Die Szene ähnelt einem
Ausschnitt aus einem Martin-Scorsese-Film: Rund um einen Tisch herum sitzen
ältere Männer in Anzügen, vom Tischende her tönt es: «Kokain, Heroin, es hat
von allem. Zehn Kilo, 20 Kilo pro Tag bringe ich euch persönlich.» Man wähnt sich
in einer kalabrischen Mafiahochburg. Nur stammt das Video weder aus Italien
noch handelt es sich um eine Hollywood-Kulisse. Aufgenommen wurde es von der
Thurgauer Kantonspolizei – im Gasthaus Schäfli in Wängi.
Die von den italienischen Untersuchungsbehörden in der Reggio
Calabria bereits im letzten Jahr veröffentlichten Aufnahmen sind vom Tessiner
Fernsehen TSI erneut aufgegriffen worden. Dabei entstanden ist eine
Dokumentation, die am Freitag auf SRF info gezeigt wurde.
Bisher nur wenige Festnahmen
Der
Beitrag der beiden Reporter Maria Roselli und Marco Tagliabue bietet vertiefte
Einsichten in die mafiosen Strukturen der seit 40 Jahren existierenden
'Ndrangheta-Zelle, die unter anderem auch in Frauenfeld operiert. Dabei wird
klar, dass viele Mitglieder der Organisation weiterhin unbehelligt und zum Teil
unerkannt in Frauenfeld leben.
Nur
wenigen konnte bis jetzt das Handwerk gelegt werden – zum Beispiel dem
mutmaßlichen ehemaligen Paten Antonio N., der in dem Video seinen
Gefolgsleuten Drogenlieferungen verspricht. Er wurde im August 2014 zusammen
mit Raffaele A., einem weiteren Thurgauer Verdächtigen, verhaftet. Auch der
ranghöhere Giuseppe L., genannt «Peppe die Kuh», der über die
'Ndrangheta-Zellen in Norditalien und der Schweiz geherrscht habe, wurde am 18.
November letzten Jahres festgenommen.
«Ich kenne ihn. Das ist ein Witz,
oder?»
Laut
der Tessiner TV-Doku hatte «Peppe die Kuh» zuvor noch versucht, bei einem
Bauunternehmer in Pragg-Jenaz in Graubünden kalabrische Landsleute
einzuschleusen. Mit den kriminellen Machenschaften des Bekannten konfrontiert,
reagiert der Bauunternehmer mit Verblüffung: «Machen Sie Witze?», fragt er die
Reporterin. «Ich kenne ihn, ja. Das ist ein Witz, oder?»
Nicht
nur im Bündnerland kann man sich einfach nicht vorstellen, dass im
Bekanntenkreis der eine oder andere Mafiosi stecken könnte. Dass die Namen der
identifizierten Personen aus dem Schäfli-Video aus Gründen des
Persönlichkeitsschutzes nicht veröffentlicht werden, verkompliziert die
Situation zusätzlich. In der Frauenfelder «Communità» schafft das erhebliche
Verunsicherung. «Jeder verdächtigt jeden», ist im TV-Beitrag zu hören.
Weiteres Vorgehen unklar
Keine
Klarheit verschafft die Dokumentation über das weitere Vorgehen gegen den
Mafia-Ableger. Da die Zugehörigkeit zu einer kriminellen Organisation wie der
kalabrischen 'Ndrangheta in der Schweiz und in Italien juristisch
unterschiedlich beurteilt wird, sind den Behörden die Hände gebunden.
Während das Schäfli-Video
laut «Thurgauer Zeitung» der italienischen Justiz als Beweis für die
Zugehörigkeit zu einer kriminellen Organisation ausreicht, verlangt
Bundesanwalt Michael Lauber, dass auch eine konkrete Straftat vorliegen müsse,
bis man ein Mitglied belangen könne.
.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen