Beim obersten
Kemptener Drogenfahnder werden 1,5 Kilo Kokain gefunden. Der Beginn einer
Affäre. Es geht um die Mafia und das Verhältnis eines Fahnders mit einer
Gangsterbraut.
Der Hilferuf der verzweifelten Frau
erreichte die Polizei Kempten in der Nacht zum Samstag. Ein Streit mit ihrem
Ehemann war völlig aus dem Ruder gelaufen. Zwei Streifenpolizisten läuteten an
der Wohnungstür, um nach dem Rechten zu sehen. Was sie fanden, war alles andere
als recht. Sondern vielleicht der Auftakt zu einem Polizeiskandal ungeheuren
Ausmaßes. Denn gegen den Herrn des Hauses ergab sich der „Verdacht von
Straftaten zum Nachteil seiner Ehefrau“, was auf häusliche Gewalt deutet. Und
auf eine gewaltige Drogensache. Der rabiate Ehemann war kein Unbekannter.
Sondern ein Kollege, ein Rauschgiftermittler, aber nicht irgendeiner.
Der 52-Jährige ist Leiter des
Rauschgiftkommissariats Kempten. Ein Polizist ganz oben in der Hierarchie,
Erster Kriminalhauptkommissar. Im Rahmen der weiteren Ermittlungen wurde in
seinem Spind bei der Dienststelle in Kempten Rauschgift gefunden. Nach
Informationen unserer Zeitung 1,5 Kilogramm Kokain im Schwarzmarktwert von
einer viertel Million Euro. Dass ein gravierender Fall vorliegt, zeigt schon
die Tatsache, dass er von einem speziellen Dezernat beim Bayerischen
Landeskriminalamt verfolgt wird. Die Truppe aus München wird immer dann aktiv,
wenn die Beschuldigten Polizisten sind.
Allgäu seit
Jahren als Mafia-Zentrum bekannt
In Polizeikreisen ist die Affäre
Gesprächsthema Nummer eins. Einer aus den eigenen Reihen möglicherweise in
Drogengeschäfte verstrickt – die Nachricht hat eingeschlagen wie eine Bombe.
Woher stammt das Kokain? Wurde es bei Ermittlungen beschlagnahmt und dann
unterschlagen? Und der ganz schlimme Verdacht: Ist der Kollege ein Verräter,
der einer Verbrecherbande einen Freibrief für den Rauschgifthandel ausgestellt
hat? Informationen über Ermittlungen und Razzien ausgeplaudert hat? Hat er gar
ein Komplott gegen zwei Ermittler angezettelt, die seinem Treiben zu nahe
kamen?
Die zuständige Staatsanwaltschaft
München I gibt aus „ermittlungstaktischen Gründen“ keine Auskunft zu der Sache,
die dadurch besonders brisant wird, dass Kempten seit Jahren als Hochburg der
italienischen Mafia gilt. Genauer gesagt: der kalabrischen ’Ndrangheta. 1998
wird am Bahnhof der Allgäu-Metropole eher zufällig der Auftragskiller Giorgio
Basile aufgegriffen. Das „Engelsgesicht“ soll mehr als 30 Morde auf dem Konto
haben und wird später zum Kronzeugen. 2010 hebt die Polizei bei einer Razzia in
der Pizzeria Vulcano in Sonthofen einen Stützpunkt der kalabrischen ‘Ndrangheta
aus. Ein Clan soll vom Allgäu aus im großen Stil mit Kokain gehandelt haben.
„Diese Strukturen sterben nicht“, sagt ein hochrangiger Polizist damals in
einem Interview. Seit Jahren ist die Szene in der Ferienregion Ziel aufwendiger
polizeilicher Ermittlungen.
Polizei in
Neu-Ulm ermittelte verdeckt
Für die Bekämpfung der Organisierten
Kriminalität im ganzen Gebiet von den Königsschlössern bei Füssen bis zu den
markanten Kühltürmen des Kernkraftwerks Gundremmingen bei Günzburg ist die
Kriminalpolizeiinspektion für zentrale Aufgaben (KPiZ) in Neu-Ulm zuständig.
Ihr Leiter bis April 2013 ist Gregor Piper (Name geändert), ein
Vorzeigepolizist, Familienvater, Marathonläufer. Ein Typ wie
Fußball-Bundestrainer Jogi Löw, drahtig, gut gekleidet, souverän. Seine
„Kundschaft“: Islamisten, Rockerbanden und die Mafia in all ihren Ausprägungen.
Die russische Variante, Banden vom Balkan, Verbrecherorganisationen wie die
Camorra aus Neapel oder besagte ‘Ndrangheta aus Kalabrien, die angeblich den
Drogenhandel im Allgäu kontrolliert. Piper gilt als knallharter Ermittler,
genießt in seiner Mannschaft höchsten Respekt.
Es ist eine eingeschworene Truppe,
die von Neu-Ulm aus gegen die Verbrecherorganisationen kämpft. Einer von Pipers
besten Leuten ist ein Polizist türkischer Herkunft, Anfang dreißig, den
Kollegen so beschreiben: „Smart, gut aussehend, Frauentyp.“ Er soll hier Ali C.
heißen. Seinen richtigen Namen zu nennen, wäre lebensgefährlich für ihn. Weder
Ali noch Gregor Piper wollen sich auf Anfrage zur Affäre um den Kemptener
Drogenermittler äußern. Doch es gibt Hinweise, dass ihr berufliches Schicksal
eng mit dem Kokainfall im Allgäu verknüpft ist. Mehrere Vertreter der
Sicherheitsbehörden der Region, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen
wollen, erzählen unabhängig voneinander die Geschichte eines möglichen
Komplotts.
Sie beginnt damit, dass Piper Ali
auf den Drogenhandel im Allgäu ansetzt. Ali ermittelt in Kreisen, in denen die
Männer teure Autos fahren, edle Anzüge tragen und schöne Freundinnen haben.
Eine dieser Frauen wird in der Geschichte noch eine verhängnisvolle Rolle
spielen. In der Szene werden viele Sprachen gesprochen, doch vor allem
Italienisch. Ali weiß: Seine Ermittlungen sind ein Tanz auf der Rasierklinge.
Fliegt er auf, kann er schnell ein toter Mann sein.
Wer diese Kreise stört, endet nicht
selten mit „Betonschuhen“ in einem See oder einer Kugel im Kopf. Ali wurde
nicht getötet, aber doch kaltgestellt. Immer wieder hatten die Neu-Ulmer
Mafiajäger Hinweise bekommen, dass der Rauschgifthandel auch nach der Razzia in
der Sonthofener Pizzeria Vulcano munter weiterging. „Von Haschisch über
synthetische Sachen bis zu Heroin – im Allgäu ist alles zu kriegen. Geradezu überflutet
wird Kempten von Kokain“, sagt ein Kenner der Szene. Woher stammt das „Koks“?
Welchen Weg nimmt es ins Allgäu? Wer sind die Hintermänner? Ali und sein Chef
Piper kommen den Antworten auf diese Fragen nach Überzeugung von beteiligten
Ermittlern immer näher.
Wurden Ermittler
gezielt "kaltgestellt"?
Doch dann passiert etwas, das
Filmfans aus unzähligen Hollywood-Krimis kennen: Die unerschrockenen Ermittler
werden von der eigenen Spitze – dem Präsidium in Kempten – aus dem Verkehr
gezogen. Ob sie wie im Film Dienstmarke und Waffe abgeben mussten, ist nicht
bekannt. Bei der Staatsanwaltschaft Kempten gibt es damals, im März vergangenen
Jahres, eine knappe Auskunft: Gegen einen Beamten der Neu-Ulmer
Polizeidienststelle zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität werde wegen
des „Verdachts des Verrats von Dienstgeheimnissen“ ermittelt. Dem Ermittler sei
die „Führung der Dienstgeschäfte mit sofortiger Wirkung“ untersagt worden.
Im Zusammenhang mit diesen
Ermittlungen wird auch der Chef der Neu-Ulmer Dienststelle seiner Führungsaufgaben
enthoben. Das Polizeipräsidium teilt mit, dass im Hinblick auf das mögliche
Fehlverhalten des Untergebenen „auch das Führungsverhalten des Leiters“
überprüft werde, um über die weitere „dienstliche Verwendung“ entscheiden zu
können. Die Vorwürfe sind pikant. Der junge Drogenfahnder Ali, der Kollegen als
Ausbund an Verschwiegenheit gilt, wird beschuldigt, Dienstgeheimnisse
preisgegeben zu haben. Er hatte sich in die schöne Ex-Freundin eines Mannes
verknallt, der als Kopf einer italienischen Bande von Drogenhändlern galt und
inzwischen zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden ist. Die Blondine
war niemals Zeugin oder Beschuldigte in dem Verfahren.
Kokainfund
wohl nur die Spitze des Eisbergs
Und Piper, dem obersten Mafiajäger,
wird vorgehalten, dass er die Affäre seines Mitarbeiters mit der attraktiven
Gangsterbraut nicht umgehend ans Präsidium in Kempten gemeldet hat. Der
Verdacht, dass Drogenfahnder Ali der Ex des Bandenchefs auf dem Liebeslager
wichtige Informationen geflüstert hat, bestätigt sich indes nicht. Schon im
August 2013 teilt die Staatsanwaltschaft mit: Verfahren eingestellt.
Ausgestanden ist die Sache für ihn deshalb nicht. Noch stehen mögliche
disziplinarrechtliche Folgen im Raum. Der von seinen Kollegen als
„Superermittler“ bezeichnete Ali darf seither nicht einmal mehr Falschparker
verfolgen. Und sein Vorgesetzter Piper, der als Mafiajäger viele Erfolge
vorweisen kann, wird zu einer Behörde versetzt, die die Einführung des
Digitalfunks für Polizei und Rettungsorganisationen koordiniert. Oder, wie es
Eingeweihte nennen: „Aufs Abstellgleis geschoben.“
Den Grund, dass zwei profilierte
Ermittler derzeit nicht mehr der Arbeit nachgehen können, auf die sie sich am
besten verstehen, nämlich das Organisierte Verbrechen zu bekämpfen, glauben
mehrere erfahrene Ordnungshüter auch zu kennen. Alles deutet für sie darauf
hin, dass die beiden Kollegen „gezielt abgesägt“ worden sind. Weil sie
möglicherweise einem Verräter in den eigenen Reihen zu nahe gekommen sind. „Ali
wäre dem früher oder später auf die Schliche gekommen“, heißt es. Jetzt können
sich manche Fahnder aus Neu-Ulm auch die Reaktionen aus Kempten erklären, wenn
es um die Kooperation in Drogenermittlungen ging. „Pfuscht uns nicht drein, wir
haben hier in Kempten alles im Griff“, habe es da geheißen.
Hat der jetzt verhaftete Kemptener
Polizist die Neu-Ulmer Kollegen abwimmeln lassen? Hat er die Informationen über
das Techtelmechtel des Neu-Ulmer Drogenfahnders Ali mit der Mafiabraut
gestreut, weil dieser seinen schmutzigen Geschäften auf die Spur kam? Die
Spezialermittler vom Landeskriminalamt haben jetzt jede Menge Fragen zu klären.
Eingeweihte glauben: Der Fund von eineinhalb Kilo „Schnee“, wie Kokain in der
Szene heißt, ist nur die Spitze eines gewaltigen Eisbergs.
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