Der italienische Mafia-Clan Ndrangheta soll auch
Verbindungen zu einem italienischen Restaurant in Thüringen gehabt haben - auf
Nachfrage hielten sich die Ermittler bedeckt.
Festnahme in San Luca.
Das kalabresische Bergdorf San Luca und Erfurt haben kaum Gemeinsamkeiten.
Doch es soll Verbindungen geben, die auf den italienischen Mafia-Clan
Ndrangheta hindeuten. Diesem Verdacht folgten italienische Ermittler auch, als
sie am 15. August 2007 ein Telefongespräch zwischen einem damaligen
italienischen Restaurant in Erfurt mit einem Anschluss in San Luca belauschen.
San Luca / Kalabrien |
Der Vorgang hätte die Ermittler nicht so elektrisiert, wäre nicht über
einen wenige Stunden zuvor begangenen Mord in Duisburg gesprochen worden. Denn
in der dortigen Pizzeria "Da Bruno" hatten Unbekannte sechs Menschen
erschossen. Die Ermittler gingen nach den Morden davon aus, dass es sich um
eine Vendetta, eine Blutfehde zweier aus San Luca stammender Familienstränge
der Ndrangheta, handeln könnte. Fünf der sechs Opfer stammten aus dem Bergdorf.
Per Telefon erging die Order, mit niemandem über das Geschehen von Duisburg
zu reden. Fein säuberlich vermerkten die Lauschexperten in dem unserer
Redaktion vorliegenden Protokoll die Namen der Gesprächsteilnehmer und das Lokal.
In einem Bericht des Bundeskriminalamtes (BKA) über das Wirken der Ndrangheta
in Deutschland aus dem Jahr 2000 finden sich mehrere Hinweise darauf, dass auch
Personen in Erfurt damals die Opfer aus Duisburg kannten, teils mit ihnen sogar
verwandt waren.
Mit diesem Bild wird im Internet noch immer für die Pizzeria von Giovanni Strangio in Kaarst geworben. „Toni’s Pizza“ ist jetzt allerdings geschlossen, die Pizzabäcker sind ausgeflogen. |
Thüringer Ermittler hielten sich immer bedeckt, ging es um mögliche
Aktivitäten italienischer Mafia-Organisationen im Freistaat. Einzig
"familiäre Bande" zwischen den Opfern in Duisburg und in Erfurt
lebenden Italienern wurden eingeräumt, um zugleich noch einmal darauf zu
verweisen, dass es keine Erkenntnisse über Aktivitäten der Ndrangheta in
Thüringen gebe. Später bestätigte das Innenministerium auf Anfrage eines
CDU-Abgeordneten dann doch, dass von Duisburg aus ein mittelhohes Mitglied der
Ndrangheta nach Erfurt gegangen sei. Dass nach den Morden von Duisburg auch
eine Informationssammelstelle zur italienischen Mafia beim Landeskriminalamt
(LKA) in Erfurt eingerichtet wurde, darüber sprachen die Fahnder nicht.
Pizzeria Roma / Erfurt |
Einzig der Verfassungsschutz wurde deutlicher: Eine der "großen
italienischen Mafiastrukturen, die kalabresische Ndrangheta", weise Bezüge
nach Thüringen auf, heißt es im Jahresbericht 2007. Die Ndrangheta scheine die
Bundesrepublik vorrangig als Rückzugsgebiet zu nutzen, so die Einschätzung.
2008 beschäftigte sich das ZDF in einer Dokumentation mit den Morden vom
"Da Bruno" und kam ebenfalls recht schnell auf Bezüge zu Erfurt.
Zugleich entdeckten die Reporter damals in San Luca Fahrzeuge mit Erfurter aber
auch Leipziger Kennzeichen.
Noch deutlicher wurde ein Jahr später der Buchautor Jürgen Roth. Gegenüber
unserer Zeitung sprach er damals davon, dass Erfurt "für die kalabresische
Mafia und besonders für die Clans aus San Luca als einer der wichtigsten
Stützpunkte" gelte: nicht für Mord und Totschlag oder Schießereien. Die
Mafia wolle "gesellschaftlich anerkannt werden, und dies ist in Erfurt in
jeder Hinsicht geschehen", so seine Einschätzung.
Autor Jürgen Roth |
Roth zeigte sich verwundert, "wie lang die Liste der Besitztümer
entweder von Strohleuten oder von den jeweiligen Mafiafamilien in Erfurt"
ist. Dabei werde verdrängt, dass "diese Clans in Kalabrien für Morde,
Erpressung, Drogen- und Waffenhandel verantwortlich" sind.
Der Autor erfuhr für seine kritische Berichterstattung auch Gegenwind. In
seinem Buch "Mafialand Deutschland" musste er eine Passage schwärzen,
in der von einem italienischen Gastronomen die Rede ist. Auch die in Venedig
lebende Autorin Petra Reski ereilte dieses Schicksal. Als sie 2008 in Erfurt
aus ihrem Buch über die italienische Mafia lesen wollte, wurde ihr kurz vor
Beginn der Veranstaltung eine einstweilige Verfügung überbracht, die verbot,
bestimmte Textstellen zu verbreiten.
Autorin Petra Reski |
Zudem fühlte sie sich von einem ihr unbekannten Italiener im Publikum
"bedroht" und wurde mehrfach beschimpft.
Der Vorfall sei zum Symbol geworden, "mit welcher Selbstverständlichkeit
und Natürlichkeit sich die Mafia in Deutschland bewegt". Auch Claudio M.
Mancini – Mafia-Autor und Publizist wurde während einer Lesung von zwei
Sizilianerinnen wüst beschimpft. „Damit muss man rechnen, wenn man sich mit
diesem Thema literarisch auseinandersetzt“, sagte er.
Autor Claudio M. Mancini |
Trotz solcher Veröffentlichungen gibt es kaum greifbare Erkenntnisse über
das Wirken italienischer Mafia-Clans in Thüringen. Dabei schlitterten Beamte
aus Nordrhein-Westfalen und dem Freistaat bereits 1996 nur knapp an einer
Schießerei in einem italienischen Restaurant in Erfurt vorbei. Der damalige
Thüringer Innenminister Richard Dewes (SPD) hatte sich mit Regierungschef Bernhard Vogel (CDU) dorthin zurückgezogen.
Plötzlich stürmten Spezialeinsatzkräfte aus Düsseldorf das Restaurant und sahen
sich den Personenschützern der beiden Politiker mit gezogener Waffe gegenüber.
Eigentlich sollte ein Pizzabäcker verhaftet werden, da er unter Mordverdacht
stand. Doch dieser konnten in dem Trubel entkommen.
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