Die organisierte Kriminalität trägt ihre Kriege in Israel in
der Öffentlichkeit aus. Es gibt immer mehr Tote. Jetzt wird diskutiert, den
Banden mit Mitteln der Terrorismusbekämpfung zu begegnen.
Taher
Lalah wartet in seinem silberfarbenen BMW an einer Ampel, als er getötet wird.
Die beiden maskierten Männer kommen auf einem Motorrad angefahren, geben
mehrere gezielte Schüsse auf den Fahrer ab und sind so schnell wieder
verschwunden, wie sie gekommen waren. Der 27-jährige arabische Israeli aus
Jaffa ist sofort tot. An Augenzeugen mangelt es nicht.
Der Mord ereignete sich am helllichten Tag, mitten in Tel Aviv.
Die Restaurants der Tachana, des zum Touristenzentrum ausgebauten alten
Bahnhofs, waren gut gefüllt. In einem Café um die Ecke sollte Kindern die
Schokoladenherstellung erklärt werden. Die Zeitung "Yedioth
Aharonoth" titelte am nächsten Tag: "Zivilisten in der
Schusslinie." Und bei der Konkurrenz von "Israel HaYom" hieß es:
"Eine Hinrichtung vor den Augen von Eltern und Kindern."
Denn das Opfer war der Polizei nicht unbekannt: Taher
Lalah sei in der Vergangenheit "unter anderem" wegen
Gewaltverbrechen, Autodiebstahl und Einbruchs verurteilt und im vergangenen
Februar sogar unter Mordverdacht festgenommen worden, hieß es bald. Man gehe
deshalb davon aus, dass der Mord im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung
zwischen zwei kriminellen Familienbanden in Jaffa stehe, sagte der
Polizeisprecher.
Staatsanwalt durch
Autobombe getötet
Es war nicht der erste Mord dieser Art
in Israel. Die
israelischen Mafia-Organisationen tragen ihre mörderischen Auseinandersetzung
immer unerschrockener in der Öffentlichkeit aus. Erst vor einer Woche war ein
Mann bei der Explosion einer Autobombe im Süden Tel Avivs ums Leben gekommen.
Eine weitere Autobombe in Petach Tikwa vor zwei Wochen tötete zwei Menschen –
der Sprengsatz war vermutlich vorzeitig explodiert. Anfang des Jahres
explodierten in der Küstenstadt Aschkalon ebenfalls zwei Autobomben – und immer
waren bekannte Persönlichkeiten des organisierten Verbrechens das Ziel.
Das Problem gebe es zwar schon seit
Jahren, aber die Intensität nehme zu, musste dann auch Polizeichef Jochanan
Danino zugeben. 20 Anschläge in vier Monaten zählte die Zeitung
"Haaretz", die Konkurrenz von "Yedioth Aharonoth" kam auf
14 Tote in fünf Monaten. Im November explodierte das Auto eines hochrangigen
Staatsanwalts, der mit besondere Härte gegen die organisierte Kriminalität
vorging. In fünf Fällen hatte ein von ihm angestrebtes Berufungsverfahren zu
härteren Strafen für Mitglieder der berüchtigten Mulner-Familie geführt. Der
Mann blieb unverletzt, aber seitdem ist deutlich, dass sich auch Vertreter der
Staatsgewalt nicht sicher fühlen dürfen.
Als der Minister für innere Sicherheit,
Itzchak Aharonowitsch, im November die Festnahme der Oberhaupts der
Domrani-Familie verkündete, erklärte er gleichzeitig, er und seine Familie
würden seit vier Jahren von den Banden bedroht. Insgesamt müssten etwa 100
Beamte in Israel mit einer ähnlichen Bedrohung leben, sagte der Minister.
"Wir kämpfen einen Krieg, und der wird nicht in einem Tag oder einem Monat
beendet sein."
Organisierte
Kriminalität ist zum Terrorismus geworden
Das sieht nicht nur er so: Der bekannte
Kommentator Dan Margalit schreibt in "Israel HaYom", die dritte Intifada
habe längst begonnen. Aber nicht die Palästinenser seien dieses Mal die
Urheber, sondern die Mafia-Banden. Die Polizei habe kaum mehr abschreckende
Wirkung.
In "Yedioth Aharonoth"
schreibt ein Mann, dessen Frau im Jahr 2008 aus Versehen bei den Kämpfen der
Kriminellen in die Schusslinie geriet, die organisierte Kriminalität sei zum
Terrorismus geworden und müsse ebenso bekämpft werden, wie die Armee und der
Inlandsgeheimdienst das täten. Ob er damit gleich außergerichtliche Tötungen
und Drohnenangriffe versteht, ließ er offen.
Tatsächlich wird schon seit Monaten die
Möglichkeit diskutiert, gewisse Maßnahmen aus der Terrorismusbekämpfung auch
gegen das organisierte Verbrechen einzusetzen. Immer wieder taucht in diesem
Zusammenhang die Forderung nach einer Form der Verwaltungshaft auf. Bisher ist
die Politik allerdings von solchen rechtsstaatlich nicht unproblematischen
Maßnahmen zurückgeschreckt. Ministerpräsident Netanjahu kündigte nun
bei der wöchentlichen Kabinettssitzung zwar an, das organisierte Verbrechen mit
"neuen Mitteln" bekämpfen zu wollen, führte aber nicht im Detail aus,
was damit gemeint sein könnte.
Schon heute sind 1000 Beamten der
Sondereinheit Lahav 433 mit dem Kampf gegen die Mafia-Familien beschäftigt. Und
erst in der vergangenen Woche konnte die Einheit einen beachtlichen Erfolg
verbuchen: Im Süden Israels wurde ein Lager mit Sprengstoff, Waffen und
Überwachungstechnologie entdeckt.
Bandenkämpfe mit
hochmoderner Technologie
Mit hochmoderner Technologie hatte eine
Mafia-Familie die Angehörigen des verfeindeten Domrani-Kartells überwacht, um
sie dann zu gegebener Zeit umzubringen. Die Ermittler fanden einen "War
Room", in dem auf mehreren Bildschirmen die Bewegungen der Opfer überwacht
werden konnten. Die eingesetzten Geräte waren so modern, dass sie "einen
Geheimdienst stolz machen würden", sagte einer der beteiligten Beamten.
Sorge bereitet den Behörden auch, dass
die Verbrecher scheinbar problemlos in den Besitz großer Mengen Sprengstoff
gelangen. Polizeichef Jochan Danino versichert, der Sprengstoff stamme aus den
Lagern der Armee. Die meisten eingesetzten Bomben seine keine improvisierten
Heimprodukte, sondern professionelle und verlässliche Sprengsätze, die
teilweise sogar vornehmlich von Eliteeinheiten eingesetzt würden.
Im Büro des Armeesprechers streitet man
das nicht ab: "Wir sind eine Volksarmee und ziehen Menschen aus dem ganzen
Land ein", heißt es da. "Deshalb wissen wir nicht, ob einige jetzt
oder in der Zukunft Verbindungen zum organisierten Verbrechen haben oder haben
werden." Man sei sich des Phänomens bewusst und versuche in Zusammenarbeit
mit der Polizei und durch verdeckte Ermittlungen der Militärpolizei dagegen
vorzugehen.
Die Banden aber wissen längst, dass
Sprengstoffmorde für die Ermittler viel schwieriger aufzuklären sind als Taten
mit einer Schusswaffe. Im Zusammenhang mit dem Mord an Taher Lalah hatte die
Polizei bald die ersten vier Verdächtigen in Gewahrsam. Ob man ihnen etwas
nachweisen kann, bleibt abzuwarten. Kaum aber jemand zweifelt daran, dass die
Rache der trauernden Familie nicht lange auf sich wird warten lassen.
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