Am Samstag beginnt Papst Franziskus seinen
Neapel-Besuch in der Höhle des Löwen: Im Mafia-Viertel Scampia will er ein
Zeichen gegen die Camorra setzen. In der Stadt wächst der Widerstand gegen die
Mafiosi.
Der
Märzwind weht durch Scampia. Plastiktüten treiben über die Grünflächen zwischen
den heruntergekommenen Wohnsilos. Das trostlose 70er-Jahre-Viertel im Norden
Neapels bewohnen 80.000 Menschen, trotzdem sind die Straßen beinahe leer.
"Das können sie vergessen, hier erzählt ihnen keiner was über das Leben
mit der Camorra", sagt Fabrizio Valletti. Der Jesuit und Leiter des
Jugendzentrums kennt die Mafiahochburg, eine der schlimmsten des Landes, seit
Jahren. "Das hier war mal als Vorzeigeviertel geplant. Schönes neues
Süditalien. Nur die Jobs für die Leute haben sie vergessen." 70 Prozent
sind offiziell erwerbslos. Bester Arbeitgeber ist die Camorra. Wer für die
Clans dealt, prügelt oder schießt, kommt gut über die Runden.
Seit
30 Jahren verrotten die riesigen Betonklötze, die sie wegen ihrer Dreiecksform
"Le vele" - die Segel - nennen. Durch den Film "Gomorrha"
wurden sie weltberühmt. An den Eingängen sollen Mafiaschläger regelmäßig die
Ausweise kontrollieren. Man will unter sich bleiben im sogenannten "Drogensupermarkt
Europas".
Mafia: Eigenes Verständnis von
Religion
Papst
Franziskus kommt trotzdem. Am Samstag landet er zum Auftakt seines
Neapel-Besuchs mitten in Gomorrha und spricht zu den Menschen. Vergangenes Jahr
hat er den Bossen und ihren Schergen die Exkommunikation angedroht. "Sowas
bringt nicht viel, das verstehen die gar nicht", meint sein Ordensbruder
Valletti. Mafiosi hätten ihr eigenes Verständnis von Religion. "Sie wollen
eine protzige Beerdigung, eine kitschige Erstkommunion für den Sohn und persönlichen
Beistand von dem Heiligen, den sie an einer Goldkette um den Hals tragen."
Ein Katholizismus mit viel Aberglaube, aber ohne Ethik, ohne Sinn fürs
Gemeinwohl sei das.
Dabei konnten sich die Mafiaorganisationen
von Neapel bis Palermo lange auf die Kooperation örtlicher Kirchenmänner
verlassen, räumt auch Valletti ein. Wertkonservativ und antikommunistisch, die
Paten galten als Ordnungsmacht, wo der Staat nicht präsent war. Erst unter
Johannes Paul II. schlug den Gangstern schärferer Wind entgegen. Erstmals
ermordete die Mafia auch Priester, die gegen die Doppelmoral und die Verbrechen
der "Ehrenwerten" aufstanden.
Milliardengewinne durch Drogen
und Schutzgeld
90
Clans haben Neapel unter sich aufgeteilt. Drogenhandel, erschlichene
Gewerbeaufträge und Schutzgelderpressung sorgen für Milliardengewinne.
Geschätzte 5.000 Familien stehen auf den Gehaltslisten der Camorra. Doch
Giovanni Colangelo, Chef der neapolitanischen Staatsanwaltschaft, sieht Licht
am Horizont: "Wir haben den Verfolgungsdruck verstärkt.
Giovanni Colangelo |
Inzwischen
verhaften wir fast täglich Angehörige der Camorra." Trotzdem seien auf
Neapels Straßen allein seit Jahresbeginn neun Menschen getötet worden, im
Vorjahr waren es 49. Die Opfer sind meist Camorristi, die bei Clan-Kämpfen eine
Kugel in den Kopf kriegen. "Aber immer wieder sterben auch Unbeteiligte
oder erklärte Mafia-Gegner." Gegner wie Colangelo selbst. Die Angst vor
der Rache der Camorra verdrängt er.
Firmen und Geschäfte machen
mobil gegen die Mafia
Fast
1.000 Unschuldige wurden in den vergangenen 25 Jahren in Süditalien umgebracht.
Auch deshalb wächst der Widerstand aus der Mitte der Gesellschaft. Das alte
Mafia-Sprichwort "Wer stumm ist und taub, lebt hundert Jahre", zieht
nicht mehr wie früher. "Addiopizzo" - "Tschüss Schutzgeld"
- heißt eine Initiative, der sich über 4.000 Firmen und Geschäfte in der Region
angeschlossen haben.
Die
Organisation "Libera" führt den Protest an. Sie lebt von Idealisten
wie Angelo Buonomo, 28, Politikstudent. "Neben der Erinnerung an die Opfer
geht es uns vor allem um die Nutzung der enteigneten Güter inhaftierter
Bosse." In einem Laden am Hafen bieten "Libera"-Aktivisten
Produkte an, die Kooperativen auf einstigen Mafia-Ländereien rund um Neapel
erwirtschaftet haben. Wer hier Pasta, Honig oder Weine mit den Namen Ermordeter
kauft, setzt ein klares Zeichen. "Und wir verkaufen gut."
Jesuitenpater Valletti
kämpft trotz seiner 77 Jahre an einem anderen Frontabschnitt. Sein
Jugendzentrum Hurtado in Scampia bietet Schulabbrechern Wege zur
Berufsausbildung. Eine Bibliothek, eine Näherei, sogar ein kleines Filmstudio
finden sich hier. "Wir müssen die Teenager mit Bildung von der Straße
holen, sonst gehen sie früher oder später der Camorra ins Netz und landen im
Knast."
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