Dienstag, 8. April 2014

Deutschland versagt im Kampf gegen die Mafia

Hunderte Mafiosi leben in Deutschland, nahezu ungestört machen sie ihre Geschäfte. Restaurants spielen für die mächtigen Clans dabei eine wichtige Rolle. Es geht um Millionensummen, um Geldwäsche im großen Stil - und manchmal auch um Mord.

Wo früher der angesagteste Italiener Duisburgs war, das "Da Bruno", gibt es heute Schnitzel "Zigeuner Art" mit Pommes und Salat für 13,90 Euro. Wo einst Thomas Gottschalk und die Bayern einkehrten, herrscht an diesem späten Mittwochnachmittag gähnende Leere. Und wo im August 2007 sechs Männer in einer Mafia-Fehde erschossen wurden, gehen nun Schulkinder vorbei, Capri-Sonne schlürfend. Es ist nichts geblieben außer den Clans selbst.



Die Morde im August 2007 hatten Deutschland für einen Moment wachgerüttelt. Plötzlich schien den Bundesbürgern bewusst zu werden, dass die Mafia längst kein Problem Süditaliens mehr ist. Mit den Gastarbeitern waren auch diejenigen in die Bundesrepublik gekommen, deren Lokale, Firmen und Läden weniger den Lebensunterhalt sichern als vielmehr Deckung bieten sollten für lukrativere Geschäfte: Einer der beiden Todesschützen von Duisburg, Giovanni Strangio, betrieb eine einfache Pizzeria in der niederrheinischen Kleinstadt Kaarst.


Giovanni Strangio
Seither aber hat sich wieder Ruhe über das Land gelegt, Vergessen ausgebreitet, die Mafia scheint verschwunden. Die Polizei konzentriert sich auf die Bekämpfung von Islamisten, Einbrecherbanden, Fußballrowdys und Rockern - derweil die italienische Organisierte Kriminalität weiterhin ihren Milliardengeschäften nachgeht. (Lesen Sie dazu auch den Artike
Eine gemeinsame Recherche von WDR, Funke-Mediengruppe und SPIEGEL ONLINE zeigt jetzt, wie präsent Banden der italienischen Organisierten Kriminalität in Deutschland noch immer sind: Einem vertraulichen Bericht des Bundeskriminalamts (BKA) zufolge leben derzeit mindestens 460 Mafiosi in Deutschland. Mehr als die Hälfte davon gehöre zur kalabrischen 'Ndrangheta, 88 Männer zur Camorra aus Neapel, 77 zur sizilianischen Cosa Nostra und 14 zu den apulischen Clans. Die Ermittler gehen gleichwohl davon aus, dass sich in Wirklichkeit noch viel mehr Mitglieder der "Ehrenwerten Gesellschaft" hierzulande aufhalten.

Ausschlaggebend dafür könnte die politisch verordnete Harmlosigkeit deutscher Ermittler sein. Der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Sebastian Fiedler, sagte dem SPIEGEL, es gebe kaum ein Land auf der Welt, in dem es der Mafia so leicht gemacht werde wie in Deutschland. Die Paragrafen des Strafgesetzbuches sind für den Kampf gegen die im Untergrund handelnde, international ausgerichtete Organisationen einfach nicht ausgelegt.

Eine wichtige Rolle spielen Restaurants für die Mafia. Sie eignen sich zum einen hervorragend dazu, Geld aus illegalen Geschäften zu waschen, also zu legalisieren: Schließlich kann niemand sagen, wie viele Gäste tatsächlich bewirtet worden sind. Betriebsprüfungen der Finanzbehörden kommen zudem höchstens alle paar Jahrzehnte einmal vor. Zum anderen bieten gerade Lokale der gehobenen Kategorie die Möglichkeit, auf einfache Weise Kontakte zu Entscheidern aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft zu knüpfen.


Besuche von der "Ehrenwerten Gesellschaft"

Das baden-württembergische Landeskriminalamt (LKA) stellt in einem vertraulichen Bericht fest, dass ein "beträchtlicher Teil" der italienischen Restaurants im Ländle "regelmäßig von der 'Ehrenwerten Gesellschaft' Besuch bekommt". Dafür gebe es mehrere Gründe: Schutzgeldeintreibungen, Maßnahmen der Gebietskontrolle, Machtdemonstrationen, Besprechungen lokaler Chefs und Überprüfungen getätigter Investitionen.

Demnach erhielt das LKA vor einiger Zeit Informationen aus Italien, dass eine Familie aus Neapel in der Stuttgarter Region mehrere Pizzerien betreiben solle, um Geld aus kriminellen Geschäften zu waschen. Den deutschen Ermittlern war das zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht aufgefallen, die Nachforschungen bestätigten jedoch den Verdacht.

Über welch enormes Vermögen die Organisierte Kriminalität verfügt, zeigen Erkenntnisse der Vereinten Nationen: Mit Menschenhandel, Drogenschmuggel und anderen illegalen Geschäften setzen die Verbrecher demnach jährlich weltweit 2,1 Billionen Dollar um. Allein die italienische Mafia bringt es nach Ansicht von Experten auf einen jährlichen Umsatz von bis zu 180 bis 200 Milliarden Euro und verfügt damit über eine erhebliche Wirtschaftskraft.


Wenn Pizzabäcker Luxusimmobilien kaufen

Diese Gelder fließen auch nach Deutschland, wo sich im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen Ländern mit Bargeld immer noch große Geschäfte abwickeln lassen. Hier können Pizzabäcker mit einem Koffer voller Millionen Luxusimmobilien kaufen, ohne dass sich jemand daran stören darf. In ihrer Heimat müssten die Italiener hingegen nachweisen, dass sie das Vermögen ehrlich verdient haben.

Die Mafia erwirtschafte "enorme Gewinne", heißt es in einem vertraulichen Bericht des Stuttgarter LKA. Diese Gelder flössen zur einen Hälfte in kriminelle Unternehmungen zurück, zur anderen Hälfte aber würden sie in legale Geschäfte investiert. Da es aber zwischen der legalen und illegalen Marktwirtschaft keine Grenzen gebe, würde die sogenannte bürgerliche Mafia "schleichend an Einfluss" gewinnen.

Gemeint ist damit, dass die Clans vielfach in die bessere Gesellschaft vorgedrungen sind: Ihre Sprösslinge studieren, spielen Tennis und werden eines Tages womöglich die Geschäfte weiterführen. Die Mafiosi selbst sind geachtete Männer mit besten Verbindungen. Wenn sie dieses Niveau erst einmal erreicht haben, brauchen sie die deutsche Polizei ohnehin nicht mehr zu fürchten.



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