Mittwoch, 26. März 2014

'Ndrangheta, die weltweit reichste Verbrecherorganisation

Kalabrien, das Land zwischen Tyrrhenischem und Ionischem Meer, ist grün bis in den späten Oktober hinein, wenn die Buchenwälder sich goldbraun färben. Bis zu 2 000 Meter hoch erhebt sich das Gebirgsmassiv des Aspromonte, dessen Fuß ausgedehnte Olivenhaine säumen. Die Häuser in dieser ärmsten und von der Zentralregierung in Rom am meisten vernachlässigten Region Italiens sind erdbraun und staubgrau, ihre Bewohner zurückhaltend. Der Kalabrier schweigt lieber. Auch aus Angst, denn nirgendwo sonst in Italien wird das "Gesetz des Schweigens" so brutal durchgesetzt wie hier. Kalabrien steckt fest im Griff der 'Ndrangheta, der nach Expertenmeinung derzeit gefährlichsten Mafia-Organisation Europas.



Die Provinz im äußersten Süden des italienischen Festlandes hat im Verhältnis zu seiner Einwohnerzahl von zwei Millionen Menschen die höchste Kriminalitätsdichte des Landes und liegt damit noch vor den Regionen Campanien und Sizilien, wo die anderen nicht minder bekannten Mafia-Gruppen Camorra und Cosa Nostra herrschen. Allein in der Gegend um die kalabrische Hafenstadt Locri wurden zwischen Oktober 2004 und Frühjahr 2006 insgesamt 30 Mafia-Morde verübt. 2005 registrierte die Polizei in ganz Kalabrien 323 "attentati" gegen Unternehmer, Kaufleute und Kommunalbeamte. Gewinne aus dem Rauschgifthandel.

Mit ihrem brutalen Vorgehen gegen Abtrünnige und Gegner, die sich dem stetig wachsenden Einfluss der Mafia widersetzen wollen, sichert die 'Ndrangheta ihre wirtschaftliche Prosperität. Jährlich macht die Organisation, der 157 Clans angehören, einen Umsatz von geschätzten 30 bis 36 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Das Bruttosozialprodukt Kalabriens liegt bei jährlich 29 Milliarden Euro. An Reingewinn streichen die Bosse der 'Ndrangheta jedes Jahr etwa 2,5 Milliarden Euro ein.


Tropea, eine der Hochburgen der `Ndrangheta

Damit ist die kalabrische Mafia die reichste kriminelle Organisation Italiens. Gewaschen und investiert werden die kriminellen Gewinne in zunehmendem Maße in Westeuropa, vor allem auch in Deutschland. Mit dieser Diversifizierung ihrer Vermögensanlagen minimiert die 'Ndrangheta die Gefahr, dass ihre Besitztümer bei möglichen Strafverfahren beschlagnahmt werden könnten. Die Tatsache, dass die 'Ndrangheta in den letzten Jahren zunehmend in Deutschland aktiv geworden ist und hier zu Lande regelrechte Logistik-Stützpunkte eingerichtet hat, beunruhigt die Behörden.

Zwar agieren die kalabrischen Clans und die anderen italienischen Mafiagruppen in Deutschland bislang weitgehend geräuschlos. Experten aber befürchten, dass blutige Verteilungskämpfe wie sie derzeit in Neapel rivalisierende Camorra-Clans ausfechten, auch nach Deutschland getragen werden können. Die derzeit größte Gefahr für Deutschland und sein Wirtschafts- und Finanzgefüge droht nach Einschätzung von Mafia-Experten von der kalabrischen 'Ndrangheta.

Der immense Reichtum der Organisation rührt nach Erkenntnissen des Bundesnachrichtendienstes (BND) vor allem aus dem Rauschgifthandel mit südamerikanischen Drogenkartellen her. Beim Handel mit Kokain gilt die 'Ndrangheta mittlerweile als "unangefochtener Weltmarktführer". Aus Rentabilitätsgründen habe sich die Mafia-Organisation laut BND in den vergangenen Jahren jedoch auf den europäischen Kokainmarkt konzentriert und sei taktische Bündnisse mit kolumbianischen Kartellen eingegangen. 

Inzwischen hat die Organisation bereits eigene Koka-Anbauflächen in Peru und Bolivien aufgekauft. Mit ihrer Vormachtstellung auf dem Rauschgiftmarkt sichert sich die 'Ndrangheta aber auch politischen und gesellschaftlichen Einfluss in Italien. Wie der BND in seiner Analyse schreibt, gebe es "Anzeichen, dass es der 'Ndrangheta gelungen ist, über Kokainlieferungen an namhafte italienische Künstler und Intellektuelle, aber auch an Parlamentarier in Rom, Kontakte bis ins Parlament zu knüpfen".




Außerdem sei es zumindest einzelnen Clans der kalabrischen Mafia im Laufe der letzten Jahre "unbemerkt gelungen, in nahezu allen Bereichen des öffentlichen Lebens, der Politik und Justiz sowie der Exekutive systematisch, flächendeckend und bis in die obersten Ebenen der Verwaltung ihre Spitzel und Zuträger so zu positionieren, dass sie jederzeit über den notwendigen Wissensvorsprung verfügen, den Exekutivmaßnahmen des Staates präventiv begegnen zu können". Verbindungen zur Politik sind europaweit geknüpft. Längst konstatierten politische Kreise in Italien dem Bundesnachrichtendienst zufolge "eine neue, politische Dimension der 'Ndrangheta und eine Abkehr von traditionellen Mafia-typischen Verhaltensmustern in Richtung auf eine koexistierende 'vierte Gewalt' im Staate, mit der man sich, wie auch immer, zu arrangieren habe".

Der deutsche Geheimdienst ist denn auch skeptisch, ob es Italien gelingen wird, das Mafia-Problem in den Griff zu bekommen: "Es stellt sich die Frage, ob wegen der mannigfachen Verbindungen zwischen Mafia und Politik der notwendige Handlungsspielraum vorhanden ist, die Auswüchse der Organisierten Kriminalität in Italien mit allen zur Verfügung stehenden und vorhandenen Mitteln zu bekämpfen und auf Dauer zu beseitigen", heißt es in der BND-Analyse.

100 Milliarden Euro Jahresumsatz ist eine katastrophale Kaptalmacht, mit der sogar Regierungen in die Knie gezwungen werden. Der Süden Italiens wird von vier Mafia-Gruppierungen beherrscht, die sich das Territorium aufgeteilt haben: Cosa Nostra in Sizilien, 'Ndrangheta in Kalabrien, Camorra in Kampanien und Sacra Corona Unita in Apulien. Hinzu kommen noch einige mehr oder weniger selbstständige mafiöse Strukturen. Offiziell wird der Gesamtumsatz aller italienischen Mafiaorganisationen mit 180 Milliarden Euro jährlich angegeben. Die einzelnen Gruppen halten eine straffe Interessensabgrenzung und geografische Kompetenzaufteilung ein.




Das Ausmaß eines geografischen Raumes, die sogenannte geometrische militärische Stärke, ist für die jeweiligen Mafiaorganisationen ein wichtiger Parameter für ihre Effizienz. Die 'Ndrangheta gilt als mächtigste und reichste Mafia-Organisation Italiens. Ihr Name leitet sich aus dem kalabrischen Dialektwort 'Ndrino ("Mann mit dem aufrechten Rücken, der sich nie beugt") ab. Die einzelnen Clans der 'Ndrangheta, die sogenannten Cosca (ital.: Artischocke), deren Zahl von italienischen Behörden mit 157 angegeben wird, agieren zumeist autonom, aber räumlich straff abgegrenzt voneinander. Im Unterschied zu den anderen italienischen Mafia-Organisationen ist es der 'Ndrangheta in den letzten Jahren gelungen, auch in Norditalien Dependancen zu errichten.


73 der 157 Clans der 'Ndrangheta sind international aktiv, viele sogar weltweit. Sie operieren außer in Deutschland in der Schweiz, Frankreich und in fast allen Ländern Osteuropas sowie in USA, Kanada und Australien. Nur ein ganz geringer Teil der kriminellen Gewinne wird in Italien angelegt, das meiste Geld transferiert die 'Ndrangheta in das übrige Europa.
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