Hunderte
Mafiosi leben in Deutschland, nahezu ungestört machen sie ihre Geschäfte.
Restaurants spielen für die mächtigen Clans dabei eine wichtige Rolle. Es geht
um Millionensummen, um Geldwäsche im großen Stil - und manchmal auch um Mord.
Wo früher der
angesagteste Italiener Duisburgs war, das "Da Bruno", gibt es heute
Schnitzel "Zigeuner Art" mit Pommes und Salat für 13,90 Euro. Wo
einst Thomas Gottschalk und die Bayern
einkehrten, herrscht an diesem späten Mittwochnachmittag gähnende Leere.
Und wo im August 2007 sechs Männer in einer Mafia-Fehde erschossen wurden,
gehen nun Schulkinder vorbei, Capri-Sonne schlürfend. Es ist nichts geblieben
außer den Clans selbst.
Die Morde im August
2007 hatten Deutschland für einen Moment wachgerüttelt. Plötzlich schien den
Bundesbürgern bewusst zu werden, dass die Mafia längst kein Problem Süditaliens
mehr ist. Mit den Gastarbeitern waren auch diejenigen in die Bundesrepublik
gekommen, deren Lokale, Firmen und Läden weniger den Lebensunterhalt sichern
als vielmehr Deckung bieten sollten für lukrativere Geschäfte: Einer der beiden
Todesschützen von Duisburg, Giovanni Strangio, betrieb eine einfache Pizzeria
in der niederrheinischen Kleinstadt Kaarst.
Giovanni Strangio |
Seither aber hat sich
wieder Ruhe über das Land gelegt, Vergessen ausgebreitet, die Mafia scheint
verschwunden. Die Polizei konzentriert sich auf die Bekämpfung von Islamisten,
Einbrecherbanden, Fußballrowdys und Rockern - derweil die italienische
Organisierte Kriminalität weiterhin ihren Milliardengeschäften nachgeht. (Lesen
Sie dazu auch den Artike
Eine gemeinsame
Recherche von WDR, Funke-Mediengruppe und SPIEGEL ONLINE
zeigt jetzt, wie präsent Banden der italienischen Organisierten Kriminalität in
Deutschland noch immer sind: Einem vertraulichen Bericht des Bundeskriminalamts
(BKA) zufolge leben derzeit mindestens 460
Mafiosi in Deutschland. Mehr als die Hälfte davon gehöre zur
kalabrischen 'Ndrangheta, 88 Männer zur Camorra aus Neapel, 77 zur
sizilianischen Cosa Nostra und 14 zu den apulischen Clans. Die Ermittler gehen
gleichwohl davon aus, dass sich in Wirklichkeit noch viel mehr Mitglieder der "Ehrenwerten
Gesellschaft" hierzulande aufhalten.
Ausschlaggebend dafür könnte die
politisch verordnete Harmlosigkeit deutscher Ermittler sein. Der
nordrhein-westfälische Landesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter,
Sebastian Fiedler, sagte dem SPIEGEL, es gebe kaum ein Land auf der Welt, in
dem es der Mafia so leicht gemacht werde wie in Deutschland. Die Paragrafen des
Strafgesetzbuches sind für den Kampf gegen die im Untergrund handelnde,
international ausgerichtete Organisationen einfach nicht ausgelegt.
Eine wichtige Rolle spielen Restaurants
für die Mafia. Sie eignen sich zum einen hervorragend dazu, Geld aus illegalen
Geschäften zu waschen, also zu legalisieren: Schließlich kann niemand sagen,
wie viele Gäste tatsächlich bewirtet worden sind. Betriebsprüfungen der
Finanzbehörden kommen zudem höchstens alle paar Jahrzehnte einmal vor. Zum
anderen bieten gerade Lokale der gehobenen Kategorie die Möglichkeit, auf
einfache Weise Kontakte zu Entscheidern aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft
zu knüpfen.
Besuche
von der "Ehrenwerten Gesellschaft"
Das
baden-württembergische Landeskriminalamt (LKA) stellt in einem vertraulichen
Bericht fest, dass ein "beträchtlicher Teil" der italienischen
Restaurants im Ländle "regelmäßig von der 'Ehrenwerten Gesellschaft'
Besuch bekommt". Dafür gebe es mehrere Gründe: Schutzgeldeintreibungen,
Maßnahmen der Gebietskontrolle, Machtdemonstrationen, Besprechungen lokaler
Chefs und Überprüfungen getätigter Investitionen.
Demnach
erhielt das LKA vor einiger Zeit Informationen aus Italien, dass eine Familie
aus Neapel in der Stuttgarter Region mehrere Pizzerien betreiben solle, um Geld
aus kriminellen Geschäften zu waschen. Den deutschen Ermittlern war das zu
diesem Zeitpunkt noch gar nicht aufgefallen, die Nachforschungen bestätigten
jedoch den Verdacht.
Über
welch enormes Vermögen die Organisierte Kriminalität verfügt, zeigen Erkenntnisse
der Vereinten Nationen: Mit Menschenhandel, Drogenschmuggel und anderen
illegalen Geschäften setzen die Verbrecher demnach jährlich weltweit 2,1
Billionen Dollar um. Allein die italienische Mafia bringt es nach Ansicht von
Experten auf einen jährlichen Umsatz von bis zu 180 bis 200 Milliarden Euro und verfügt
damit über eine erhebliche Wirtschaftskraft.
Wenn Pizzabäcker
Luxusimmobilien kaufen
Diese Gelder fließen auch
nach Deutschland, wo sich im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen
Ländern mit Bargeld immer noch große Geschäfte abwickeln lassen. Hier können
Pizzabäcker mit einem Koffer voller Millionen Luxusimmobilien kaufen, ohne dass
sich jemand daran stören darf. In ihrer Heimat müssten die Italiener hingegen
nachweisen, dass sie das Vermögen ehrlich verdient haben.
Die Mafia erwirtschafte
"enorme Gewinne", heißt es in einem vertraulichen Bericht des
Stuttgarter LKA. Diese Gelder flössen zur einen Hälfte in kriminelle
Unternehmungen zurück, zur anderen Hälfte aber würden sie in legale Geschäfte
investiert. Da es aber zwischen der legalen und illegalen Marktwirtschaft keine
Grenzen gebe, würde die sogenannte bürgerliche Mafia "schleichend an
Einfluss" gewinnen.
Gemeint
ist damit, dass die Clans vielfach in die bessere Gesellschaft vorgedrungen
sind: Ihre Sprösslinge studieren, spielen Tennis und werden eines Tages
womöglich die Geschäfte weiterführen. Die Mafiosi selbst sind geachtete Männer
mit besten Verbindungen. Wenn sie dieses Niveau erst einmal erreicht haben,
brauchen sie die deutsche Polizei ohnehin nicht mehr zu fürchten.
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