In Neapel regiert die
Camorra. In ihr Hauptquartier, das Viertel Scampia, traut sich selbst die
Polizei kaum noch hinein. Mut hingegen beweist ein junger italienischer Autor
und Verleger: Mit Kulturpolitik will der "Anti-Mafia"-Unternehmer
sein Viertel retten.
Rosario Esposito la Rossa ist 25 Jahre jung, Schriftsteller
und Verleger. In einem Stadtviertel, das in ganz Italien berühmt-berüchtigt
ist. Nur 20 Quadratmeter groß ist sein Büro in Scampia, jenem Viertel von
Neapel mit der höchsten Mafia-Dichte Italiens. Scampia ist so gefährlich, dass
selbst die Polizei sich nur selten traut, hier Streife zu fahren. In Scampia
verlor la Rossa seinen Cousin Antonio:
"Antonio
war erst 25 Jahre alt und starb 2004 während eines Schusswechsels zwischen
Mafia-Anhängern. Er wurde zum unbeteiligten Opfer unserer alltäglichen
Camorra-Kriminalität. 2007 habe ich seine Geschichte in meinem ersten Buch
"Jenseits des Schnees" erzählt. Er wurde nicht nur Opfer der Camorra,
sondern auch eines miesen Journalismus."
Weil italienische Zeitungen Antonio als Camorra-Boss
darstellten, begann Rosario Esposito la Rossa die Geschichte seines Cousins zu
erzählen. Und Geschichten von anderen Einwohnern, von anderen Opfern in dieser
gesetzlosen und vom Staat aufgegebenen Gegend am Stadtrand von Neapel. Das 2007
erschienene Buch war ein großer Erfolg. Italiens Öffentlichkeit wurde auf den
jungen Autor aufmerksam.
La Rossa gründete ein Jahr später die Vereinigung
"Voci di Scampia", Stimmen aus Scampia. Sie will, qua Literatur, den
Menschen im Viertel eine Stimme geben. In Scampia richtete er aus eigenen
Mitteln und mit der Unterstützung von Freunden die erste Bibliothek für Kinder
und Jugendliche ein – in einem Viertel, in dem es weder andere Bibliotheken
noch Buchläden, Kinos, geschweige denn ein Theater gibt.
Rosario Esposito la Rossa:
"Ich bin davon getrieben, etwas gegen die Camorra zu
tun. Mein Freund Roberto Saviano, der berühmte Journalist, schreibt gegen die
Bosse, ich schreibe, schauspielere und versuche hier im Viertel
Anti-Mafia-Kulturpolitik zu betreiben. Und jetzt seit einiger Zeit bin ich ja
auch ein Anti-Mafia-Unternehmer."
Rosario Esposito la Rossa |
Die Eigentümer von Marotta & Cafiero editori, einem
alteingesessenen Buchverlag in Neapel, schenkten dem umtriebigen Künstler ihr
Unternehmen. La Rossa nahm die Herausforderung an. Er verlegte den
Unternehmenssitz vom schicken Vorort Posilippo nach Scampia:
"Stellen Sie sich das doch mal vor: Tommaso Marotta
und Anna Cafiero haben mir ihren Verlag, der hier in Neapel Verlagsgeschichte
geschrieben hat, einfach geschenkt, weil sie meine Arbeit unterstützen wollen!
Zwei vollkommen unterschiedliche Seiten dieser Stadt sind so zusammengekommen.
Wir sind heute der jüngste Buchverlag Italiens."
Rosario Esposito la Rossa organisiert zusammen mit seinen
ebenfalls jungen Mitarbeitern den Verlag ganz neu. Die Bücher werden auf
recyceltem Papier gedruckt, man verpflichtet sich, der Mafia keine Schutzgelder
zu zahlen - was in Scampia fast alle Geschäftsleute aus Angst vor den Bossen
tun - und die Finanzierung wird zu einem Großteil durch Spenden organisiert.
Kein Buch kostet mehr als 10 Euro. Vor Kurzem wurde im Souterrain des Teatro
Bellini in Neapel die erste eigene Buchhandlung "Marotta & Cafiero
Store" eröffnet.
La Rossa versucht in Scampia - einem Stadtviertel, um das
sich selbst Luigi de Magistris, Ex-Staatsanwalt und seit 2011 Neapels
Bürgermeister, nicht mehr kümmert - die kulturpolitische Quadratur des Kreises:
"Es zu einfach nur zu sagen: Das sind die Guten und
das die Bösen. Viele unserer Autoren leben hier in Scampia. Mit unseren Büchern
wollen wir verdeutlichen, dass die Mafia Teil ganz bestimmter
gesellschaftlicher Strukturen ist, die man nur dann bekämpfen kann, wenn sich
der Staat endlich um die Menschen hier kümmert."
Drogendschungel Scampia |
Es vergeht kein Monat, ohne dass la Rossa und seine
Mitarbeiter von lokalen Bossen eingeschüchtert werden: Autoreifen werden
aufgeschlitzt, Drohbriefe gehen ein, einige enthalten auch Patronenkugeln. Die
Bosse wollen, dass der Störenfried verschwindet. La Rossa zuckt nur mit den
Schultern: Damit, erklärt der junge Autor und Verleger, müsse man halt leben,
wenn man in Scampia wohnt und arbeitet.
.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen