Sergio Mattarella, der Favorit für das Amt des
Staatspräsidenten, ist einer der größten Gegner von Silvio Berlusconi. Ein Attentat auf
seinen Bruder politisierte den schüchternen Sizilianer. Wer ist dieser Mann?
Der Tag, der das Leben von Sergio Mattarella prägte und in andere
Bahnen lenkte, war der 6. Januar 1980, ein Sonntag. Vor dem Haus der Familie in seiner Geburtsstadt Palermo fielen
Schüsse: Ein Killerkommando der Cosa Nostra hatte ein Attentat auf seinen älteren
Bruder Piersanti verübt, der gerade in sein Auto eingestiegen war. Sergio
rannte die Treppen hinunter, zog seinen blutüberströmten Bruder aus dem Auto,
fuhr mit ihm in einem Streifenwagen der Carabinieri zum Krankenhaus – doch der
44-jährige Piersanti starb noch während der Fahrt in seinen Armen.
Piersanti Mattarella war Bürgermeister von Palermo. Er hatte sich
der Unterwanderung der Stadtbehörden durch die Mafia widersetzt und damit sein
Todesurteil unterzeichnet. Bruder Sergio, ein brillanter Jurist, hatte
eigentlich eine Karriere als Professor für öffentliches Recht angestrebt. Doch
nach der Ermordung Piersantis beschloss der damals 39-Jährige, ebenfalls in die
Politik zu gehen: Die Mafia sollte wissen, dass er sich von ihr nicht
einschüchtern liess. Sergio Mattarella schloss sich der Democrazia Cristiana
(DC) an, der auch sein Vater und sein Bruder angehört hatten.
Zuerst Rom, dann wieder Sizilien
Bereits 1983 wurde Sergio Mattarella als Vertreter des linken
DC-Flügels zum ersten Mal ins nationale Parlament gewählt. Dort blieb er ein
Vierteljahrhundert lang – bis 2008.
Seine erste wichtige Mission als nationaler Politiker führte ihn
zurück in seine sizilianische Heimat. Im Auftrag von Ciriaco De Mita säuberte
er in Palermo die eigene Partei, die nach wie vor tief in die trüben Geschäfte
der Cosa Nostra verstrickt war.
Dank Mattarellas Unterstützung wurde der frühere Mitarbeiter
seines Bruders, der Jurist und Anti-Mafia-Aktivist Leoluca Orlando, 1985 zum
ersten Mal Bürgermeister des sizilianischen Hauptorts – es war der Beginn des
«Frühlings von Palermo».
In Rom bekleidete Mattarella verschiedene Ministerposten – vor dem
Untergang der DC im Korruptionssumpf Anfang der 1990er Jahre und danach. Nach
dem Zusammenbruch seiner Partei gehörte Mattarella zu den Gründern der
DC-Nachfolgeparteien PPI und der christlich-sozialen Margherita-Partei.
Zusammen mit Romano Prodi, einst ebenfalls ein Vertreter des
linken DC-Flügels, war er danach einer der Väter des Parteienbündnisses Ulivo.
Später war Mattarella eine der treibenden Kräfte und Vordenker bei der Gründung
des heutigen sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) von Regierungschef
Matteo Renzi. Seit 2011 ist er Mitglied des Verfassungsgerichts.
«Mattarella ist ein Mann des aufrechten Gangs», pries Renzi seinen
Kandidaten vor dem ersten Wahlgang an. Damit spielte er auf eine Episode an,
die Ex-Premier Silvio Berlusconi bis heute nicht verdaut hat: Im Juli 1990 trat
Mattarella als Bildungsminister aus Protest zurück, weil der damalige
Ministerpräsident Giulio Andreotti die Vertrauensfrage zu einem neuen
Fernsehgesetz stellte. Die Vorlage war ein Geschenk an den aufstrebenden
Mailänder Privat-TV-Unternehmer und legalisierte dessen gesetzwidrige
Monopol-Stellung.
Es sollte nicht das einzige Mal bleiben, dass Mattarella und
Berlusconi aneinander gerieten. 1995, als Berlusconis Forza Italia in der
Europäischen Volkspartei (EVP) aufgenommen wurde, der auch sein PPI angehörte,
nannte Mattarella dies einen «irrationalen Albtraum».
Es sind diese beiden Episoden, die dazu geführt haben, dass sich
Berlusconi nun einer Wahl Mattarellas zum Staatspräsidenten widersetzt. Der
schüchterne, mitunter kühle Sizilianer, der gegen Ende seiner politischen
Karriere unter Massimo D’Alema 2001 Vize-Regierungschef war und 2002 als Verteidigungsminister
die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht einleitete, darf sich denn auch
noch keineswegs als gewählt betrachten.
Am Samstag wird es ernst
Staatspräsidentenwahlen sind in Italien immer unberechenbar, und
die drei ersten Wahlgänge vom Donnerstag und Freitag waren von Taktik geprägt.
Aber ab Samstag, wenn für die Wahl nur noch die absolute und nicht mehr eine
Zweidrittelmehrheit erforderlich ist, werden die Abgeordneten und Senatoren in
Rom Farbe bekennen müssen.
Es scheint gut möglich, dass der Samstag erneut ein Tag wird, der
das Leben des Sergio Mattarella auf den Kopf stellen wird – 35 Jahre nach der
Ermordung seines Bruders durch die Mafia-Killer.
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