totschlags. Die Staatsanwaltschaft Gera hatte den Fall übernommen, da sie auf organisierte Kriminalität spezialisiert ist und es dafür offensichtlich Anhaltspunkte gibt.
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Donnerstag, 28. August 2014

20 Mitglieder der Ndrangheta verhaftet

Die italienische Kriminalpolizei hat heute 20 mutmassliche Mitglieder einer 'Ndrangheta-Zelle festgenommen. Sie will Beweise dafür haben, dass die Mafiosi unter anderem einen blühenden Waffenhandel zwischen Italien und der Schweiz führten.





Die Squadra Mobile von Catanzaro schlug heute Nacht gegen 3 Uhr zu. Bei 20 Mitgliedern des 'Ndrangheta-Clans Procopio-Mongiardo klickten die Handschellen. An verschiedenen Orten in Kalabrien wurden die Mafiosi festgenommen.

160 Beamte standen bei der Aktion «Hybris» im Einsatz. Eine Festnahme filmte die Polizei (siehe oben). Die Videoaufnahme zeigt, wie die Einsatzkräfte das Haus eines Verdächtigen stürmen und diesen anschließend abführen.




Die Kriminalpolizisten konnten die Männer im Alter zwischen 25 und 54 Jahren auf Anordnung der Anti-Mafia-Direktion und dank Abhör-Aktionen und Informationen eines V-Mannes überführen. 18 der Männer kamen laut Angaben italienischer Medien in Haft, zwei wurden unter Hausarrest gestellt. Anderen Quellen zufolge sollen sich nur 16 Männer im Gefängnis befinden.

Nach zweien würde noch gesucht. Bei den Ermittlungen kamen eine ganze Serie von Erpressungen zu Tage, außerdem sollen Unternehmern und Händlern Schaden zugefügt worden sein. Auch versuchter Mord und die Beeinflussung von Kommunalwahlen werden den Männern angelastet. Ein Mitglied des Mafia-Clans soll einen Journalisten einer großen italienischen Zeitung des Weiteren bedroht haben, weil dieser einen Artikel über die Familie des Mafioso plante.


Waffenschmuggel mit Schweizer Mafiosi

Auch deckten die Ermittler einen blühenden Waffenhandel zwischen Italien und Mafia-Mitgliedern kalabrischer Herkunft in der Schweiz auf. Ein verantwortlicher Staatsanwalt bestätigte dies heute. «Uns ist gelungen, die Bewaffnung der Zelle zu rekonstruieren» sagt er. «Die Organisation wurde regelmäßig mit Waffen aus der Schweiz beliefert, mit denen sie dann wie wild auf den Straßen rumballerten, nur um klar zu stellen, wer hier Herr des Territoriums ist.» Ein Amtskollege ergänzt: «Die Zelle hatte die völlige Kontrolle über das Gebiet erlangt und sich auch in der Kleinkriminalität bewegt.»


Noch ist unklar, ob mit den Schweizer Mafia-Vertretern der Clan aus dem Thurgau gemeint ist. Vergangene Woche gab die italienische Polizei bekannt, zwei Thurgauer 'Ndrangheta-Mitglieder verhaftet zu haben. Zusammen mit ihnen wurden laut der Bundesanwaltschaft 14 weitere Mafiosi verhaftet. Auf der Jagd nach dem organisierten Verbrechen kooperieren die Schweizer Behörden seit Jahren mit Italien. Die Beamten gehen davon aus, dass die Thurgauer 'Ndrangheta-Zelle rund 30 Mitglieder fasst
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Mittwoch, 27. August 2014

Mafia-Mitglieder auf Ibiza verhaftet

Beamte der spanischen Nationalpolizei haben gemeinsam mit italienischen Kollegen auf Ibiza zwei führende Köpfe der neapolitanischen Mafia sowie drei weitere Personen festgenommen. Sie stehen im Verdacht, auf der Baleareninsel Luxusuhren im Wert von über 10.000 Euro gestohlen zu haben.





Ermittlern zufolge hatte ein italienisches Paar eine Wohnung an der so genannten "Goldenen Meile" auf Ibiza angemietet. Beide konnten so ihre späteren Opfer in Luxusrestaurants und auf Yachten beobachten und die entsprechenden Taten planen. Zur Ausführung der Raubzüge kamen dann drei Experten aus Neapel auf die Insel. Sie überraschten die Opfer per Motorrad und flüchteten dann auf zuvor festgelegten Routen und in Verstecke.


Die Polizei stellte nach der Festnahme umfangreiches Material sicher, unter anderem Motorräder, Autos, Handys sowie eine große Menge Bargeld.

Die 'Ndrangheta ist gewarnt

Die offensive Kommunikation der italienischen Polizei hat der Arbeit der Schweizer Ermittlungsbehörden geschadet. Mitglieder der kalabresischen Mafia, welchen die Verhaftung gedroht hätte, sind nun vorgewarnt.


Bundesanwalt Michael Lauber


Am liebsten hätten sie geschwiegen, die obersten Mafia-Jäger der Schweiz – doch dann kamen ihnen die italienischen Behörden und ihre offensive Informationspolitik zuvor. Und so mussten Bundesanwalt Michael Lauber und sein Abteilungsleiter Carlo Bulletti kurzfristig eine Pressekonferenz einberufen.

Was war geschehen? Die italienische Polizei verhaftete Ende letzter Woche in der Provinz Reggio Calabria 16 Personen, darunter zwei Männer, die in der Schweiz wohnhaft sind.

Sie alle sollen der kalabresischen Mafia-Organisation ’Ndrangheta angehören. Daraufhin haben die italienischen Behörden Rechtshilfeersuchen an die Schweiz gestellt.


Gut integrierte Mafiosi

Doch der Kreis der Inhaftierten hätte bald schon viel grösser sein können – denn die Schweizer Bundesanwaltschaft führt seit mehreren Jahren eine Strafuntersuchung gegen Personen, die der Mitgliedschaft und Unterstützung der ’Ndrangheta verdächtigt werden. Wie Bundesanwalt Lauber ausführte, richten sich die Ermittlungen gegen «10 bis 20 Personen», die teilweise schon seit Jahrzehnten im Raum Frauenfeld wohnhaft sind.

Die meisten von ihnen sind italienische Staatsbürger, die hierzulande bestens integriert sind. Den mutmaßlichen ’Ndrangheta-Mitgliedern wird vorgeworfen, im großen Stil in den Drogen- und Waffenhandel involviert zu sein – wobei sie gemäß der Bundesanwaltschaft «schwergewichtig in Italien operieren».




Wann die Handschellen genau zugeschnappt wären, ist unklar. «Allzu lange wäre es wohl nicht mehr gegangen», sagt Abteilungsleiter Bulletti. Man könne von ein paar Monaten ausgehen. Doch ob es noch zu diesen Verhaftungen kommt, ist alles andere als sicher – denn die Verdächtigen sind nun vorgewarnt. Die italienischen Behörden haben den Coup von letzter Woche offenherzig der Öffentlichkeit preisgegeben und sogar ein Video publiziert, das aus den Untersuchungen der Bundesanwaltschaft stammt.


Großer Erfolgsdruck

Für die Schweizer Ermittler eine denkbar ungünstige Aktion: «Wir hätten dies anders gehandhabt», so Bulletti. Er erklärt sich die Informationspolitik mit dem großen Erfolgsdruck, unter dem die italienische Polizei steht. Der seit Jahrzehnten andauernde Kampf gegen das organisierte Verbrechen hat seine Spuren hinterlassen.

Die Thurgauer ’Ndrangheta-Zelle stellt für die Öffentlichkeit keine unmittelbare Gefahr dar, versuchte Bundesanwalt Lauber zu beruhigen: «Die Schweiz ist ein kein mafiöses Land.» Die Verdächtigen hätten hier «einen Ruhepol» und würden sich hüten, in der Schweiz kriminell zu werden, ergänzte Bulletti.


«Seid ihr folgsam?»

Wie die «Schweizer Mafiosi» operieren, belegt das von den italienischen Behörden publizierte Video: Es zeigt einen Mann in der Gaststube eines Frauenfelder Restaurants, der ganz die Riten der kalabrischen Mafia befolgt. Vermutlich rekrutiert er neue Gefolgsleute. In theatralischer Manier begrüßt er die 15 Männer, die um zwei zusammengestellte Tische sitzen, mit den Worten: «Seid ihr folgsam?» Im Chor antworten diese: «Ja, wir sind folgsam.»


Gaststätten und Restaurants als Scheinfirmen zu nutzen
ist bei den Mafiosi sehr beliebt.



Dann spricht der Mann übers Geschäft: Er nennt Erpressung, aber auch Drogenhandel. «Kokain, Heroin, ich überbringe es euch persönlich.» Am Schluss des Videos warnt der Anführer die anwesenden Männer: Der Clan verhalte sich ruhig und ehrenvoll «hier in Frauenfeld». Und das solle auch so bleiben.

Beim Kopf der Frauenfelder Clans handelt es sich gemäß italienischen Medien um Antonio Nesci. Die Bundesanwaltschaft will sich dazu nicht äußern. «Ein Rest Schweizer Praxis wollen wir aufrechterhalten und nicht Namen nennen», sagt Lauber. Bis am Abend tauchten auch Fahndungsbilder des Thurgauer Paten mit direktem Draht in die kalabrische Heimat, ins Dorf Fabrizia, auf.

Dass die Schweiz gemäß der Bundesanwaltschaft kein mafiöses Land ist, relativiert der letztjährige Jahresbericht der Bundeskriminalpolizei: Dieser resümiert, «dass sich in der Schweiz mehrere operativ relativ unabhängige Strukturen der ’Ndrangheta etabliert haben». Sie stünden unter dem Einfluss von Kalabrien. Hiesige Konflikte zwischen Mitgliedern und einzelnen Unterorganisationen seien zwar bisher in Italien ausgetragen worden, doch sei Gewalt auch hierzulande nicht ausgeschlossen.

Und: Von den vier großen Mafiaorganisationen, der Camorra, der Cosa Nostra und der apulischen Sara Corona Unità sei nur die ’Ndrangheta wirklich aktiv in der Schweiz, heißt es.

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