„Siehe Neapel und stirb!“
hat Goethe einst geschrieben und
bezog sich damit auf die atemberaubende Schönheit der Stadt am Mittelmeer zu
ihren goldenen Zeiten. Die Redensart gilt noch heute, nur hat sich ihre
Bedeutung ein wenig verändert.
Die
Camorra, eine der drei großen Mafia-Organisationen Italiens, herrscht über
Neapel und die umliegende Region Kampanien seit Jahrzehnten und hat sich mit
Einschüchterung und Mord ihren Weg an die Spitze gebahnt. Leichen sind
allerdings nicht das einzige, was sie vergräbt. Die Camorra kann auch
gigantische Profite aus der Entsorgung einer unermesslichen Menge von Müll
schlagen—unter anderem auch giftigem Abfall, den sie im regionalen Umland, aber
auch Süditalien vergräbt, da Politiker und ganze Städte unter ihrem
Einfluss stehen.
Die
italienische Umweltorganisation Legambiente gibt an, dass die Mafiosi der
Camorra seit 1991 an die 10 Millionen Tonnen Abfall weggeworfen, verbrannt und
vergraben haben. Ein Großteil des Mülls kommt aus Fabriken im Norden, die
entweder aktiv Komplizen der Deals sind oder wohlwollend wegschauen, während
sie versuchen die offiziellen Entsorgungskosten abzustottern.
„Monnezza“—Abfall
auf neapolitanisch—ist, wie Mafia-Informanten sagen, inzwischen wahrhaftig Gold
wert. Unterdessen ist eine Region, die einst für ihr fruchtbares Ackerland und
ihr wunderschönes Lanschaftspanorama bekannt war, nun auch berüchtigt
für das Verbrennen von Schutthaufen, für mutierte Schafe und ihre ungewöhnlich
hohe Krebsrate.
Nachdem
sich in den Straßen Neapels im Jahr 2007 die Müllberge aufgetürmt haben,
gab es nicht nur Massenproteste, eine globale Berichterstattung und eine Klage gegen Italien
durch die europäische Kommission,
sondern auch einen von Präsident Silvio Berlusconi höchstpersönlich
vorgestellten Plan zum Bau von Verbrennungsanlagen gegen den Müllnotstand.
Aber das
hochtrabende Vorhaben brachte selbst nur weitere Umweltprobleme hervor. Selbst
der Bischhof von Neapel verweigerte sich, das Projekt zu segnen
— mehr aus Sitte, als aus Protest. Und auch sonst wurde seither relativ
wenig gegen das Problem der Abfallentsorgung getan. Wie die Times berichtete ist die Krebsrate in der gesamten Region
in der Zwischenzeit nur noch weiter angestiegen.
Der Schleier der
Geheimhaltung, der die Mafia umgibt, hat auch dazu geführt, dass das Ausmaß der
Umweltprobleme in Neapel schwer zu bemessen ist. Details über die
Abfall-Aktivitäten der Mafia sind nur in kleiner Dosis durch die Abtrünnigen
der Mafia ans Licht gekommen. Aus einer mittlerweile berühmten Aussage von
Carmine Schiavone, der gestand an mehr als 50 Morden beteiligt gewesen zu sein,
ist bekannt, dass „Millionen Tonnen“ von giftigen Müll aus so weit entfernten
Gebieten wie Deutschland importiert wurden.
Die
Operationen, so sagte der ehemalige Schatzmeister des Casalesi Clans aus,
fanden im Schutz der Nacht statt und wurden von Mafiosi in militärischen
Polizeiuniformen bewacht. Er führte die Beamten sogar zu bestimmten Deponien,
bei denen er sich Sorgen macht, dass die Menschen, die dort leben, „innerhalb
von 20 Jahren an Krebs sterben könnten.“
Die
Warnungen von Schiavone wurden jedoch weitgehend ignoriert. Laut einem Bericht
vom Spiegel, waren viele Beamte, die einige der höchsten Ämter in der
italienischen Regierung bekleiden, in die Machenschaften verwickelt. Seine
vollständige Aussage wurde von Rom bis zum Oktober 2012 geheim
gehalten—fünfzehn Jahre nach der Tat beugte sich das Parlament dem öffentlichen
Druck und hob die Einstufung des Dokumentes als geheim auf.
100.000 Bürger protestierten im November in Neapel. |
Wissenschaftliche
Studien halfen schließlich bei der Aufklärung. Ein Gutachten von der US-Marine,
die eine Basis in Neapel betreibt, hat 2008 beispielsweise eine gravierende
Wasserverschmutzung und „inakzeptable Risiken“ aufgedeckt. Alle in der
Region stationierten Amerikaner wurden aufgefordert, nur noch abgefülltes
Wasser zum Trinken, zur Zubereitung von Speisen und zum Zähneputzen zu
verwenden. Die Anzahl der Tumore bei neapolitanischen Männern ist in den
vergangenen zwei Jahrzehnten um 47 Prozent gestiegen. Die Region Kampanien hat
die höchste Unfruchtbarkeitsrate Italiens und steht auch an der traurigen
Spitze der landesweiten Statistik der schwersten Autismus-Fälle.
Auch
Lungenkarzinome treten in der Region um Neapel wesentlich häufiger auf, sogar
bei Nichtrauchern. Dr. Alfredo Mazza, ein Kardiologe, der den Anstieg der
lokalen Krebsfälle im Jahr 2004 in einer Studie in der medizinischen
Zeitschrift The Lancet veröffentlich hat, erzählte der Times: „Es ist
unmöglich, alles zu bereinigen. Das Gebiet ist zu groß.“ Und er fügte hinzu:
„Wir leben auf einer Bombe.“
Gefährdet sind aber nicht
nur die Neapolitaner selbst. Diese Region—Heimat von rund 500.000 Menschen—ist
auch eines der Herkunftsgebiet von Italiens berühmtem Büffelmozzarella und
Olivenöl. Im Jahr 2008 prüften örtliche Gesundheitsbehörden Proben von
Büffelmilch aus Betrieben nördlich von Neapel und fanden hohe Konzentrationen
von Dioxin—ein unangenehmes chemisches Nebenprodukte, dass in giftigen
PCB-Verbindungen und im Agent Orange Entlaubungsmittel zu finden ist, aber auch
beim versuchten Attentat
auf den ukrainischen Präsidenten 2004 eingesetzt wurde.
Die
auf die Studienergebnisse folgende Gesundheitspanik war ein harter Schlag für
die Käseindustrie der Region, die für rund 20.000 dringend benötigte
Arbeitsplätze verantwortlich ist, und eine ernüchternde Erinnerung daran, dass
die Bauern in der Region unwissentlich Land bewässern und Tiere auf Feldern
füttern, welches durch Giftmüll kontaminiert ist.
Sergio
Costa, Neapels bester Umweltpolizist, hat darauf bestanden, dass die Produktion
von Käse sorgfältig kontrolliert werden muss. So sind in den letzten Jahren
keine weiteren Fälle von Kontamination mehr entdeckt worden — aber die
Überprüfung von Produkten und kontaminierten Grundwasserleitungen wird
dennoch fortgesetzt.
In
einem Interview hat Costa eine
Liste von Stoffen herausgegeben, die in höheren Werten als zugelassen, in 13
Bewässerungsbrunnen von Ackerfeldern gefunden wurden: Arsen, Cadmium,
Zinn, Beryllium und andere Metalle; sowie Tetrachlorid und weitere Chemikalien,
die als industrielle Lösungsmittel verwendet werden. Die Camorra, sagte er,
haben „ihr eigenes Hoheitsgebiet vergiftet—sie haben ihr eigenes Blut
vergiftet.“
Inzwischen
hat sich die Gefahr von vergrabenen, giftigen Abfällen, zusammen mit dem
Mafia-Einfluss auf die Abfallindustrie, weit über die Grenzen Neapels hinaus
ausgebreitet. Nachdem sie kaum noch Platz haben, den Giftmüll zu entsorgen—dank
dem zunehmenden polizeilichen und öffentlichen Druck — verschifft die Camorra
nun angeblich ihre Giftmülltransporte nach Osteuropa und auf den Balkan.
Franco Roberti, der die
Mafia in Neapel überwacht hat und jetzt den landesweiten Kampf gegen
das organisierte Verbrechen anführt, sagt, dass die Giftmüllablagerung auch um Florenz, der
touristenfreundlichen Hauptstadt der Toskana, entdeckt wurde.
Außerdem
hat die jahrzehntelange Kooperation der Camorra mit der chinesischen Mafia bei
der Herstellung und dem Verkauf von gefälschter Designer-Kleidung,
inzwischen wohl auch das Feld der Abfallwirtschaft erreicht: Überprüfungen
haben in den letzten Jahren Frachtschiffe voll von Abfällen entdeckt, darunter
auch giftige Materialien und Krankenhausmüll, die nach China und Hong Kong
verschifft werden.
Aber
der Druck auf die Camorra steigt. Inzwischen setzten sich die Anwohner immer
mutiger zur Wehr, auch wenn der Preis im Kampf gegen die Mafia hoch
bleibt, und die meisten derjenigen, die Informationen über die Mafia
preisgeben schlicht Attentaten zum Opfer fallen. Im November gingen mehr
als 100.000 Menschen auf die Straßen Neapels, um gegen den von der Mafia
geführten „Biozid“ ihrer Region zu protestieren, nachdem eine Untersuchung
gefährliche Mengen von Arsen, Blei und anderen schädlichen Materialien im
umliegenden Ackerland aufgedeckt hat. Ende vergangenen Monats begann die
Polizei eine beispiellose Razzia gegen die Camorra, bei der ein 250
Millionen Euro Betriebsvermögen beschlagnahmt wurden, darunter 27
Pizzerien, Cafés und andere Lokale in Rom.
Ob
die Bemühungen um die Umwelt, die strafrechtlichen Ermittlungen und die
öffentlichen Proteste in Neapel dazu beigetragen haben, dass in Italien
nachhaltig aufgeräumt wird, oder nicht, muss sich noch zeigen. Die Aktionen
machen aber jetzt schon deutlich, dass die Auswirkungen von organisierter Kriminalität noch
tiefer und hässlicher sind, als lediglich Gewalt und Erpressung. Die Macht der
Mafia auf ihr Land reicht so weit und ist so stark, dass ihre
Effekte vielleicht sogar die Mafia selbst überleben könnten.
Optimistischere
Zeitgenossen wiederum spekulieren, dass die Umweltprobleme in Neapel
die Camorra dazu inspirieren könnten, ihr langjähriges Know-How in der
Abfallwirtschaft und im Controlling öffentlicher Aufträge dafür zu nutzen, sich
in einer neuen wachsenden Industrie zu engagieren und das Chaos
aufzuräumen, dass sie selbst verschuldet hat.
.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen