Nicola Gratteri,
Staatsanwalt in der mafiadominierten Region Kalabrien, rechnet in seinem Buch
"Acqua Santissima", zu deutsch: "Weihwasser", nicht nur mit
der Mafia, sondern auch mit katholischen Geistlichen ab. Anhand aktueller Fälle
zeigt er die häufig enge Verstrickung zwischen Kirche und organisierter
Kriminalität.
Nicolo Grattieri Staatsanwalt und Buchautor |
Unter den vielen
italienischen Sachbüchern zum Thema Kirche und Mafia sticht eines hervor. Der
Autor weiß aus eigener Erfahrung worum es geht. Ein Autor, der gefährlich lebt,
steht er doch auf der Abschussliste der kalabresischen Bosse ganz oben. Nicola
Gratteri ist Staatsanwalt im mafiaverseuchten Reggio Calabria, der Hauptstadt
der Region Kalabrien, spezialisiert auf die Vergehen und Verstrickungen der ‘Ndrangheta
. Dazu muss man wissen, dass die ‘Ndrangheta seit Jahren die gefährlichste und
wirtschaftlich umtriebigste Mafia Italiens ist.
Der durch Kinofilme wie
"Il Padrino" berühmten Cosa Nostra von Sizilien hat die ‘Ndrangheta in Sachen Drogen-, Menschen- und Waffenhandel
längst den Rang abgelaufen.
Staatsanwalt und
Buchautor Nicola Gratteri: "Ein Priester macht sich nicht schuldig, wenn
er einen Mafiaboss frequentiert, mit dem Ziel, sich der Justiz zu stellen. Das
ist sein Recht als Geistlicher, aber wenn sich dieser Boss nach ein, zwei oder
drei Jahren nicht bekehren lässt und der Justiz stellt, dann macht sich ein
Geistlicher mitschuldig, dann tut er dem Boss einen großen Gefallen."
Ein solcher Geistlicher,
schreibt Staatsanwalt Gratteri in seinem jetzt erschienenen Buch "Acqua
Santissima", zu deutsch: Weihwasser, verleiht, je länger er sich an der
Seite eines Mafiabosses zeigt, diesem in gewisser Weise den kirchlichen Segen.
Nicola Gratteri
schildert in seinem Buch aus erster Hand eine Menge Fälle von katholischen
Geistlichen, die verdächtig enge Beziehungen zu kalabresischen Mafiafamilien
haben. Immer noch haben, klagt der Anti-Mafia-Staatsanwalt: "Johannes Paul
II. hatte die Bosse dazu aufgerufen zu bereuen, mit dem Töten aufzuhören. Zum
ersten Mal überhaupt hatte die Amtskirche Position gegen die Mafia bezogen und
viele mutige Geistliche riskieren seit Jahren ihr Leben im Kampf gegen die
organisierte Kriminalität. Gleichzeitig aber hat Johannes Paul II. nie
Marcinkus verurteilt."
Jenen Erzbischof Paul
Marcinkus, der in den 80er-Jahren, als Präsident der Vatikanbank IOR, wegen
seiner engen Beziehungen zur Mafia und zu mafiösen Bankiers in die Schlagzeilen
geriet. Staatsanwalt Gratteri wirft deshalb der Amtskirche vor, dass sie, bis
heute, keine dauerhaft eindeutige und klare Position zur Mafia bezogen hat.
Einerseits verurteilt sie zwar die organisierte Kriminalität, andererseits aber
schaut sie in vielen Fällen einfach weg. Gratteris Buch sorgt deshalb für
soviel Aufsehen in Italien, weil er Fälle von Geistlichen nennt, die nicht
Jahre zurückliegen. Es sind aktuelle Fälle, die zeigen, wie sehr immer noch
Geistliche mit Mafiabossen verstrickt sind.
Don Nuccio Cannizaro |
Einige wenige Beispiele
von vielen. Don Carmelo Ascona, Priester im kalabresischen Rosarno, verteidigte
2012 während eines Prozesses drei Männer, denen Mitgliedschaft in einem
Mafiaclan vorgeworfen wird, und die anschließend in erster Instanz verurteilt
wurden. Er nannte sie "ehrenhafte Christen". Im vergangenen Jahr
sagte in Locri der Pfarrer Antonio Vinci vor Gericht aus, dass der Mafiaboss
Cicillo Gattuso "mein Gemeindemitglied ist, dessen Seele ich wie meine
Westentasche kenne und so weiß ich, dass er ein guter Christ ist". Der
vermeintlich gute Christ, der, so der Geistliche, jeden Sonntag zur Messe
erschien, war, wie die Staatsanwaltschaft nachweisen konnte, einer der
gefährlichen Bosse der ‘Ndrangheta . Don Nuccio Cannizaro, Geistlicher und
Zeremonienmeister des Erzbischofs von Reggio Calabria und Priester in Condera,
gehört zu jenen Geistlichen, die sich sogar persönlich wegen mafiöser Verstrickungen
vor Gericht verantworten müssen: Abgehörte Telefonate beweisen, dass er sich
mehrfach für die geschäftlichen Belange des Bosses Santo Crucitti eingesetzt
hat.
Mafiaboss Santo Crucitti |
Nicola Gratteri: "Wir
haben eine Gruppe einsitzender Bosse befragt, wie sie zur Kirche stehen. Das
Ergebnis dieser Befragung erklärt, warum es immer noch Geistliche gibt, die
doch tatsächlich davon überzeugt sind, dass ein Boss ein guter Christ sein
kann. 98 Prozent aller Bosse erklärten, und das deckt sich mit unseren
Ermittlungen, dass sie sich als gläubige Christen bezeichnen und regelmäßig
beten."
Das Band zerreißen
Für Staatsanwalt
Gratteri gibt es nur eine Möglichkeit das Band zwischen katholischer Kirche und
organisierter Kriminalität zu zerreißen: Er fordert eine klare Position gegen
die Mafia, nicht nur durch den Papst, sondern auf allen hierarchischen Ebenen
der Kirche. Wie im Fall der Pädophilieskandale, so Gratteri, müsse die Kirche
auch in Sachen Mafia von sich aus die Initiative ergreifen, um auch dieses
kriminelle Phänomen in ihren eigenen Reihen zu bekämpfen.
Mafiaboss Cicillo Gattuso |
Genau das aber geschehe
nicht, erklärt Gratteri – trotz der zahllosen Appelle nicht nur durch
Staatsanwälte sondern auch durch katholische Geistliche, die jeden Tag im Kampf
gegen Bosse ihr Leben riskieren.
Die kalabresische Mafia
bezeichnet sich selbst als "santa", als heilig. Ein Beiname, erklärte
vor einigen Jahren die katholische Bischofskonferenz, der eine Blasphemie
bedeute, eine – so hieß es in einem Dokument der Bischöfe – Verhöhnung der
Religion. Deshalb müsse, so die Bischofskonferenz, die Mafia als Organisation
exkommuniziert werden. Eine Absichtserklärung, mehr ist in diesem Fall bisher
nicht geschehen. Genau das wirft Anti-Mafia-Staatsanwalt Nicola Gratteri der
Amtskirche Italiens vor: gut klingende Absichtserklärungen gegen die Bosse –
aber mehr auch nicht.
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