Ein Hund liegt vor dem Rathaus von Casal di Principe, gelbe
Augen, fahles Fell, kein Halsband. "Ein Streuner, einer von vielen",
sagt Renato Natale. Und ein Problem für den 64-jährigen Bürgermeister Natale,
eines von vielen.
Casal
di Principe, 20.000 Einwohner, 1.200 Schwarzbauten, 40 Baufirmen, liegt gut 200
Kilometer südlich von Rom. Es ist der Heimatort der Casalesi, einer der
mächtigsten Clans der neapolitanischen Mafia-Organisation Camorra. Lange waren
die Casalesi die Herren von Casal di Principe und der gesamten Gegend. Ihr
Regime war totalitär, sie brachten nicht nur ihre Konkurrenten um, sondern auch
über 40 Unschuldige, darunter Frauen und Kinder. Und Gegner wie den Priester
Giuseppe Diana. Wer heute in Casal di Principe ankommt, wird von diesem Schild
empfangen: "Willkommen in der Stadt von Don Peppe Diana".
Bürgermeister
Natale sagt, nach drei Jahrzehnten sei der Ort "wie von einer
Militärdiktatur befreit". Die Bosse der Casalesi sind tot oder im Gefängnis. Auch ihre
Gewährsmänner in der Politik sind entmachtet, allen voran Nicola Cosentino,
Silvio Berlusconis ehemaliger Statthalter in der Region. Cosentino sitzt heute
in Untersuchungshaft.
Nicola Cosentino, Silvio Berlusconis ehemaliger Statthalter in der Region. Cosentino sitzt heute in Untersuchungshaft |
Die Aufräumarbeit der Justiz ist noch in vollem Gange. Gerade
erst wurde im Nachbarort ein Kommunikationsnetz der Camorristi entdeckt, die
sämtliche Haussprechanlagen im Ortskern miteinander verbunden hatten, um
Befehle erteilen zu können. Sogar das Provinzkrankenhaus wurde von den Bossen
beherrscht, von der Krankenhausküche bis zu den Elektrikern.
In
ihrer Hochburg Casal di Principe war der Wahlsieg des parteilosen Arztes Natale
im vergangenen Sommer wie ein Volksfest gefeiert worden. Es gab ein Feuerwerk,
die Leute tanzten auf den Straßen. Auch in anderen berüchtigten Mafia-Nestern
regieren heute bekannte Gegner der Bosse – etwa in Palermo, Catania und
Corleone auf Sizilien und im kalabrischen Reggio Calabria. In Neapel ist ein
früherer Staatsanwalt Bürgermeister. Und ein anderer Staatsanwalt, Raffaele
Cantone, der viele Camorristi hinter Gitter brachte, stieg zum Präsidenten der
nationalen Antikorruptionsbehörde auf.
Raffaele Cantone, der viele Camorristi hinter Gitter brachte |
"Die
militärische Macht der Casalesi ist gebrochen", bestätigt Renato Natale.
"Aber sie können sich jederzeit neu organisieren. Wenn wir die in uns
gesetzten Erwartungen enttäuschen, wird der Frust der Bürger umso stärker sein.
Und mit Frustrierten hat die Camorra leichtes Spiel."
Auf den ersten Blick scheinen die Hürden für den Bürgermeister
gar nicht so hoch zu liegen. Sicher, die streunenden Hunde müssen von der
Straße, die Schwarzbauten legalisiert und an die Kanalisation angeschlossen
werden, die Löcher im Asphalt gehören geflickt. Die Müllabfuhr soll endlich
funktionieren, und das Stadion, in dem der inzwischen aufgelöste Fußballverein
der Casalesi spielte, instand gesetzt werden. "Auch die Bevölkerung von
Casal di Principe hat ein Recht darauf, Sport zu treiben", sagt Natale, es
klingt trotzig. Als erste Amtshandlung ließ er das hoch gewachsene Gras im
Stadion mähen, um den Joggern den Weg frei zu machen.
Was anderswo in Europa eine Selbstverständlichkeit ist, bedeutet
für Casal di Principe einen großen Schritt, denn die Kommune hat kein Geld.
Rund 15.000 Euro im Jahr für die Unterbringung der herrenlosen Hunde sind
bereits ein Problem. Sozialhilfe für 1.200 Antragsteller zu zahlen ist ein Ding
der Unmöglichkeit. Die Zahl der Arbeitslosen wächst. Fast alle hier arbeiteten
im Baugewerbe oder in der Landwirtschaft: beides von der Mafia verseuchte
Wirtschaftszweige.
Die
Armut ist allgegenwärtig. Viele Häuser sind unverputzt, manche nur Bauruinen.
Geschäfte sind geschlossen, und wo doch einmal die Tür offen steht, weist sie
in ein heruntergekommenes Ladenlokal. Auch die Rathaustreppen sind verdreckt,
Natale kann sich keine Putzkolonne leisten. Der Bürgermeister arbeitet umsonst,
dafür aber eigentlich immer. An zwei Wochentagen ist er ehrenamtlich als Arzt
für die Ärmsten im Einsatz, für Migranten ohne Papiere und
Straßenprostituierte. Mehr Einsatz geht kaum.
Es
muss aber noch mehr gehen, denn die Regierung von Matteo Renzi hat verfügt,
dass überall im Land Schulden abgebaut werden sollen, auch in soeben befreiten
Städten wie Casal di Principe. Oder 500 Kilometer weiter südlich, in Reggio
Calabria. Dabei scheint es dort, in der Hauptstadt Kalabriens, nicht an Geld zu
fehlen. Streunende Hunde sieht man nicht am Corso Garibaldi, der Flaniermeile
im Zentrum. Dafür florierende Geschäfte, kaum Billigläden.
In Kalabrien ist die ’Ndrangheta zu Hause, Italiens mächtigste
Mafia-Organisation. Ihr vor allem auf
Drogengeschäften basierender Umsatz wird
auf rund 40 Milliarden Euro jährlich geschätzt. Die kalabrischen Familienclans
sind ein weltumspannendes Unternehmen, sie kaufen Drogen in Südamerika und
waschen das Geld überall in Europa, auch in Deutschland. In den vergangenen
Monaten flogen ’Ndrangheta-Firmen auf, die sich Aufträge für die Expo 2015 in
Mailand gesichert hatten. Die Casalesi mögen geschwächt sein, die ’Ndrangheta
aber wird immer stärker.
In
Reggio Calabria galt ihre Macht sogar als nahezu unbegrenzt. Vor drei Jahren
allerdings wurde die Stadtverwaltung abgesetzt, als sich herausstellte, dass
neben den Politikern sämtliche kommunale Dienstleistungsfirmen der Mafia
unterstanden. Im vergangenen Oktober wurde ein neuer Bürgermeister gewählt:
Giuseppe Falcomatà, erklärter Mafia-Gegner wie schon sein Vater Italo, der die
Stadt von 1993 bis 2001 regiert hatte. Auch Reggio wagt den Neuanfang.
Der Sozialdemokrat Falcomatà ist 31 Jahre alt, in seinem
dichten, kastanienbraunen Haar glitzern die ersten grauen Strähnen. Er empfängt
im roten Salon des Rathauses, ein geschmackvoll renovierter Jugendstilbau. Auch
er wirkt aufgeräumt, aber da ist auch viel Sarkasmus. "Lassen Sie uns
zuerst über die angenehmen Seiten meiner Stadt reden", sagt er. "Das
Klima ist perfekt, das Meer wunderschön. Damit hätte es sich."
Gerade kommt der Bürgermeister von einer Krisensitzung mit den
städtischen Verkehrsbetrieben. Sämtliche Busse waren im Depot geblieben, weil
die Versicherungsfrist abgelaufen war, angeblich völlig überraschend für die
Verantwortlichen. Genauso wie die zehn Ausfälle in der Wasserleitung vergangene
Woche. "Zehn Defekte in einer Woche sind zu viel", kommentiert
Falcomatà, das Wort Sabotage spricht er nicht aus. In Kalabrien ist man
vorsichtig mit bestimmten Wörtern.
Giuseppe
Falcomatà ist Jurist. Und Schriftsteller, zwei Romane hat er veröffentlicht, in
einer bemerkenswert leichten, luftigen Prosa. Dann ging er in die Politik,
eroberte über 60 Prozent der Wählerstimmen. "Ein beeindruckend starker
Wunsch nach Veränderung", analysiert er kühl. "Wie damals bei meinem
Vater. Aber ich muss sagen: Als er vor 20 Jahren Bürgermeister wurde, war
vieles einfacher." Einfacher? Damals ermordete die sizilianische Mafia
Cosa Nostra die Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, zündete
Bomben an der weltberühmten Gemäldegalerie Uffizien in Florenz und vor zwei
Kirchen in Rom. Die sizilianische Mafia hatte dem Staat den Krieg erklärt.
"Doch damals reagierte die Regierung in Rom", sagt Falcomatà.
"Und wir bekamen Hilfe aus Europa. In Reggio herrschte
Aufbruchstimmung."
Giuseppe Falcomatà |
Heute
ist das anders. Die Cosa Nostra erscheint zwar geschwächt, die ’Ndrangheta aber
weitet ihre Geschäfte aus. Der Aufbruch in Kalabrien hat einer lähmenden Krise
Platz gemacht. Und Rom rückt immer weiter weg. Premier Matteo Renzi will sich
mit der Mafia nicht aufhalten. Reformen, Schuldenabbau, Wachstum, das ist sein
römischer Dreiklang. Im Süden kommt davon nur ein schwaches Echo an: sparen,
sparen, sparen.
Die Stadtkasse von Reggio ist leer. Am Wochenende hat der
Bürgermeister mit 50 freiwilligen Helfern die Friedhöfe von Reggio aufgeräumt.
Der Auftrag für den Grünflächendienst konnte noch nicht erteilt werden – kein
Geld. In Reggio Calabria sind nur die anderen reich: die Bosse. Ähnlich wie
sein Kollege in Casal di Principe hat Falcomatà seinen Wählern nicht das Blaue
vom Himmel versprochen. Aber doch immerhin ein funktionierendes Krankenhaus,
pünktlich fahrende Busse. Klingt nicht nach viel, bedeutet aber: eine andere
Stadt.
Das
größte Problem wird Falcomatà freilich nicht lösen können. Man muss zweimal
hinschauen, bevor man es wahrnimmt, aber dann wird es unübersehbar. Es wimmelt
von jungen Menschen in Reggio Calabria. Trauben von jungen Frauen schlendern
den Corso entlang, perfekt frisiert, modisch gekleidet, teure Handtaschen am
Arm. Gruppen junger Männer sitzen in den Bars, hantieren mit den neuesten
Smartphones und lassen Diamantohrringe aufblitzen. An der Meerespromenade mit
dem spektakulären Blick auf die Küste Siziliens und den schneebedeckten Ätna
knutschen Paare unter Magnolienbäumen. Und das alles freitagmorgens um elf Uhr.
Eine Zeit, in der junge Menschen zwischen 20 und 30 Jahren
üblicherweise an der Uni sind, im Betrieb oder im Büro. Nicht in Reggio, der
180.000-Einwohner-Stadt am südlichsten Ende Italiens und Europas. Weit über die
Hälfte der Jungen hier sind beschäftigungslos. Keine Arbeit, kein Studium.
Nur
Shopping. Aber von welchem Geld? "Die Familien legen Wert auf die
Fassade", erklärt Bürgermeister Falcomatà. "Eher verschuldet man
sich, als die eigenen Kinder ärmlich gekleidet aus dem Haus zu schicken."
Kredite zu Wucherzinsen zu verleihen, das ist jetzt ein großes Geschäft für die
’Ndrangheta. Im Vergleich zum Drogenbusiness macht sie damit wenig Gewinn, aber
es garantiert ihr die Kontrolle über ihr Territorium.
Eine
Kontrolle, von der ein gewählter Bürgermeister nur träumen kann.
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