Still und heimlich hat sich die kalabrische
'Ndrangheta in der Schweiz ausgebreitet. Die Gesetze reichen nicht aus, um die
Mafia wirkungsvoll zu bekämpfen. Der Ausgang des Falls «Quatur» wird
entscheidend.
Schwerer
Betäubungsmittelhandel, illegale Waffengeschäfte, Geldwäscherei und die Führung
einer kriminellen Organisation: So lautet die Anklage der Bundesanwaltschaft
gegen mutmaßliche Mafiosi mit Verbindungen zur kalabresischen 'Ndrangheta. Seit
den neunziger Jahren sollen sie im Waffen- und Rauschgifthandel zwischen
Italien und der Schweiz tätig gewesen sein. Das Verfahren ist alt: Zwölf Jahre
sind vergangen, seit die Strafverfolger im Fall «Quatur» Ermittlungen
aufgenommen haben.
Die Zeit drängt
Für Bundesanwalt
Michael Lauber ist es höchste Zeit, diesen vertrackten Fall zu lösen. Zweimal
schon sind die Strafverfolger wegen formeller Mängel vor Bundesstrafgericht
aufgelaufen, zuletzt im vergangenen Winter. Über 30 000 abgehörte
Telefongespräche müssen deshalb nochmals neu übersetzt werden. Das Verfahren
hat inzwischen 1,4 Millionen Franken verschlungen. Da die Zeit drängt, hat sich
Lauber entschieden, das Verfahren nur noch gegen 4 von ehemals 13 Beschuldigten
weiterzuführen und bis Ende Jahr zur Anklage zu bringen. Die übrigen 9
Beschuldigten werden zwar weiterhin strafrechtlich belangt – allerdings wird
die Anklage in einem grundsätzlichen Punkt fallengelassen: dem der
Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation.
Das Verfahren ist von
großer Tragweite: Sollte der Fall «Quatur» vor Bundesstrafgericht scheitern,
dürfte es aufgrund der bestehenden Rechtslage keine neuen Mafia-Prozesse in der
Schweiz mehr geben. Stattdessen würden mafiöse Organisationen nur noch via
Rechtshilfe mit den Nachbarländern bekämpft werden, sagt Lauber. Diese
Strategie wählt er in einem anderen großen Mafia-Verfahren, bei dem es unter
anderem um Geldwäscherei geht. Die Schweiz beliefert die italienischen
Anti-Mafia-Behörden mit Beweismaterial. Zu einer Anklage hierzulande kommt es
nicht.
Mitglieder einer
kriminellen Organisation zu überführen, ist nach heutiger Rechtslage schwierig.
Damit dieser Vorwurf in der Anklage vor Gericht standhält, müssen hohe Hürden
überwunden werden. Die Strafverfolger müssen unter anderem beweisen, dass die
Organisation über eine bestimmte Hierarchie verfügt, diese geheim hält und
bezweckt, Gewaltverbrechen zu begehen oder sich mit illegalen Mitteln zu
bereichern. Kein leichtes Unterfangen.
Die Strafbestimmung
von § 2607 des Strafgesetzbuchs ist ursprünglich eingeführt worden, um
Rechtshilfe ans Ausland zu leisten. Für eine eigenständige Verfolgung mafiöser
Organisationen in der Schweiz ist der Gesetzesartikel ungeeignet. Damit
versagen die Schweizer Gesetze im Kampf gegen die organisierte Kriminalität.
Die Ankläger müssen sich damit begnügen, die Mafiosi wegen kleinerer Delikte zu
überführen. Neue Straftatbestände, wie sie auch in einer parlamentarischen
Initiative bereits gefordert worden seien, könnten hier Abhilfe leisten, sagte
der Bundesanwalt. Will die Schweiz weiterhin eigene Mafia-Verfahren führen, ist
eine Anpassung des Strafgesetzbuches unumgänglich.
Kalabresische Codewörter
Auch wenn im Fall
«Quatur» ein Freispruch droht, wird ihn die Bundesanwaltschaft nun zu Ende
führen. Dass es endlich zu einem Abschluss des Verfahrens kommt, begrüsst
Rechtsanwalt Tuto Rossi. Er ist der Verteidiger des Hauptbeschuldigten, der
über drei Jahre in Untersuchungshaft sass und wegen Gewaltdelikten vorbestraft
ist. Laut dem Anwalt ist schon vor zwölf Jahren klar gewesen, dass zwar viele
Indizien gesammelt wurden, die Auswertung – namentlich von Tausenden von
Telefongesprächen – den Beweisanforderungen aber nicht genügen würden.
Rossi ist überzeugt,
dass kein einziges abgehörtes Telefongespräch einen Hinweis auf ein illegales
Geschäft liefere. Er plant eine Beschwerde wegen Rechtsverzögerung.
Die Bundesanwaltschaft
gibt sich zuversichtlich, genügend Beweise zu haben. Die Gespräche seien mit
Codewörtern im kalabresischen Dialekt geführt worden, die erst im Zusammenhang
ein Bild ergäben.
.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen