Nach Meinung italienischer
Strafverfolger reichen die deutschen Gesetze nicht aus, um die Mafia effektiv
zu bekämpfen. Doch auch die italienische Justiz hat ihre Probleme. Langsame
Verfahren erlauben es, potentiellen Straftätern auf freiem Fuß zu bleiben. Etwa
in Solingen.
Der Generalstaatsanwalt von Palermo,
Roberto Scarpinato, sitzt in seinem Büro. „Können Sie erkennen, ob ich ein
Mafiosi bin? Nein! Weil ich nicht schieße, weil ich nicht töte. Die Mafiosi von
heute treten als Unternehmer auf – mit weißen Kragen, sie sprechen mehrere
Sprachen, sie sind freundlich, sie machen dich reich.“ Roberto Scarpinato hat
sich dem Kampf gegen die Mafia verschrieben. Und er weiß, in welchem Land die
Mafia sich ausbreitet: „In Italien gilt für Mafiosi: hier investiere ich nicht.
In Deutschland: Da investiere ich. “ Der Grund dafür ist für Scarpinato
einfach. „Die Mafia handelt wie ein Unternehmen. Sie breitet sich dort aus, wo
es ihr die Gesetze eines Landes leicht machen, Investitionen zu machen. Die
Mafia wählt die Länder aus, in denen es einfach ist, Geld zu waschen, und in
denen ihre Eigentümer nur schwer beschlagnahmt werden können.“
Roberto Scarpinato |
Wie schwer es für die deutschen
Behörden ist, Mafiosi im eigenen Land zu verfolgen erläutert Roberto Scarpinato
am Beispiel von Antonio Rossi*.
„Dieser Mann kontrollierte in
Deutschland und Italien ein Netz von Firmen und Strohleuten, um Drogenhandel zu
verschleiern. Die Deutschen Behörden haben es aber nicht geschafft,
durchgängige Abhörmaßnahmen gegen Antonio Rossi* in Gang zu setzen.“ Die
Deutsche Polizei stoppte die Ermittlungen. Langfristige und weitreichende
Lauschangriffe sind den Ermittlern hierzulande nur bei einer geringen Anzahl
von Vergehen gestattet.
Das Anti-Mafia-Büro in Palermo nahm in
der Folge die Ermittlungen gegen Antonio Rossi* auf. Nach zwei Jahren
Abhörmaßnahmen, wurden fast 50 Personen verhaftet. Dem zentralen Beschuldigten
Antonio Rossi* wurde keine direkte Mitgliedschaft in der Mafia vorgeworfen.
Aber seine Nähe zu Mafiamitgliedern ist deutlich geworden. Er selbst wurde in
ersten Instanz wegen Drogenhandels zu 23 Jahren Haft verurteilt. „Das nur wegen
der italienischen Gesetzgebung, die das Abhören von Mafiamitgliedern erlaubt.“
Vor allem in der unzureichenden
deutschen Gesetzgebung sieht Scarpinato die Lücken, auf deren Basis sich die
Mafia ausbreiten kann. Zunächst gibt es anders als in Italien keinen
Straftatbestand der Mitgliedschaft in der Mafia. In Deutschland gibt es zwar
den Tatbestand der kriminellen Vereinigung. Doch um hier ein Verfahren zu
eröffnen, müssen in der Regel erstmal kriminelle Handlungen nachgewiesen
werden, die die kriminelle Vereinigung begangen hat. Das ist in der Regel
schwer, denn die Mafia versteckt ihre Taten. Auch wenn es über die
Mitgliedschaft zur Mafia hinaus keine weiteren kriminellen Taten gibt, kann
nicht mit schweren Besteck ermittelt werden. Lauschangriffe werden genauso
selten genehmigt wie Hausdurchsuchungen. Schwere Straftaten der Mafia können so
erst gar nicht in Deutschland entdeckt werden.
Zum zweiten ist es in Deutschland
schwerer die Vermögenswerte von Mafiosi zu beschlagnahmen. Nach der
italienischen Gesetzgebung kann schon bei einem Verdacht das ganze Vermögen
eines Mafiaunterstützers beschlagnahmt werden. Und dann muss der Täter darlegen,
dass er das Geld rechtmäßig erworben und versteuert hat. Kann er das nicht,
fällt das Vermögen an den Staat.
In Deutschland ist es in der Regel
andersrum. Der Täter kann sein Geld behalten und der Staat muss nachweisen,
dass ein Anteil des Vermögens unrechtmäßig erworben wurde. Und nur dieser
Anteil wird verpfändet. In Italien verliert die Mafia ihr Kapital, in Deutschland
behält sie es, wenn sie nur clever genug auf Strohleute setzt. Scarpinato: „Nur
ein Beispiel: Wenn in Deutschland ein Kellner einer Pizzeria 10 Millionen Euro
Vermögen hat, kann sein Geld nicht beschlagnahmt werden, bis bewiesen wurde,
dass er das Vermögen aufgrund von konkreten Straftaten illegal erworben hat.“
Alleine das Büro von Scarpinato hat
zwischen 2006 und 2010 über 3 Milliarden Euro beschlagnahmet. Aus einem
internen Bericht des Bundeskriminalamtes (BKA) geht hervor, dass im Jahr 2012 in
ganz Deutschland nur 88.000 Euro im Zusammenhang mit Mafiaermittlungen
beschlagnahmt wurden. Deshalb legt die Mafia ihr illegales Geld lieber in
Deutschland an. Scarpinato: „Die Mafia will, dass die Deutschen denken, die
Mafia existiert hier nicht.“
Im Hintergrundgespräch beklagt sich ein
deutscher Ermittlungsbeamter über fehlende politische Unterstützung:
„Ermittlungen gegen die Mafia sind einfach zu teuer.“ Alleine das Abhören von
Handyverbindungen koste schnell hunderttausende von Euros, weil kostspielige
Übersetzer engagiert werden müssten, die italienisch und den sizilianischen
Dialekt verstehen können. Dazu kommen internationale Haftbefehle und
komplizierte Sachverhalte. Nichts, was die Mafiaverfolgung einfach und billig
macht.
Den nötigen Druck gegen die Mafia
vorzugehen, erzeugen nur spektakuläre Morde, wie in Duisburg. Dort wurden im
August 2007 in den frühen Morgenstunden sechs Menschen nach einer Mafiataufe
vor dem Lokal Da Bruno erschossen. In der Folge wurde die Organisation der
Ndrangetha und mit ihr die anderen Organisationen der Mafia stärker ins Visier
der Ermittler genommen. Hunderte Mafiamitglieder wurden erfasst. Die Clane
analysiert, es kam zu Verhaftungswellen. Doch immer noch wurde das Kapital der
Mafia kaum angefasst. Laut BKA wurden in den Jahren 2007 bis 2009 rund 2,4
Millionen Euro beschlagnahmt. Danach fiel die Summe auf wenige hunderttausend
Euro.
Dass Antonio Rossi* trotz der
italienischen Strafverfolgung immer noch auf freiem Fuß, liegt an der
italienische Justiz. Denn die ist sehr langsam. Das Urteil gegen Antonio Rossi*
wurde in der nächsten Instanz noch nicht bestätigt. Und solange kann sich
Antonio Rossi* unbehelligt bewegen. Er lebt in Solingen. Es gibt keinen
Haftbefehl gegen ihn. Der Mann betreibt eine Kneipe. Bei einem Besuch schließt
er hinter den Reportern die Tür ab. Dann sagt er mit erhobenem Zeigefinger:
„Ich habe noch nie etwas kriminelles gemacht. Ich habe keine Drogen gehandelt –
und noch nicht mal an einem Joint gezogen.“ Er werde zu Unrecht kriminalisiert.
Dann trinkt er seinen Kaffee aus und lacht. Die Reporter dürfen wieder gehen.
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