Bericht von André Schulz
Verstöße gegen das Waffengesetz,
Geldwäsche, Rauschgiftvergehen, Mord: Viele Mitglieder in Rockerbanden sind
bereits vorbestraft. Der Staat muss die organisierten Kriminellen in den
Motorradklubs nachhaltig bekämpfen. Doch dazu fehlen oft Wille und Mut.
Fast täglich berichten die Medien über Auseinandersetzungen
im Rockermilieu, über erschossene Hells Angels und übergelaufene Bandidos, über
schockierende Aussagen von Kronzeugen und Vereinsverbote. Die kriminelle
Rockerszene befindet sich seit einigen Jahren in einem Umbruch, nicht nur in
Deutschland. Haben Rocker sich früher eher unauffällig gegeben, tragen sie ihre
Revier- und Machtkämpfe mittlerweile offen aus.
Motorradfahren spielt heute bei ihnen
keine Rolle mehr. Der Großteil dieser "Neurocker" hat nicht mal mehr
ein Motorrad oder den dafür nötigen Führerschein. Hells Angels und
andere Gruppen nahmen mehr und mehr gewöhnliche und durchaus gefährliche
Kriminelle, oftmals mit Migrationshintergrund, aus dem Streetgang- und
Rotlicht-Milieu bei sich auf, die ihre Klubs von innen geradezu zersetzen. So
etwas wie Rockerehre - wenn es die jemals gab - ist diesen Leuten fremd. Sie
wollen Macht und Geld, koste es was es wolle. Dazu wechseln sie schon mal von
den Hells Angels zu den verfeindeten Bandidos und umgekehrt. Das wäre vor
Jahren noch undenkbar gewesen. Die gewaltsamen Vorfälle in der jüngeren
Vergangenheit zwischen polizeirelevanten Motorradklubs zeigen, dass der Staat
handeln muss.
Die Charter und Chapter haben im
Regelfall ein eigenes Klubhaus. Es ist zum einen das Zentrum ihres sozialen
Lebens, oft aber auch "Räuberhöhle" für das Schmieden von kriminellen
Plänen und Depot für Waffen. In der Regel besteht ein Klubhaus aus einem
Sicherheitsraum, mit Monitoren, Funkgeräten, Waffen, dazu Partyraum, Küche,
Privaträumen und Büro. Das Grundstück ist häufig mit Barrieren, Zäunen,
Überwachungskameras und Alarmanlagen versehen. Gelegentlich gibt es
Tarnverstecke und Geheimräume. Dem Klubleben liegt ein strenges Regelwerk mit
drastischen Strafandrohungen zugrunde.
Verschwiegenheit gilt
als oberste Tugend
Rocker kommen aus allen Berufen und gesellschaftlichen
Schichten. Sie leben in der Regel in Beziehungen mit Familien wie der
Durchschnittsbürger auch. Die Familie hat dabei einen hohen Stellenwert. Es
gilt die Regel: "Egal was ist, die Familie ist tabu!" Daran halten
sich Rocker - bisher - auch strikt. Die Mitglieder betätigen sich beruflich oft
in szenetypischen Geschäftsbereichen wie Gastronomie, Tattoostudios oder Wach-
und Sicherheitsdiensten, um Einnahmen zu erwirtschaften und ihren Einfluss zu
steigern. Sämtlichen dieser Outlaw Motorcycle Gangs ist gemein, dass sie das
Ziel verfolgen, bestimmte Territorien zu beherrschen, um insbesondere
wirtschaftliche Interessen etwa im Rotlichtmilieu durchzusetzen.
Hannover - fest in Rockerhand |
In Deutschland haben nach Auswertungen des
Bundeskriminalamts (BKA) etwa 60 Prozent der
Mitglieder des Hells Angels MC Vorstrafen wegen schwerer Straftaten - Verstöße
gegen Waffengesetz, Geldwäsche, Kfz-Delikte, Rauschgiftvergehen, Gewaltdelikte,
Mord. Verschwiegenheit gilt als oberste Tugend und wird belohnt: Wer mit einer
Gefängnisstrafe rechnen muss, kann sicher sein, dass "die Familie"
für seine Angehörigen sorgt, wenn er schweigt. Auch für Rechtsanwälte muss ein
verhaftetes Mitglied der Hells Angels nicht aufkommen.
Rockern wird oft vorgeworfen, Kontakte zum rechtsextremen Milieu
zu haben. Berührungspunkte gab es durchaus bei der Vermietung von Klubräumen
oder der Bestellung von Ordnerdiensten. Das Landeskriminalamt
Nordrhein-Westfalen stellte jedoch fest, das Rocker und Rechtsextremisten keine
gemeinsame Sache machen. Die Rocker verfolgen eigene
wirtschaftliche Interessen.
Razzia in Erding - Waffen beschlagnahmt |
Kriminelle Rockergruppierungen spielen in den typischen
Deliktfeldern der organisierten Kriminalität (OK), wie Drogenhandel und -schmuggel, Waffen- und Menschenhandel,
Schutzgelderpressung und Geldwäsche, eine bedeutende Rolle. In Hannovers
Steintorviertel gingen und gehen Hells Angels in Ruhe ihren Geschäften nach und
beherrschen ganze Häuserblocks. Das hat sich auch nach der offiziellen
Auflösung der Hells Angels in Hannover 2012 nicht
geändert. Auch in Hamburg, Flensburg oder Berlin sind sie aus den
Rotlichtbezirken nicht wegzudenken.
Rockerkriminalität
ist organisierte Kriminalität
Rockerkriminalität ist organisierte Kriminalität! Wer
etwas anderes behauptet, verschließt sich den Tatsachen. Grundvoraussetzung zur
OK-Bekämpfung ist neben rechtlichen, technischen und finanziellen Möglichkeiten
der Einsatz bestens ausgebildeter Kriminalisten. Und diese personellen
Ressourcen sind so gut wie in keinem Bundesland mehr vorhanden. Das hat zur
Folge, dass nur die bekannt gewordenen Fälle abgearbeitet werden können. Die
aber gerade im OK-Bereich erforderlichen eigenständigen Ermittlungen, also die
Erforschung des Dunkelfeldes, können nicht mehr durchgeführt werden.
Schließung eines Clubhauses |
Die verantwortlichen Politiker wissen
das, und manchmal entsteht der Eindruck, dass diese Aufhellung gar nicht
gewollt ist. Gerade auch wenn man sich ansieht, welche rechtlichen Hürden der
Gesetzgeber der Kriminalpolizei zumutet. Die Beweissicherung wird dabei durch
den Einsatz neuer Technologien auf Seiten der Täter immer schwieriger. Auch
wenn die sogenannte Vorratsdatenspeicherung kein Allheilmittel ist, klaffen
seit deren Verbot durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und der
anschließenden Blockadehaltung vieler Bundespolitiker in diesem Bereich
gravierende Schutzlücken.
Rocker schüchtern Polizeibeamte, Staatsanwälte und
Richter ein
Vereinsverbote wirken! Sie verhindern
zumindest das unkontrollierte Zeigen der Rocker-Symbole in der Öffentlichkeit.
Aber auch ein Verbot ist natürlich kein Allheilmittel. OK-Ermittlungsverfahren
sind hochkomplex und binden deshalb verstärkt Personal sowie technische
Ressourcen. Man muss die kriminellen Rockergruppierungen speziell dort treffen,
wo es ihnen wirklich weh tut und ihnen ihr kriminell erwirtschaftetes Vermögen
entziehen. Der Staat darf sich nicht länger vorführen lassen.
Es wird Zeit, ein deutliches Zeichen zu
setzen. Hierfür fehlt aber oftmals der juristische - und auch der politische -
Wille und Mut. Über das Warum darf man dabei spekulieren. Es gibt mittlerweile
deutliche Anzeichen für eine Infiltrierung der Politik und entsprechende
Kontakte. Wir wissen, dass kriminelle Rocker gezielt auf Justiz- und
Polizeibeamte, Staatsanwälte und Richter zugehen, diese entweder einschüchtern
oder sogar erfolgreich anwerben - mafiöses Verhalten der
organisierten Kriminalität.
Zahlreiche Gesetze bedürfen zudem
dringend einer Reform, gerade im Bereich der Vermögensabschöpfung und der
Geldwäsche. Wenn Deutschland seine Bemühungen zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität nicht
schnellstens intensiviert, besteht die Gefahr, dass wir diesen Kampf
zu verlieren.
André
Schulz, 44, ist seit 2011
Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Er arbeitet als Erster
Kriminalhauptkommissar beim Landeskriminalamt Hamburg in der Abteilung für
Wissenschaftliche Analyse.
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