Schusssicheres Glas in Saal
21 – am Donnerstag beginnt das Verfahren gegen eine Betrüger-Bande in Lüneburg.
Sechs Männer sind angeklagt, weil sie ihre Opfer um 450.000 Euro betrogen haben
sollen.
Gerichtssprecher Harald Natho in Saal 21. Hinter ihm die schusssichere Glaswand |
Die Gummisohlen quietschen
auf dem Linoleum, schwere dunkle Holzbänke stehen für Wartende an der Wand, die
Grünpflanzen leben von Granulat, und das Hinweisschild für "Prozeßbeteiligte"
stammt noch aus der Zeit vor der Rechtschreibreform. Landgericht Lüneburg, Saal
21. Hier beginnt am Donnerstag der größte und gefährlichste Prozess seit
ungefähr 20 Jahren. Sechs Männer sind angeklagt, weil sie mit organisierter
Kriminalität ihre Opfer um 450.000 Euro betrogen haben sollen.
83 Verhandlungstage bis Dezember, sechs Angeklagte, zwölf
Verteidiger, drei Richter, ein Ergänzungsrichter, zwei Schöffen, zwei
Ersatzschöffen, diverse Dolmetscher. Dazu Wachtmeister und Polizisten in einer
Anzahl, die das Landgericht in Lüneburg aufgrund des aufwendigen
Sicherheitskonzepts nicht preisgibt: Das Verfahren bindet extreme Kapazitäten
über das ganze Jahr hinweg.
Die Täter sind zwischen 34
und 61 Jahre alt. Die Staatsangehörigkeiten lauten deutsch, russisch,
kasachisch, armenisch, tschechisch und türkisch. Hauptsitz ihrer
Briefkastenfirma war die Landeshauptstadt Hannover. Da kriminelle Vereinigungen
aber in den Bereich des Staatsschutzes fallen, kommt das Verfahren nach
Lüneburg: Dort sitzt die einzige sogenannte Staatsschutzkammer des Bezirks.
Das Wort Mafia vermeidet das Landgericht in seiner
Pressemitteilung. Auch Sprecher Harald Natho mag es nicht in den Mund nehmen,
wenn er von dem Prozess erzählt. "Das wäre zu kurz gefasst. Ob die
Vereinigung eine mafiöse Struktur hatte oder nicht, wird sich erst im Laufe des
Verfahrens herausstellen." Klar ist: Die sechs Angeklagten sollen zu einer
kriminellen Vereinigung gehören, die sich im Amtsdeutsch "als Teilgruppe
einer größeren Organisation der russischen und eurasischen Subkultur im Raum
Hannover etabliert hat". 15 Straftaten in den Jahren zwischen 2009 und
2014 sollen auf ihr Konto gehen, der Schaden wird mit insgesamt 450.000 Euro
beziffert. Die Anklage lautet auf gewerbs- und bandenmäßigen Betrug.
Eine Masche dabei: Ihre
Briefkastenfirma soll teure Geräte, Fahrzeuge und Maschinen geleast oder
gekauft, aber nie bezahlt haben. Stattdessen sollen die Männer die hochwertigen
Teile mit Gewinn weiterverkauft haben. Chef soll seit mindestens vier Jahren
der 61-jährige Angeklagte gewesen sein, der Älteste der Gruppe. "Dieb im
Gesetz" heißt sein Posten innerhalb der Szene. Festgenommen wurden drei
der Angeklagten zwischen Mai und Juli 2014 im Raum Hannover, ein weiterer im
Juni in der Tschechischen Republik, der fünfte im Juli in Griechenland.
Um die Prozessbeteiligten
vor möglicher Gewalt aus dem Zuschauerraum zu schützen, hat das Landgericht
eine schusssichere Glaswand in den Saal einbauen lassen. "Eine konkrete
Gefährdung liegt nicht vor. Unser Ziel ist, von vornherein ein
Sicherheitsgefühl herzustellen", sagt Harald Natho. "Es geht darum,
den bestmöglichen Schutz aller zu gewährleisten."
So aufwendig wie seit 20 Jahren nicht ist dieser Prozess: Damals
war zum ersten Mal überhaupt die Panzerglaswand im Einsatz – seitdem nie
wieder. Der Ton wird über Mikrofone und Lautsprecher hinter die durchsichtige
Mauer übertragen. Nur Medienvertreter dürfen vor der Glaswand sitzen.
Wachtmeister und bewaffnete Polizeibeamte kontrollieren, dass niemand etwas von
vorn nach hinten reicht oder umgekehrt.
Taschen, Beutel und Tüten,
Spruchbänder und Flugblätter, Schirme, Stöcke und Flaschen, Dosen und
Lebensmittel, Waffen, Handys, Fotoapparate, Filmkameras und Tonbandgeräte – all
das ist im Gerichtssaal verboten. Auch der übliche Eingang vom Lüneburger
Marktplatz ist während des Prozesses tabu: Es wird ein gesonderter Zugang von
einer Seitenstraße aus eingerichtet.
Ob tatsächlich Mitglieder
der Bande oder anderer Banden den öffentlichen Prozess besuchen werden, dazu
könne das Landgericht Lüneburg vorab nichts sagen. Es wird jedenfalls so
strenge Personenkontrollen geben, wie sie nur selten üblich sind in dem Haus.
Fünf der sechs Angeklagten
sitzen in Untersuchungshaft, derzeit in fünf verschiedenen
Justizvollzugsanstalten (JVA), damit die Männer sich nicht treffen und
besprechen können. Das heißt: Vorerst werden alle fünf zu jedem Verhandlungstag
von einer JVA in Niedersachsen nach Lüneburg gebracht – ob sie später einmal in
derselben sitzen werden, vielleicht sogar ganz pragmatisch in der direkt neben
dem Landgericht, ist noch unklar. Ob Angeklagte getrennt verwahrt werden oder
nicht, darüber entscheidet das Gericht.
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