"Tötet Nino Di
Matteo": Diesen Hinrichtungsbefehl hat Mafia-Boss Totò Riina von seiner
Gefängniszelle ausgegeben. Er gilt einem Staatsanwalt, der einem gefährlichen
Verdacht nachgeht: Gab es in Italien einen Pakt zwischen Politik und Mafia?
Staatsanwalt Nino de Matteo unter schwerster Bewachung |
Nino Di
Matteo soll sterben. So will es Salvatore, genannt Totò Riina, einst "Boss der
Bosse" der sizilianischen Cosa Nostra. Seit 1993 ist er im Gefängnis, zu
zehnmal lebenslänglicher Haft verurteilt, aber noch immer gefährlich. Am 16.
November flüsterte er beim Hofgang einem anderen Mafioso, Alberto Lorusso, von
der in Apulien tätigen Sacra Corona Unita, zu, die Sache müsse jetzt erledigt
werden, mit einem "großen Knall", denn sonst höre "dieser Di
Matteo" nie auf.
Was "u curtu", der Kurze, wie er
wegen seiner bescheidenen Körpergröße von 1,58 m daheim in Sizilien genannt
wurde, nicht ahnte: Das Gespräch wurde mit einem Richtmikrofon abgehört.
Lorusso wurde wenig später in eine andere Haftanstalt verlegt und stand fortan
unter besonderer Aufsicht. Bei einer überraschenden Untersuchung seiner Zelle,
Ende Dezember, fand sich ein brisantes Schreiben. Der Text ist verschlüsselt
und bislang konnte nur wenig dechiffriert werden, darunter freilich das Wort
"Attentat".
42 Bodyguards bewachen
den Staatsanwalt
Daraufhin wurden in dieser Woche die
Sicherheitsmaßnahmen für Staatsanwalt Nino Di Matteo noch einmal verschärft. 42
Carabinieri bewachen ihn nun rund um die Uhr, jeweils neun mit Maschinenpistolen
bewaffnete Beamte stehen bereit, sobald er sein Büro verlässt. Er reist nur
noch per Helikopter, denn längere Autofahrten gelten als viel zu gefährlich,
selbst im gepanzerten Fahrzeug. Den Sicherheitsleuten ist klar, was Riinas
"großer Knall" bedeutet: eine Bombe mit gewaltiger Sprengkraft.
Was den Mafia-Granden so aufregt, könnte
auch die italienische Politik erschüttern. Denn Staatsanwalt Di Matteo ist
Chefermittler und -Ankläger in einem Prozess, der im vorigen Mai begann und
Licht in ein besonders dunkles Kapitel der italienischen Politik bringen soll:
- Hat der Staat in den neunziger Jahren mit der Mafia verhandelt?
- Hat die Regierung den Bossen Hafterleichterungen für deren einsitzende Mitglieder versprochen, wenn die Mafia im Gegenzug aufhört, Staatsdiener zu ermorden?
- Hat das Führungspersonal der Sicherheitsbehörden auf höhere Weisung die mögliche Festnahme von Mafia-Bossen vereitelt?
Gemeinsam vor Gericht:
Mafiosi, Carabinieri und Politiker
Unter Anklage stehen Totò Riina und
weitere Mafia-Bosse, drei hochdekorierte Carabinieri-Generäle und zwei bekannte
Politiker. Der eine, Senator Marcello dell‘Utri, ist ein enger Freund und
Helfer von Silvio Berlusconi, der andere ist der damalige christdemokratische
Innenminister, spätere Senatspräsident und Vizepräsident des obersten
Gerichtsrates, Nicola Mancino. Auf der über hundert Namen langen Zeugenliste
steht auch der italienische Staatspräsident Giorgio Napolitano Es geht um den
erklärten "Krieg" der Mafia gegen den Staat, Anfang der neunziger
Jahre, als die Regierung erstmals ernsthaft gegen die Gangs vorgehen wollte.
Der christdemokratische Politiker Salvatore Lima, die Staatsanwälte Giovanni
Falcone, samt Ehefrau und drei Leibwächtern, und Paolo Borsellino nebst fünf
Bodyguards wurden Opfer von Mafia-Bomben.
Der Staat, so die Staatsanwaltschaft,
knickte ein und verhandelte mit Totò Riina. Der stellte, offenbar sogar
schriftlich, klare Forderungen: Wenn ihr wollt, dass das Morden aufhört, wollen
wir bessere Haftbedingungen - keine Einzelzelle mit Kontaktsperre für
Mafia-Führungspersonal mehr - und weniger polizeiliche Fahndung.
Und, oh Wunder, bald darauf endete der
Mafia-Terror plötzlich. Zwar ging die Sache für Oberboss Riina selbst schlecht
aus. Seine Kumpel gaben ihn zur Verhaftung frei. Doch der neue Chef, Bernardo
Provenzano, änderte den Kurs komplett. Geld verdienen, ohne zu morden, hieß
jetzt die Devise, zumindest so wenig wie nötig. Provenzano konnte - im
Gegenzug? - jahrelang ungestört "flüchtig" bleiben. Auch wenn eifrige
Mafia-Fahnder ihn immer wieder aufstöberten, erfolgte der Zugriff erst viele
Jahre später.
In jener Zeit begann auch die politische
Karriere von Silvio Berlusconi, tatkräftig organisiert vom Sizilianer Marcello
Dell'Utri. Der ist bereits wegen Unterstützung der Mafia zu sieben Jahren Haft
verurteilt worden, wenn auch nicht in letzter Instanz, und steht auch in diesem
Prozess unter Anklage. Er sei, glaubt die Staatsanwaltschaft, "der
Verbindungsmann zwischen Berlusconi und den Mafia-Bossen" gewesen.
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